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HEGEMONIE/1689: Frontbegradigung in Ostasien - Japan mit den USA gegen China (SB)



Der langfristige Entwurf des US-Imperialismus nach dem Zweiten Weltkrieg, die besiegten Gegner Deutschland und Japan nicht etwa einem kurzschlüssigen Kalkül folgend dauerhaft als bedeutende Industriestaaten zu zerstören, sondern im Gegenteil deren wiedererstarkendes ökonomisches Wachstum und politisches Potential einzubinden und für künftige Konfrontationen zu rekrutieren, wirft eine reichhaltige Dividende ab. Deutschland begnügt sich längst nicht mehr damit, als eine der weltweit führenden Exportwirtschaften die Muskeln spielen zu lassen, sondern unterstreicht mit dem Einsatz der Bundeswehr an diversen Kriegsschauplätzen seine Entschlossenheit, sich aller Fesseln militärischer Zurückhaltung zu entledigen. Nun zieht Japan mit einer grundsätzlichen Neuausrichtung seiner Militärdoktrin als potentieller Kriegsakteur an der Seite der USA nach.

Wie bei der Gründung der Bundesrepublik festgelegt wurde, daß von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen dürfe, und die spätere Remilitarisierung in Einklang mit dem Grundgesetz eine ausschließliche Verteidigungsaufgabe für die Bundeswehr vorsah, stand auch beim Wiederaufbau Japans eine ausgeprägt pazifistische Komponente Pate. Die japanischen Streitkräfte waren mit einem eindeutigen Verteidigungsauftrag versehen und sollten im kalten Krieg einen möglichen Vorstoß der Sowjetunion in Ostasien verhindern. Wenngleich die Wiederbewaffnung bereits den Keim künftiger expansionistischer Kriegsbeteiligung in sich trug, bedurfte es aus innen- wie außenpolitischen Gründen in beiden Ländern eines langen Prozesses sukzessiver Schritte, um unter Vermeidung kontraproduktiven Säbelrasselns militärische Stärke zu generieren und in Stellung zu bringen.

Wie japanische Zeitungen vorab berichtet haben, will die Regierung in Tokio im Laufe dieser Woche eine neue Verteidigungsdoktrin vorstellen. Zwar wurden keine Quellen für diese Nachricht genannt, doch legen die übereinstimmenden Meldungen mehrerer führender Printmedien nahe, daß aus Regierungskreisen gezielt Informationen weitergegeben wurden. Die künftige Strategie sieht eine Neubestimmung des maßgeblichen Gegners vor, der nicht mehr in Rußland, sondern in Nordkorea und insbesondere China gesehen wird. Nicht minder bedeutsam ist die Festlegung auf eine wesentlich engere militärische Zusammenarbeit mit den USA und eine aktive Beteiligung an deren Bestreben, die Einkreisung Chinas voranzutreiben. Wenngleich sich diese Doktrin auf eine veränderte Bedrohungslage beruft und als Verteidigungsmaßnahme ausgibt, ist doch ihr aggressiver Charakter nicht zu übersehen. [1]

Die japanischen Streitkräfte, die zu den stärksten in Ostasien gehören, übernehmen damit auch offiziell die ihnen von Washington zugedachte regionale Führerschaft im Schulterschluß gegen China. In den Berichten ist von einer "Lücke" im Süden die Rede, die geschlossen werden müsse. Gemäß der neuen Doktrin sollen die schweren Panzer- und Artillerieeinheiten, die bislang im Norden gegen Rußland in Stellung gebracht waren, reduziert werden. Statt dessen will man weitere U-Boote und Kampfflugzeuge beschaffen sowie verstärkt mobile Einheiten aufbauen, die auf dem Luftweg zu den südlichen Inseln transportiert und dort eingesetzt werden können. Während die Bodentruppen offenbar ihre aktuelle Stärke von 150.000 Soldaten beibehalten sollen, will man ihre Konzentration im nördlichen Hokkaido verringern, indem Teile an den Schauplatz künftiger Konflikte im Süden des Landes verlegt werden.

Umstritten sind bekanntlich jene Inseln im ostchinesischen Meer, die man in Japan die Senkakus und in China die Diaoyu nennt. Dort kam es vor drei Monaten zu einer Konfrontation, die einen heftigen diplomatischen Schlagabtausch mit gegenseitigen Beschuldigungen nach sich zog und dazu führte, das China die Ausfuhr seltener Erden nach Japan vorübergehend einstellte. Kürzlich durchgeführte Seeübungen der chinesischen Marine bei Okinawa wurden auf japanischer Seite harsch kritisiert, was umgekehrt natürlich auch für das gemeinsame Großmanöver der japanischen und US-amerikanischen Marine galt. Daran nahm auch der Verband um den Flugzeugträger George Washington teil, der unmittelbar zuvor Südkorea bei der Drohgebärde in Reaktion auf den nordkoreanischen Artilleriebeschuß unterstützt hatte.

