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HERRSCHAFT/1444: Defensive Gewerkschaften suchen ihr Heil bei der SPD (SB)



Mit dem Motto "Arbeit für alle bei fairem Lohn" gaben sich die Gewerkschaften auf den Kundgebungen zum 1. Mai betont moderat. Notwendige Kritik am Kurs der Bundesregierung, das Finanzkapital zu alimentieren und von seine faulen Krediten zu entlasten, blieb weitgehend aus. Man verlegte sich auf die Forderung nach steuerlicher und konjunkturpolitischer Umverteilung von oben nach unten, ohne das Übel eines Kapitalismus beim Namen zu nennen, der auch zwischen seinen zyklischen Krisen sozial grausam agiert und dessen Sachwalter nichts anderes tun, als dem Primat der Verwertung um jeden Preis zu folgen. Die gegen "skrupellose Casinokapitalisten und gewissenlose Spekulanten" gerichtete Anklage des DGB-Chefs Michael Sommer spinnt die Legende fort, daß persönliche Bereicherung der maßgebliche Auslöser der Krise sei, während gleichzeitig für die Fortsetzung eines Wirtschafts- und Gesellschaftssystems auf Basis des Kapitalverhältnisses geworben wird.

Kein Wunder also, daß Gewerkschaften und SPD den Schulterschluß üben, als habe es niemals eine Agenda 2010 gegeben. Kritik am exportorientierten Kurs der deutschen Wirtschaft und am Niederkonkurrieren andere Volkswirtschaften durch Lohnzurückhaltung, an den vielen Vergünstigungen, mit denen das Kapital seit Jahren hofiert wird, am repressiven Charakter des Hartz IV-Regimes und an der mit militärkeynisianischer Ratio ungebrochen fortgeführten imperialistischen Außenpolitik der Bundesregierung blieb weitgehend aus. Das Fortschreiben einer Arbeitsgesellschaft, in der Lohnarbeit nicht nur die zentrale Erwerbsform, sondern auch die Basis gesellschaftlicher Integration und sozialer Anerkennung bildet, korrespondiert denn auch mit neoliberalen Dauerbrennern wie der von CSU-Chef Horst Seehofer aufgegriffenen Formel, daß sozial ist, was Arbeit schafft.

Gewerkschaftsforderungen wie ein drittes Konjunkturprogramm, einer Zwangsanleihe für Reiche, der Erhöhung des Hartz-IV-Satzes und Konsumgutscheine für Gering- und Normalverdiener können die Bundesregierung kaum unter Druck setzen. Da es sich um Maximalpositionen handelt, wird viel auf der Strecke der Zugeständnisse bleiben, die dem Kapital schon mit der Forderung nach dem Erhalt von Arbeitsplätzen durch staatliche Unterstützung an notleidende Unternehmen gemacht werden. Angesichts des nach wie vor unausgeloteten Ausmasses bevorstehender Kreditausfälle bleibt die Tür für Lohnkürzungen und andere Benachteiligungen der Arbeiter mit dem bloßen Appell, Entlassungen zu verhindern, weit offen.

Mit dem Verzicht auf Grundsatzkritik an der kapitalistischen Verwertungsform signalisieren die Gewerkschaften, daß sie zuverlässige Verteidiger herrschender Interessen sind. Die vielbeschworene Sozialpartnerschaft hat schon bisher dazu geführt, daß das Primat des Wirtschaftswachstums auf dem Rücken der lohnarbeitenden und erwerbslosen Bevölkerung ausgetragen wurde. Die Lohnquote hat sich langfristig zuungunsten der abhängig Beschäftigten entwickelt, seit zehn Jahren gehört die Bundesrepublik zu den Schlußlichtern bei der Lohnentwicklung in der EU, dafür ist der Niedriglohnsektor hierzulande einer der größten der Union. Wie sollte sich daran etwas ändern, wenn nicht das Kernargument kapitalistischer Sachzwanglogik, die systemische Unverzichtbarkeit mehrwertgenerierender Produktivität, angegriffen wird?

Daher ist es kein Wunder, daß Gewerkschaftsbosse wie der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber oder der IG BCE-Vorsitzende Hubertus Schmoldt fest an der Seite der Regierungspartei SPD stehen und sich sogar von Sommers verschämtem Winken mit "sozialen Unruhen" distanzieren. Die große Präsenz führender Sozialdemokraten auf den Kundgebungen zum angeblichen Kampftag der Arbeiterklasse stellt ein Angebot an die Gewerkschaften dar, ihre geringe Mobilisierungsfähigkeit durch weitere Anpassung an Kapitalinteressen zu kompensieren und damit zumindest eine gewisse gesellschaftliche Bedeutung zu bewahren.

Die Linke wird mit dem Versuch, es der SPD gleichzutun und moderate Positionen im Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital zu beziehen, allemal Schiffbruch erleiden. Ihre Chance besteht darin, gerade jetzt sozialistisches Profil zu zeigen und die antikapitalistischen Kräfte in der Partei zu stärken. Das dicke Ende des Sozialkampfs steht noch aus und wird sich nur mit Mühe bis hinter die Bundestagswahl verschieben lassen. Wenn deutlich wird, daß die Konsolidierung des kapitalistischen Systems über all jene soziale Grausamkeiten organisiert werden soll, vor denen die Regierungskoalition vor der Wahl noch zurückschreckt, dann verfügt auch eine kleine Bundestagsfraktion der Linken, die sich in außerparlamentarischen Bewegungen verankert, über weit mehr Handlungsmöglichkeiten als eine Kompromißpartei, die ihr Heil wie die SPD in linker Symbolpolitik sucht.

1. Mai 2009