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HEGEMONIE/1729: Die Stunde der Exekutive ... Krise als Vorwand zur Ermächtigung (SB)



So lange alles gut geht, inszeniert sich die EU als demokratische Wertegemeinschaft, in der die großen Staaten als primus inter pares auch das Wohl der kleinen Mitglieder organisieren. In der seit 2007 herrschenden Krise verwandelt sich die EU in eine Not- und Schicksalsgemeinschaft, deren deutsch-französisches Direktorat die Maßgaben des Krisenmanagements diktiert. Der Formwandel von der Banken- zur Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Dynamik finanzmarktgenerierter Kapitalakkumulation so oder so an ihre Grenzen gestoßen ist. Die Versuche, eine tragfähige Entwicklung anzuschieben, scheitern an dem inneren Widerspruch einer auf Schulden beruhenden, die materielle Wertschöpfung längst überholten Anhäufung von Verlusten, an der Staat wie Kapital gleichermaßen beteiligt sind. Die Regierungen haben die EU marktwirtschaftlich verfaßt und die Freiheiten zur optimierten Kapitalverwertung allen anderen Interessen ihrer Bevölkerungen übergeordnet. Die Investoren und Kapitaleigner mehren das Ihrige unter diesen vorteilhaften Bedingungen nur solange erfolgreich, als die Schuldner ihre Solvenz glaubhaft machen können. Kommt es zum Kollaps der Schuldenkaskaden, beschleunigt die Schadensbegrenzung der Gläubiger, die nicht selten Schuldner in Personalunion sind, die Dynamik einstürzender Kartenhäuser.

Wie am Beispiel Griechenland exemplarisch vorgeführt, schlägt nun die Stunde der Exekutive. Wurde der Glaube an die selbstregulativen Kräfte des Marktes zuvor wie das Dogma einer Staatskirche gepredigt, so soll die Refinanzierung der Verluste nun durch scharfe, von der gleichen Priesterkaste verfügte Schnitte an den Einkünften derjenigen Menschen erfolgen, die die erodierende Basis der Wertschöpfung durch Arbeit bilden oder als überflüssig gemachte Erwerbslose gebildet haben. Wo Familien die Hälfte ihres Jahreseinkommens verlieren und der Hunger insbesondere von Kindern endemische Ausmaße annimmt, erweist sich die Austeritätspolitik der Krisenmanager als Akt menschenfeindlicher Willkür. Verantwortung dafür zu übernehmen, daß die Entfesselung der Kapitalkräfte politisch gewollt war, wird unter Verweis auf eine Sachzwanglogik abgelehnt, in der "die Märkte" als numinose Instanz in ihrer destruktiven Wirkung so ungreifbar gemacht werden wie die "unsichtbare Hand", der als säkularisierter Letztbegründung gottgleiche Verfügungsgewalt über Handel und Wandel zugeschrieben wurde.

Schon damals hat nicht gestimmt, was nun unübersehbar manifest wird. Der Boom der abstrakten Geldmengen des florierenden Finanzmarkts wurde auch vor 2007 auf dem Rücken all derjenigen organisiert, die mit niedrigen Löhnen und Sklavenarbeit die kostengünstigen Voraussetzungen für den Reichtum westlicher Metropolengesellschaften schufen. Nun, da die Mangelproduktion auch in Nordamerika und Europa die Mittelschichten in den Abgrund zu ziehen droht und die unmittelbare Peripherie hochproduktiver regionaler Kerne verödet, wächst die Bereitschaft, Lösungen gutzuheißen, die mittels exekutiver Ermächtigung durchgesetzt werden.

Der über Griechenland verhängte ökonomische Ausnahmezustand zieht den Staatsnotstand zwingend nach sich, wird die Bevölkerung ihre systematische Verelendung doch nicht widerstandslos über sich ergehen lassen. Die Vollstreckung der Austeritätspolitik ruft die Gespenster autoritärer Herrschaftsicherung von der Unterwerfung einer souveränen Regierung unter das Diktat ausländischer Mächte über die faktische Aussetzung der Demokratie durch eine Regierung der nationalen Einheit bis zum Militärputsch auf den Plan. Wo der eigene Staatshaushalt unter Verwaltung demokratisch nicht legitimierter Instanzen gerät, wo ein Referendum über den finalen Ausverkauf Griechenlands für diese Interessen ein zu großes Risiko darstellt und der Ministerpräsident die führenden Köpfe der Generalität entläßt, als müsse er die Rückkehr des Obristenregimes fürchten, um schließlich zugunsten einer Übergangsregierung zurückzutreten, die die von ihm garantierte Einlösung des Spardiktats vollziehen soll, da werden die geltend gemachten Sachzwänge in die stählernen Fesseln administrativen Zwangs gegossen.

Wer als Bundesbürger glaubt, aus dieser Form der Krisenregulation Vorteile ziehen zu können, dürfte sich im großen und ganzen falsche Hoffnungen machen. In der um Deutschland und Frankreich zentrierten Eurozone wird der soziale Krieg mit desto härteren Mitteln ausgetragen werden, als die inneren Produktivitätsunterschiede der Währungsunion zur Kannibalisierung verbliebener Möglichkeiten der Wertschöpfung führen. Wenn Griechenland ganz einseitig der Schwarze Peter schuldhaften Raubbaus zugeschoben werden kann, ohne die ökonomische Disparität zwischen Zentrum und Peripherie der Eurozone in Rechnung zu stellen, dann ist es nur recht und billig, dem Subproletariat der reichen Gesellschaften Westeuropas die nämliche Bezichtigung, selbst an seiner Misere schuld zu sein, anzulasten. So dient die Finanz- und Schuldenkrise, gerade weil von ihrer systemischen Widersprüchlichkeit nie die Rede sein soll, als Vorwand zur dauerhaften Etablierung neofeudalistischer und staatsautoritärer Verhältnisse. Hier bietet sich das Hebeln großer Geldmengen im Rahmen des EFSF, also die Bewältigung der Krise mittels ihrer Eskalation, als Metapher für die Ermächtigung durch angebliche, tatsächlich von den Eliten in Staat und Gesellschaft selbst zu verantwortende Sachzwänge an.

7. November 2011