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HEGEMONIE/1771: Lodengrüner Revolutionschic - Maidan für Deutschland (SB)




Schon die "orangene Revolution" 2004 war alles andere als ein sozialer Aufstand. In ihr artikulierte sich das gegen die von Rußland kontrollierte Hemisphäre gerichtete Hegemonialstreben der NATO-Staaten, die die innerimperialistische Konkurrenz zwischen US-amerikanischen und EU-europäischen Interessen dem gemeinsamen Ziel nachordneten, die Ukraine stärker in den eigenen Machtbereich zu manövrieren. Zur materiellen Hilfe, die den vermeintlichen Revolutionären von Agenturen zivilgesellschaftlicher Mobilisierung wie der National Endowment for Democracy (NED), USAID, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Carnegie Endowment for International Peace oder den Open Society-Instituten des Finanzmagnaten George Soros gewährt wurde, gesellte sich der politische Druck westlicher Regierungen. Der damalige Oppositionsführer Viktor Juschtschenko erfreute sich der Unterstützung ukrainischer Neonazis [1] nicht anders, als es heute bei dem insbesondere die Interessen der Bundesrepublik vertretenden Oppositionsführer Vitali Klitschko der Fall ist.

Obwohl die gut organisierten Sturmtruppen der Swoboda-Partei und der neofaschistischen Organisation Rechter Sektor die militante Speerspitze der auf dem Maidan versammelten Demonstrantinnen und Demonstranten bilden, zeichnen sich die Berichterstattung deutscher Medien und die Stellungnahmen deutscher Politiker durch dröhnendes Schweigen ob der neofaschistischen Kumpanei aus, die ihren Zielen in der Ukraine zuarbeitet. Stattdessen wird auf dem Maidan ein Revolutionspathos entfacht, das mit dem Bürgerkrieg kokettiert, den zum Instrument eigener Einflußnahme zu machen problemlos erscheint, solange er nicht die eigene Herrschaft in Frage stellt. So bereiten "ältere Damen" [2] Molotow-Cocktails zu, die mitten in die Reihen einer eher defensiv agierenden Polizei geworfen werden, wie Bilder äußerst aggressiv vorgehender Aktivisten vor zwei Wochen zeigten. Im Deutschlandradio Kultur bekennt die Maidan-Aktivistin Kateryna Mishchenko [2] ihre Freude über die von den Demonstrantinnen und Demonstranten ausgehende Gewalt, eingebettet in die nicht nur auf diesem Sender vorherrschende Darstellung, daß die primäre Gewalt von der amtierenden ukrainischen Regierung ausgehe. Wer die aufwendige Infrastruktur auf dem Maidan, über die Mishchenko berichtet, stellt und finanziert, wird ebensowenig gefragt, wie die Gegenwart neofaschistischer Kräfte auf dem Platz thematisiert wird.

Wer erfahren will, was die Demonstrantinnen und Demonstranten über den Sturz Präsident Janukowitschs hinaus für politische Ziele verfolgen, wird mit einer Leerstelle abgespeist, die durch Freiheit und Demokratie nicht zu füllen ist. Unter diesem Banner wurde bereits vor zehn Jahren ein Protest initiiert, der an den sozialen Verhältnissen in der Ukraine nicht das mindeste geändert hat. Die Herrschaft oligarchischer Kapitalmacht war nach dem Erfolg Juschtschenkos und Julia Timoschenkos so ungebrochen wie zuvor, und welche Vorteile westlichen Wirtschaftsinteressen dadurch auch immer beschert wurden, die massenhafte Armut in der Ukraine blieb bestenfalls unverändert oder wurde weiter vertieft. Wenn die Demonstrantinnen und Demonstranten soziale Forderungen erheben sollten, so wird hierzulande nicht über sie berichtet. Die im Deutschlandradio Kultur ausführlich befragte Autorin Mishchenko berichtet darüber, daß sich auf dem Maidan eine "eigene Kultur, eine eigene Kleidermode" entwickelt habe, was ganz in die Kerbe jener bürgerlichen Revolutionsromantik schlägt, der die Gitarre am Lagerfeuer Symbol für den zivilen Charakter eines Aufstands ist, dem alle Gewaltmittel nachgesehen werden, wenn sie nur den Einfluß der EU und Deutschlands mehren.

Mishchenkos Darstellung, die Demonstrantinnen und Demonstranten "versuchen, auch anders zu denken, und stellen sich selbst als politische Subjekte vor, als diejenigen, die die Opposition jetzt bei ihren Entscheidungen beeinflussen können und auch Druck machen können und müssen, damit die Entscheidungen getroffen werden, die vor allem für die Menschen eine Rolle spielen würden," [2] drückt bereits in ihrer Unentschlossenheit aus, wie wenig sie selbst daran glaubt, daß diese Menschen ihre Interessen in die eigene Hand bekommen werden. Schon die Abwesenheit konkreter Forderungen an die Adresse dominanter Kapitalfraktionen verrät, daß sie Spielball in den Händen derjenigen sind, die bei jedem Ausgang dieses Machtkampfes zu den Siegern zählen. Wie bereits die orangene Revolution gezeigt hat, wissen die die großen Industrien und Kapitale kontrollierenden Oligarchen stets, wann es an der Zeit ist, die Seiten zu wechseln, um auch in Zukunft die Fäden in der Hand zu halten. Wer immer in Kiew an die Macht gelangt, ist für die soziale Lage der Bevölkerung irrelevant.

