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HEGEMONIE/1623: Mit der Bertelsmann Stiftung die Großmacht EU errichten ... (SB)



Die Nachrufe auf den am 3. Oktober verstorbenen ehemaligen Chef des Bertelsmann-Konzerns, Reinhard Mohn, üben sich in einer an Unterwürfigkeit grenzenden Ehrerbietung, die deutlich macht, wer in diesem Land das Sagen hat. Mohn wird nicht nur als ehemaliger Chef eines der größten Medienunternehmen der Welt mit über 100.000 Angestellten und besonders starker Stellung im US-amerikanischen Verlagsgeschäft gewürdigt. Insbesondere seine Rolle als Begründer der Bertelsmann-Stiftung, die knapp 77 Prozent des Aktienkapitals der Bertelsmann AG hält und erheblichen Einfluß auf Staat und Gesellschaft ausübt, wird in den Kondolenzadressen als Lebensleistung des Medientycoons gerühmt. So hebt der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in seinem Beileidsschreiben hervor, daß die Bertelsmann Stiftung Mohns Ideal eines "von christlichen Werten" geleiteten "verantwortungsvollen Unternehmertums" umsetzt, "indem sie Erträge des Unternehmens in gemeinwohlorientierte Projekte investiert".

Investieren ist die richtige, weil unternehmerisch gedachte Bezeichnung. Abgesehen davon, daß sich Gewinne des Konzerns über die Stiftung abschreiben lassen, stellt die Arbeit der 330 Mitarbeiter des mit 60 Millionen Euro wahrscheinlich finanzstärksten Think Tanks der Bundesrepublik einen strategischen Vorteil dar, der weit mehr als diese vermeintlichen gemeinwohlorientierte Leistung wert ist. Die angebliche Gemeinnützigkeit und politische Neutralität der Bertelsmann Stiftung bricht schon an der ihrer Selbstdarstellung zu entnehmenden Erklärung, die Stiftungsarbeit beruhe auf der Überzeugung, "dass Wettbewerb und bürgerschaftliches Engagement eine wesentliche Basis für gesellschaftlichen Fortschritt sind".

Dem Grundsatz des Wettbewerbs als zentrale gesellschaftliche Produktivkraft entspricht die Ausrichtung der operativen Stiftungsarbeit auf die Durchsetzung neoliberaler Konzepte in jedem Bereich sozialer und staatlicher Organisation. Die Bertelsmann Stiftung propagiert die Stärkung der Eigenverantwortung und den Abbau des Sozialstaats, die Öffnung des Bildungswesens für die Interessen der Wirtschaft und die europäische Einigung unter dem Banner neoliberaler Ordnungspolitik. Sie ist konzeptionelle Urheberin der Agenda 2010 und des Armutsregimes Hartz IV, verfolgt aber auch medienpolitische Projekte, die der Produktion sinnstiftender Inhalte zur Befriedung systemischer Widersprüche dienen.

Während die Stiftung Land und Leute nach betriebswirtschaftlichen Kriterien auf optimale Verwertungsfähigkeit trimmt und den Homo oeconomicus zum Idealbild christlicher Leistungsethik erhebt, sorgt sie in der Europa-, Außen- und Sicherheitspolitik für die globale Durchsetzung des liberalkapitalistischen Gesellschaftsmodells. So hat Bertelsmann über seine Lobbyisten in Politik und Regierungsbürokratie keinen geringen Einfluß auf die inhaltliche Erarbeitung des EU-Verfassungsvertrags und des daraus hervorgegangenen Vertrags von Lissabon genommen. Dies schlägt nicht nur im Primat marktwirtschaftlicher Prinzipien durch, sondern auch in der vertraglich fixierten Militarisierung der EU:

"Europa hat deshalb keine Wahl: Es muss lernen, mit einer Stimme zu sprechen und sich global zu engagieren. Die EU-Verfassung hat mit dem Amt des Außenministers und neuen Formen der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheit und Verteidigung bereits den richtigen Weg gewiesen. Hierzu gehört auch die Europäische Sicherheitsstrategie 'Ein sicheres Europa in einer besseren Welt', in der die EU-Mitgliedstaaten zum ersten Mal eine gemeinsame Bewertung der sicherheitspolitischen Lage sowie ihrer Interessen und Handlungsoptionen vornehmen. Konzeptionell steht man damit aber erst am Anfang eines langen Weges, an dessen Ende die Mitgliedstaaten ihre außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Fähigkeiten nicht nur koordinieren, sondern integrieren müssen."
(05.10.2009, www.bertelsmann-stiftung.de)