Der Kurs dieses US-amerikanischen Flottenverbands vor der chinesischen Küste verkörperte geradezu die Strategie der Vereinigten Staaten, ihren wichtigsten asiatischen Verbündeten in eine aktive Rolle zu bugsieren und zugleich mit dem zweiten regionalen Bündnispartner Washingtons, nämlich Südkorea, zusammenzuführen. Da das Verhältnis zwischen Japan und Korea durch die Erinnerung an das außerordentlich grausame japanische Besatzungsregime schwer belastet ist, gilt es in beiden Ländern tiefsitzende Ressentiments auszuhebeln, um das gemeinsame Bündnis gegen China zu schmieden. Daß die pazifistische Nachkriegsverfassung Japans samt dem darin zum Ausdruck kommenden gesellschaftlichen Konsens ebenso entsorgt wird wie die historisch begründeten Vorbehalte in Korea, unterstreicht die brutale Wucht, mit der die USA die Reihen ihrer Verbündeten enger schließen, da sie ohne deren Beteiligung China unmöglich einkesseln und unter Druck setzen können.

Unwuchten der japanischen Regierungspolitik hatten diese von langer Hand angelegte Vorgehensweise mehrfach durchkreuzt, jedoch lediglich verzögert, ohne ihre letztendliche Durchsetzung zu verhindern, die durchaus mit den Vormachtansprüchen und expansiven Gelüsten der Führungseliten des Landes korrespondiert. Nachdem der Regierungswechsel im September 2009 das Vorhaben zunächst blockiert hatte, lieferte sich die neue Regierung eine Auseinandersetzung mit der Obama-Administration um einen US-Militärstützpunkt in Okinawa. Inzwischen ist der Streit beigelegt und der Weg frei für die neue Militärdoktrin, die auch in Japan sicher nicht über Nacht aus der Taufe gehoben worden, sondern Resultat einer seit geraumer Zeit geschmiedeten strategischen Planung ist.

Während eines Besuchs in dieser Region drängte US-Generalstabschef Admiral Mike Mullen kürzlich die Japaner, als dritte Kraft an gemeinsamen Manövern der US-Marine mit den Streitkräften Südkoreas teilzunehmen. Wie er im Gespräch mit dem japanischen Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa mahnte, müsse man Südkorea nach dem nordkoreanischen Artillerieangriff unterstützen. Vor wenigen Tagen traf der stellvertretende Verteidigungsminister Südkoreas, Lee Yong-gul, in Tokio mit Kimito Nakae zusammen, der die entsprechende Position auf japanischer Seite bekleidet, um Möglichkeiten einer engeren Zusammenarbeit zu erörtern.

Daß eine Defensive Südkoreas und der bloße Wunsch, das eigene Territorium wie auch seine Bürger zu verteidigen, lediglich vorgeschoben sind, um sehr viel weiter reichende Absichten zu verschleiern, deutete Präsident Lee Myung Bak in der vergangenen Woche mit der Bemerkung an, eine Wiedervereinigung mit dem Norden werde wahrscheinlicher. Dies inspirierte offenbar den Präsidenten der Zentralbank, Kim Choong Soo, zu einem Aufruf an alle Politiker und Behörden, sich auf eine mögliche Wiedervereinigung mit Nordkorea vorzubereiten. Unterdessen setzen die Streitkräfte ihr Artilleriemanöver fort, das an 27 Orten im Land durchgeführt werden soll. Wie es in einem Kommentar der nordkoreanischen Zeitung Rodong Sinmun heißt, der von der offiziellen Nachrichtenagentur KCNA verbreitet wurde, stelle die Zusammenarbeit Südkoreas mit den USA und Japan eine "Eskalation der Spannungen" dar und bringe wieder die "dunkle Wolke eines Atomkriegs über die koreanische Halbinsel". [2]

Der japanischen Führung scheint ein derartiges Szenario keine Alpträume zu bereiten, hat doch Japans Premierminister Naoto Kan soeben eine Gesetzesänderung ins Gespräch gebracht, die eine Entsendung der japanischen Streitkräfte auf die koreanische Halbinsel ermöglichen soll, falls es im Krisenfall dort lebende Japaner zu retten gilt oder man nach Landsleuten suchen möchte, die in den 1970er und 1980er Jahren nach Nordkorea entführt worden sind. Man müsse sich Südkorea mit Konsultationen Schritt für Schritt in der Frage annähern, ob dessen Regierung unter Umständen die Landung von Transportflugzeugen der japanischen Selbstverteidigungskräfte gestattet.

Wenn deutsche Truppen auf den Balkan zurückgekehrt sind, um unter aberwitzigen Vorwänden dort erneut Krieg zu führen, sollte es den Japanern gelingen - Vorgeschichte hin oder her - erstmals wieder Soldaten nach Korea zu schicken. Die vom Premierminister angeführten Gründe mögen zwar absurd anmuten, doch berücksichtigt man, was die bundesdeutsche Bevölkerung bereitwillig geschluckt hat, steht zu befürchten, daß es die Japaner nicht anders halten werden.

Anmerkungen:

[1] Japan Plans Military Shift to Focus More on China (12.12.10)
New York Times

[2] Zuspitzung der Lage in Korea (14.12.10)

junge Welt

14. Dezember 2010