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HERRSCHAFT/1445: Merkel ruft Linke zur herrschenden Ordnung (SB)



Man darf gespannt darauf sein, wie die Führung der Linken auf die Forderung der Bundeskanzlerin Angela Merkel reagiert, man müsse die Partei auch weiterhin an ihrem Verhältnis zur DDR beurteilen. Dabei handle es sich um eine "Grundsatzfrage" und "Wasserscheide", so die Kanzlerin auf einer Gedenkveranstaltung, die unter dem Titel "Vor 20 Jahren - Am Vorabend einer friedlichen Revolution" stand. Jeglicher "Verklärung" der DDR sei strikt entgegenzuwirken, schließlich habe dort das "dichteste System der Überwachung" in der ganzen Welt geherrscht, so die Kanzlerin in gezielter Ablenkung davon, an das sich manch ehemaliger Bürger der DDR heute noch gerne zurückerinnert.

Das ist eben nicht der gut ausgebaute Repressionsapparat des Landes, sondern sein Sozialstaat, der den Menschen Leistungen und Sicherheiten bot, von denen arme Bundesbürger nur träumen können. Wenn hierzulande von Sicherheit die Rede ist, dann ist meist das bundesrepublikanische Pendant zur Staatssicherheit der DDR gemeint, mit dem unter anderem verhindert werden soll, daß die Bürger ihre Ansprüche auf militante Weise artikulieren oder das Land verlassen wollen, um eine internationale Protestveranstaltung zu besuchen.

Für die dick aufgetragene Schwarzweißmalerei, mit der die etablierten Parteien den Bundestagswahlkampf bestreiten, muß die seit bald 20 Jahren nicht mehr existierende DDR herhalten, weil es in der heutigen BRD immer weniger zu verteilen, dafür aber immer mehr an Zumutungen, die die Freiheitslyrik der Kanzlerin zur Karikatur verkommen lassen, zu schlucken gibt. Massive Sozialrepression nach Hartz IV ist das Ergebnis neoliberaler Konzepte, in denen der Kapitalismus ungeschminkt in seiner ganzen Menschenfeindlichkeit zutage tritt. "Wahrheit ist das Fundament der Demokratie", behauptet Merkel und erklärt die DDR zum "Unrechtsstaat", in dem man ein Leben in Angst und Lüge hätte führen müssen. Mit dieser Gegenüberstellung belegt die Kanzlerin, daß Wahrheit ohne die Macht, sie durchzusetzen, nichts gilt, daß diese vorgeblich absolute Instanz an Herrschaftspraktiken gebunden ist, die sich für die davon Betroffenen als Unterdrückung darstellen, daß die Verifizierung dieser Wahrheit grober Kontraste bedarf, wenn sie nicht in ihrer einseitigen Bevorteilung bestimmter Gruppen der Gesellschaft dechiffriert werden soll.

Merkels Versuch, die Linke mit dem Unrechtsstigma vor sich herzutreiben, hat leider häufig genug funktioniert. Ob aus Ost- oder Westdeutschland, viele Mitglieder dieser Partei sind für totalitarismustheoretische Birnen-mit-Bananen-Vergleiche ebenso anfällig wie für ideologische Imperative, denen sie sich vermeintlich zu beugen haben. Kurz gesagt, die Linke ist zu brav, um in diesem Land wirklich etwas zu verändern. Um das herrschende kapitalistische Verwertungsmodell wirksam in Frage zu stellen bedarf es angesichts der Insistenz, mit der es alimentiert und restauriert wird, mehr als zaghafter reformistischer Alternativvorschläge. Wenn die Wahrheit der Bundesrepublik in krasser sozialer Ungerechtigkeit und in der Mißachtung des völkerrechtlichen Gewaltverbots liegt, dann braucht sich niemand der Lüge bezichtigen zu lassen, der ihre explizite Inanspruchnahme als Mittel der Einschüchterung und Unterwerfung angreift.

Wenn die Linke sich nicht auf der Seite der von diesem System unterdrückten, ausgebeuteten und ausgegrenzten Menschen stellt, dann wird sie zu Kreuze nicht nur einer vorbehaltlosen Verdammung der DDR im Sinne der BRD-Staatsräson kriechen müssen, dann muß sie noch so manche Kröte schlucken, um von grünen und sozialdemokratischen Opportunisten ein parlamentarisches Gnadenbrot zu erhalten. Der grüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland hat heute im Deutschlandradio erklärt, daß mit einer Linken, die in der Außenpolitik "jegliches militärgestütztes Handeln" ablehnt, die den Vertrag von Lissabon und die eine große Umverteilung von oben nach unten im Programm hat, keine Koalition und kein Staat zu machen ist. Die Politiker der Linken wissen also, was von ihnen erwartet wird, wenn sie weiterhin mit Abgeordnetendiäten und Staatssalär ein einträgliches Auskommen frönen wollen.

Nur wer nicht regierungs- und salonfähig ist, kann eine linke Politik betreiben, die nicht nur auf der Höhe der Wirtschaftskrise ist, sondern die den Kapitalismus in Gänze verwirft und mit unbescheidenen Forderungen für dessen Opfer kämpft. Um nicht nur auf rituelle, sondern reale Weise Oppositionspolitik zu betreiben, bedarf es des Muts, den von Merkel mit zivilreligiöser Inbrunst eingeforderten Konsens der Guten und Gerechten aufzukündigen und einen politischen Kampf zu führen, in dem alle verfassungsrechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden und der zudem in sozialen Bewegungen, die von etablierten Parteien ohnehin nichts mehr erwarten, verankert ist. Daß man sich dabei ins Unrecht setzen kann, ist kein Ergebnis absoluter Werte, sondern des Wissens, daß die in Anspruch genommene Moral von denr über sie vermittelten Interessen nicht zu trennen ist.

8. Mai 2009