Als vor zehn Jahren deutsche Kampfflugzeuge über Jugoslawien kreisten, freute sich das damalige Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, Werner Weidenfeld, in der FAZ darüber, daß mit dem Krieg gegen das Land "die langjährige Forderung nach europäischer Handlungsfähigkeit nun einen ganz anderen Klang" bekomme. Sie würde "nun zu einer elementar erfaßbaren Kategorie europäischer Überlebensfähigkeit", denn "wir werden es mit Nachbarn zu tun bekommen, die politisch instabil, ethnisch polarisiert und wirtschaftlich rückständig sind". Die EU müsse angesichts ihrer Bedrohung durch "Handelsverflechtungen und Rohstoffwege, durch Migrationsströme und ökologische Gefahren, durch Rüstung und Proliferation" offensivere Militärkapazitäten aufbauen, so Weidenfeld damals.

Er hatte schon im Juni 1998 als Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung (CAP) mit dem Strategiepapier "Europa vor der Vollendung - Das Profil der großen Europäischen Union" auf dem gemeinsam vom Auswärtigen Amt und der Bertelsmann Stiftung ausgerichteten Berlin International Bertelsmann Forum den Weg zur Eroberung der Bundesrepublik Jugoslawien geebnet. In Anwesenheit des EU-Kommissionsvorsitzenden Jacques Santer, des NATO-Generalsekretärs Javier Solana, des Elder statesman Henry Kissinger, des Bundespräsidenten Roman Herzog, des Außenministers Klaus Kinkel und des zum Kohl-Nachfolger im Amt des Bundeskanzlers gekürten Unionspolitikers Wolfgang Schäuble entwarf Weidenfeld das Konzept einer "gesamteuropäischen Weltmacht ...im Wartestand". Die von ihm verlangte "Ordnungs- und Führungsfähigkeit" verortete die EU in einer Weltordnung, die "kein Spielplatz für Zivilmächte" sei. Zum Thema Ressourcensicherung gab Weidenfelds Strategiepapier zu bedenken: "Das rohstoffarme Westeuropa bezieht den wesentlichen Teil seiner Energieressourcen über das Mittelmeer und über die Pipelines aus der ehemaligen Sowjetunion. Beide Versorgungsräume und Versorgungswege sind ... nicht gegen Unterbrechungen und Krisen gesichert".

Dementsprechend sei "die wichtigste Herausforderung an die Handlungsfähigkeit der Europäer im präventiven Sinn ... in den kommenden Jahren die instabile Situation in der heutigen Bundesrepublik Jugoslawien". Die EU werde sich "mit dem Szenario einer Enklave innerhalb einer erweiterten EU, die im Fall der Krise und des Scheiterns der Transformation im ehemaligen Jugoslawien entstünde", auseinanderzusetzen haben. Um dem vorzubeugen, hatte Weidenfeld bereits in der von der Bertelsmann Stiftung geförderten Forschungsgruppe Europa verlangt, das internationale Recht dahingehend zu ändern, der EU bei eskalierenden ethnischen Konflikten ein direktes Eingreifen zu ermöglichen. Die unverhohlene Aufforderung zur gewaltsamen Intervention zeigt im Ergebnis des völligen Verschwindens Jugoslawien von der Landkarte, wie sehr die außenpolitischen Konzeptionen der Bertelsmann Stiftung im Mainstream imperialistischer Politik angesiedelt sind.

Auf dem Internationalen Bertelsmann-Forum im September 2006 in Berlin präsentierte der Medienkonzern Pläne für die künftige Gestalt Europas, die konsequent mit dem Konzept eines einheitlichen und gleichberechtigten Staatenbundes brechen. Um die weitere Expansion der EU ohne das Überhandnehmen zentrifugaler Kräfte zu garantieren, propagierte die am CAP von der Bertelsmann Stiftung eingerichtete Bertelsmann Forschungsgruppe Politik ein Konzept der "differenzierten Integration", laut dem künftige Beitrittskandidaten nicht länger von der gleichberechtigten Aufnahme in die EU ausgehen können. Das bereits von Unionspolitikern wie Schäuble Anfang der 1990er Jahre vorgedachte Kerneuropakonzept dient nicht nur dazu, die europäische Integration auch gegen den Widerstand kleiner Mitgliedstaaten durchzusetzen, sondern soll innerhalb der EU Verwertungsdifferenzen aufrechterhalten, die die Profitrate der großen wirtschaftlichen Akteure stabilisieren.

