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HEGEMONIE/1670: Bundesregierung verweigert Zusammenarbeit mit Jugoslawientribunal (SB)



Wenig Freude hat die Bundesregierung derzeit an einem Lieblingsprojekt des humanitären Interventionismus deutschen Machart. Das Internationale Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), der seit seiner Etablierung als legalistischer Arm westlicher Kriegführung auf dem Balkan von der Bundesrepublik großzügig mit Geld und Personal unterstützte Sondergerichtshof in Den Haag, verlangt von ihr die Lieferung von Dokumenten, die der ehemalige Präsident der Republika Srpska, Radovan Karadzic, für seine Verteidigung einsetzen will. Dessen Inhaftierung vor zwei Jahren war wie weiland die Überstellung des ehemaligen Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien, Slobodan Milosevic, an das ICTY als großer Erfolg für Wahrheit und Gerechtigkeit gefeiert worden. Während die Genugtuung über das als Jahrhundertprozeß angekündigte Strafverfahren gegen diesen von deutschen Boulevardblättern als Wiedergänger Hitlers dämonisierten Politiker schnell in peinliches Schweigen umschlug, nachdem Milosevic die Aggressoren der NATO erfolgreich als solche vorführte, soll diese Schlappe mit dem noch eindeutiger als das Böse im Serben markierten Karadzic wieder ausgewetzt werden.

Nun, da es darum geht, zugunsten der Wahrheitsfindung Farbe zu bekennen, widersetzt sich die Bundesregierung der Bereitstellung von Dokumenten, denen unter anderem Geheimdienstinformationen über Waffenlieferungen an die bosnischen Muslime vor dem Juli 1995, als das Karadzic angelastete Massakers von Srebrenica stattfand, zu entnehmen sein sollen. Der Angeklagte will zudem die Unterwanderung von EU- und UN-Missionen durch den BND mit Hilfe von Unterlagen einer Untersuchung der Parlamentarischen Kontrollkommission belegen, um auf diese Weise den Vorwurf der Geiselnahme angeblich neutraler Beobachter, die seiner Ansicht nach Kriegspartei gewesen wären, zu entkräften. Auch will Karadzic sämtliche Informationen über ein Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Florida 1995 erhalten, weil auch dort angeblich Waffenlieferungen an die bosnischen Muslime unter Umgehung des UN-Waffenembargos beschlossen wurden.

Da die NATO-Staaten stets auf die Aufrechterhaltung des Waffenembargos gepocht hatten, würfe eine solche Information ein bezeichnendes Licht auf die unheilige Rolle, die sie im bosnischen Bürgerkrieg weniger zu Gunsten der muslimischen als vor allem zu Lasten der serbischen Kriegspartei übernommen hatten. Diese Unterstützung ließe auch die Rolle des ICTY, das sich stets geweigert hat, Ermittlungen gegen die NATO oder andere westliche Akteure bei der Zerschlagung Jugoslawiens einzuleiten, in einem wenig vorteilhaften Licht erscheinen. Um die dem Jugoslawientribunal häufig mit stichhaltigen Argumenten angelastete Parteilichkeit zugunsten der NATO-Staaten, denen es seine Existenz verdankt, zu widerlegen macht es durchaus Sinn, wenn das Gericht auf die Überstellung der Dokumente besteht und das Argument der Bundesregierung, ihre nationalen Sicherheitsinteressen schützen zu müssen, nicht in dieser Totalität gelten läßt.

Die Richter berufen sich darauf, daß ein derartiges Blankorecht den Zweck des Gerichts in Frage stelle, und schlagen der Bundesregierung statt dessen vor, im Einzelfall gegen die Verwendung bestimmter Informationen durch die Verteidigung Karadzics Einspruch zu erheben. Alles andere wäre unglaubwürdig, hat das ICTY doch die Regierungen der aus den jugoslawischen Republiken hervorgegangenen Staaten stets unter Insistieren auf seine ultimative Jurisdiktion und mit politischem Druck durch NATO-Regierungen zur Zusammenarbeit genötigt.

Wie paternalistisch das Verhältnis der Bundesregierung zum ICTY ist, belegt ihre Behauptung, daß keines der Dokumente, die Waffentransporte nach Bosnien beträfen, irgendeine Bedeutung für die Anklagepunkte und für das, was Karadzic beweisen wolle, habe. Sie mischt sich damit in prozeßrelevante Belange ein, für die sie als nicht dem Gericht zugehörige Partei in keiner Weise zuständig ist. Da die strafrechtliche Verfolgung vor allem serbischer und jugoslawischer Politiker stets integraler Bestandteil der Kriegführung der EU und USA auf dem Balkan war, wähnt man sich in Berlin offensichtlich nach wie vor in der Position des Anklägers und Richters. Am liebsten wäre deutschen Politikern und Juristen wohl gewesen, man hätte mit Karadzic im Wortsinn kurzen Prozeß gemacht. So schlug der ehemalige deutsche Richter am ICTY, Wolfgang Schomburg, kurz nach der Verhaftung Karadzics im Juli 2008 vor, man solle sich auf die Beweislage früherer Prozesse stützen, anstatt den ganzen Fall erneut aufzurollen. Schomburg prognostizierte damals, daß das Verfahren gegen Karadzic keineswegs so lange dauern werde wie das gegen Milosevic. Man könne als "internationales Strafgericht nicht Historiker spielen und versuchen, alles aufzuarbeiten" (Deutschlandfunk, 26.07.2008), rechtfertigte Schomburg ein Vorgehen nach Maßgabe politischer Willkürjustiz.

Wie man ohne diese Aufarbeitung in einem so komplizierten Fall wie dem des Bürgerkriegs in Bosnien-Herzegowina, in dem alle Seiten Grausamkeiten begingen, und angesichts der widerstreitenden Berichte zum Massaker von Srebrenica zu einem Urteil gelangen will, das nicht von vornherein hegemoniale Ansprüche Dritter widerspiegelt, erklären Vertreter deutscher Interessen, die in diesem Verfahren zweifellos als solche in Erscheinung treten, nicht. Mit der Weigerung, im Fall Karadzic mit dem ICTY zusammenzuarbeiten, macht die Bundesregierung nichts anderes als das, was sie insbesondere Belgrader Regierungen stets vorgeworfen hat. Nichts könnte die Selbstherrlichkeit imperialistischer Politik besser unterstreichen als das Messen mit zweierlei Maß in Angelegenheiten eines Rechts, mit dessen angeblich neutraler Urteilsfähigkeit die eigene Kriegführung legitimiert wird.

26. Juni 2010