Deren Hoffnung, durch einen größeren Einfluß der EU materielle Vorteile zu erlangen, ist schon deshalb abwegig, weil die Austeritätspolitik der EU selbst ihr seit langem angehörenden Bevölkerungen immer mehr Butter vom Brot nimmt und schließlich auch das Brot selbst. Zudem haben EU-Funktionäre klar gesagt, daß der mit dem Assoziierungsabkommen eingeleitete neoliberale Strukturwandel den Menschen in der Ukraine weitere materielle Härten auferlegen wird. Ein Blick nach Griechenland oder Portugal reicht aus, um zu wissen, daß die programmatische Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zu Lasten sozialer Daseinsfürsorge und allgemeiner Lohneinkommen geht. Die maßgebliche Rolle, die der militante Nationalismus bei diesem Aufstand spielt, und der sezessionistische Charakter des Konflikts zwischen dem eher Rußland zuneigenden Osten und dem eher zur EU strebenden Westen des Landes unterstreichen den reaktionären, von äußeren Kräften instrumentalisierten Charakter des Aufstands.

Der, wenn man von den neofaschistischen Parolen Swobodas und des Rechten Sektors absieht, fast sprachlose Charakter des Protests auf dem Maidan wird durch das zusehends selbstherrliche Agieren deutscher Politiker mehr als wettgemacht. Wenn Außenminister Frank-Walter Steinmeier ausdrücklich erklärt: "Die Sanktionen müssen wir jetzt als Drohung zeigen", wenn der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok, mögliche Hilfsgelder an die Ukraine an eine Verfassungsänderung und Neuwahlen knüpft [3], wenn der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler verlangt, daß eine EU-Finanzhilfe an eine Interimsregierung gehen müsse, "die natürlich gestellt wird von der Opposition" und "die sich zu politischen und wirtschaftlichen Reformen verpflichtet" [4], dann wird auf ganz und gar undemokratische Weise Druck gemacht. Der Machtkampf spielt sich, wie die Klage deutscher Politiker über die russische Einflußnahme und ihr Versuch, diese zu übertrumpfen, nicht auf den Straßen Kiews ab, sondern in erster Linie zwischen Berlin und Moskau. Wenn dabei Menschen sterben, wird dies, nimmt man nur die Zündelei des deutschen Einflußpolitikers Klitschko, der zur Bildung von Bürgerwehren aufruft und unverhohlen mit einer Eskalation der Gewalt droht, wie üblich unter "Kollateralschäden" verbucht.

Schon 2004 erfüllten lodengrüne Politikerinnen und Politiker, die in der DDR als Bürgerrechtler firmierten, um sich in der BRD am Ausbau kapitalistischer Repression zu beteiligen, ihre uneingelösten Träume von einer rebellischen Jugend in der Ukraine. So bekundete Katrin Göring-Eckart, drapiert mit dem letzten Schrei parlamentarischer Haute Couture, einer orangenen Schleife am Revers, "glücklich" zu sein, "zum zweiten Mal in ihrem Leben bei einer Revolution dabei zu sein", wobei sie realistischerweise nicht hinzuzufügen vergaß, daß es in der Ukraine doch "überhaupt nicht um ein Wohlstandsversprechen" gehe. Man wolle dem Land lediglich das "Trauma" nehmen, immer nur zwischen Fremdinteressen eingeklemmt zu sein (Frankfurter Rundschau, 03.12.2004).

Um aus einer angeblich guten Absicht eine selbsterfüllende Prophezeiung zu machen, werden die Fußtruppen des deutschen Imperialismus unter dem Etikett einer Zivilgesellschaft mobilisiert, die sich auf der Straße als paramilitärisches Umsturzkommando erweist. Diejenigen Demonstrantinnen und Demonstranten, die aus der Verzweiflung ihrer elenden Lage die falschen Schlüsse ziehen, stehen anschließend vor den Trümmern einer Gesellschaft, in der die herrschenden Gewaltverhältnisse erst recht unumkehrbar geworden sind. Damit in der Bundesrepublik nicht die Öfen ausgehen und die Regale der Geschäfte von Luxuswaren überquellen, muß andernorts noch mehr gefroren und gehungert werden. So sehen die "Rechtsstaatlichkeit" und "Zivilisation" [4] aus, an der die Ukraine genesen soll, wenn es nach dem Grünen-Europaparlamentarier Werner Schulz geht, für den die asiatische Gefahr offenbar immer noch ihr drohendes Haupt erhebt. Im Foyer der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung hat derweil eine sogenannte Botschaft der ukrainischen Opposition Stellung bezogen, in der ein 24jähriges Model Dienst tut, das durch Fernsehbilder vom Maidan "politisiert" wurde. Emanzipatorische oder gar sozialrevolutionäre Ziele können da nur stören, das gilt auch für die Bundesrepublik, in der niemand Molotow-Cocktails vorbereitet, weil schon Regenschirme als passive Bewaffnung verfolgt werden.


Fußnoten:

[1] http://globalresearch.ca/articles/BHH411B.html

[2] http://www.deutschlandradiokultur.de/ukraine-ein-neuer-politischer-raum.954.de.html?dram:article_id=276658

[3] http://www.n-tv.de/politik/EU-verhandelt-in-der-Ukraine-article12211071.html

[4] http://www.euractiv.de/ukraine-und-eu/interview/werner-schulz-ber-die-ukraine-das-lasst-bses-ahnen-008343

5. Februar 2014


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