Dieser "offene Gravitationsraum", der laut dem anläßlich des Bertelsmann-Forums herausgegebenen Dokument "Die strategischen Antworten Europas", aus dem alle folgenden Zitate entnommen sind, "in manchen Politikbereichen für einen gewissen Zeitraum zu einem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten führen" würde, soll eine "Sogwirkung" auf noch zu erschließenden Territorien haben, so daß sich diese desto bereitwilliger den Auflagen Brüssels unterwerfen. Die EU-Außenpolitik firmiert unter dem harmlos anmutenden Titel einer "Strategie weltpolitischer Mitgestaltung", mit der verhindert werden soll, daß Europa "im Abseits" steht, "wenn es darum geht, den wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen Ordnungsformen entgegen zu setzen, die Orientierung und Erwartungssicherheit bieten". Der angedeutete Antagonismus zwischen Ordnung und Chaos schlägt alle Formen einer eigenständigen Entwicklung, die den Interessen der EU konträr gegenüberstehen, letzterem zu und schafft Handlungsbedarf. Wie bereits erprobt soll unter dem Vorwand gescheiterter Staatlichkeit interveniert werden, um zu verhindern, daß Regierungen mit Hilfe protektionistischer Ressourcensicherung oder gar sozialistischer Wirtschaftspolitik versuchen, sich dem "Sog" des neoliberalen Verwertungsregimes zu entziehen.

Die Bereitstellung der dazu notwendigen Mittel mündet in den Entwurf einer Zwangsgemeinschaft, die auch ihre weniger aggressiven Mitgliedstaaten in das gemeinsame Großmachtprojekt einbindet:

"Die globale Sicherung gemeinsamer Interessen erfordert eine konsequentere Bündelung europäischer Verteidigungskapazitäten durch die Schaffung einer Europäischen Armee mit den dazugehörenden Organisations- und Kommandostrukturen auf europäischer Ebene. Die Schaffung integrierter Streitkräfte würde zu einer Steigerung der militärischen Leistungsfähigkeit Europas führen und die Staaten Europas sicherheitspolitisch enger zusammen rücken lassen als jemals zuvor in ihrer Geschichte. Die sicherheits- und verteidigungspolitische Verzahnung würde den Druck auf die EU-Staaten erhöhen, das gegenwärtige Defizit an strategischem Denken abzubauen und bei sensiblen außenpolitischen Fragen mit einer Stimme zu sprechen."

Diese Agenda basiert auf der Prämisse, daß man Krieg führen muß, um den eigenen Wohlstand und Einfluß zu sichern. Um Verteidigung im klassischen Sinne geht es mangels ernstzunehmender Aggressoren nicht einmal im Ansatz. Verteidigt werden die Interessen der Herrschenden, die, da sie zu Lasten der Beherrschten gehen, auch nach innen mit offensiver Gewaltanwendung drohen, indem sie nach einem Gewaltmonopol verlangen, "das europäische Sicherheitsinteressen in einem umfassenden Verständnis definiert, innere und äußere sowie zivile und militärische Aspekte von Sicherheit aufeinander abstimmt". Der Ermächtigungslogik, die dem europäischen Expansionsstreben zugrundeliegt, wird schon beim Zustandekommen der konstitutionellen Bedingungen Rechnung getragen. So soll es sich, wie die antidemokratische Durchsetzung des Vertrags von Lissabon zeigt, bei der europäischen Integration keineswegs um einen ergebnisoffenen Prozeß handeln, der womöglich ein Zurückschrauben supranationaler Regelungsgewalt bewirkte. Der "offene Gravitationsraum" dient der Verstetigung sozialökonomischer Widersprüche, von deren produktivitätssteigernder und mehrwertschöpfender Dynamik insbesondere "Deutschland, Frankreich und Großbritannien als gemeinsamer Schicksals- und Zukunftsraum", das heißt bestimmendes Zentrum der EU, profitieren sollen.

Die anläßlich des Todes Reinhard Mohns auf die Bertelsmann Stiftung ausgebrachten Loblieder belegen, wie wirkungsvoll der "medial-politische Komplex aus Gütersloh" [siehe ->BUCH/SACHBUCH- REZENSION/439: Wernicke, Bultmann (Hg.) - Netzwerk der Macht (SB)] die politische Agenda der Bundesrepublik besetzt. Daß dieser Einfluß alles andere als demokratisch legitimiert wird, versteht sich von selbst. Nichts anderem als der Herrschaftsanspruch einer von Kapitalmacht getragenen Elite liegt dem Versuch zugrunde, die Ordnung der Gesellschaft über mediale, politische und administrative Dominanz gegen die Interessen all derjenigen Menschen zu bestimmen, die diesem System als Verbrauchsstoff dienen sollen.

6. Oktober 2009