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HERRSCHAFT/1467: NASA-Weltkarte - Die Domestizierung des Menschen (SB)



Die wirksamste Form von Herrschaft ist keinesfalls die, bei der sich die Beherrschten vollständig selbst kontrollieren, sondern die, bei der ihnen selbst die Erinnerung an eine Auflehnung verloren gegangen ist. Die Spezies Mensch hat zwar eine Entwicklungsrichtung eingeschlagen, bei der offenbar Herrschaft und Beherrschbarkeit von der sozialen Matrix der Vergesellschaftung in einen biologischen Entwurf übergehen, so daß die Herrschaft des Menschen über den Menschen unumstößlich und, wenn man so will, in den Genen verankert wird. Aber noch ist es nicht so weit, noch müssen die Menschen überwacht und kontrolliert werden. Solange der Begriff "Herrschaft" existiert, gilt dies auch für ihre Überwindung.

Wie fortgeschritten aber die Entwicklung bereits gediehen ist, zeigt die durchgängig positive Wiedergabe einer Meldung der US-Weltraumbehörde NASA, derzufolge sie die bisher umfangreichste Höhenkarte der Erde erstellt habe. Zusammengesetzt aus beinahe 1,3 Millionen Stereobildern decke die Karte 99 Prozent der Erdoberfläche ab. Höhenunterschiede von rund 30 Metern könnten identifiziert werden. Und das tollste: Jedermann kann die topographische Karte im Internet einsehen.

Im Mensch-Tier-Verhältnis entspräche das menschliche Verhalten, unkritisch auf den technologischen Fortschritt zu reagieren, einer Domestizierung: Der Hund wird von früh auf an die Leine gewöhnt; das Pferdefohlen lernt, die Trense zu akzeptieren; dem Vogel bereitet der Blick, der nicht durch Gitterstäbe führt, Angst; der Guppy schwimmt folgsam zur Öffnung an der Aquarienabdeckung, um sein Futter in Empfang zu nehmen. Und der Mensch? Er klickt die NASA-Website an, um sich über das neueste Hightech-Erzeugnis auf dem Gebiet der Spionage- und Überwachungstechnologie zu informieren.

Der an dieser Stelle naheliegende Einwand, daß der US-Satellit "Terra" mit dem japanischen Instrument Aster (Advanced Spaceborne Thermal Emission and Reflection Radiometer) an Bord keinesfalls der Überwachung der Bevölkerung, sondern ungeheuer nützlichen Dingen wie Katastrophenhilfe, Beobachtung des Waldverlustes durch illegalen Holzschlag und vielerlei wissenschaftlichen Studien als Grundlage dient, greift zu kurz. Die topographischen Daten wie auch die Technologie, sie zu erfassen, sind letztlich Spin-off-Effekte des Militärischen und haben sich von ihrer Herkunft nicht emanzipiert.

Es waren Militärs, die die ersten Satelliten ins All schossen, und die ersten Menschen im All waren Kampfpiloten. Daß die NASA als eine angeblich zivile Behörde gegründet wurde, ist nicht zuletzt dem Umstand zuzuschreiben, daß sich die USA zu Beginn des Raumfahrtzeitalters ab Ende der 1950er Jahre gegenüber dem Systemgegner Sowjetunion technologisch im Hintertreffen befanden und vom All aus angreifbar waren. Zu dem Zeitpunkt wollte man einen Rüstungswettlauf vermeiden.

Seitdem waren es die Geheimdienste, die den Ausbau der Satellitensysteme vorantrieben und Fernbeobachtungsfähigkeiten entwickelten, bei denen vom All aus Objekte von deutlich unter 10 Zentimeter Größe unterschieden werden können. Auch die Wetterbeobachtung, die als eine frühe Form der zivilen Nutzung von Satellitendaten gilt, sollte nicht zuletzt den Militärs kampfentscheidende Informationen liefern.

Als das US-Shuttle "Endeavour" im Februar 2000 mit dem deutschen Missionsspezialisten Gerhard Thiele an Bord erstmals ein umfassendes Höhenprofil von 80 Prozent der Erdoberfläche erstellt hat, war abgesehen von der NASA und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) auch die National Imagery and Mapping Agency (NIMA) an dem Projekt beteiligt. Die Aufgabe der NIMA bestand darin, Spionagedaten zu liefern. Wie selbstverständlich überflog das US-Shuttle auch Staaten wie Rußland oder China.

Ob die von der NASA und ihrem Partner, dem japanischen Wirtschaftsministerium, jetzt zusammengestellten Geodaten auch für militärische Zwecke wie beispielsweise die Zielführung von Cruise Missiles, die sich an einem programmierten Höhenprofil, wenngleich aus relativ geringer Flughöhe aufgenommen, verwendet werden, ist nicht bekannt und auch nicht von entscheidender Relevanz. Künstliche Trabanten im Erdorbit sind eine Herrschaftstechnologie. Dem widerspricht nicht, daß sie als nützlich angesehene Dienste leisten, wie beispielsweise die Kommunikation per Mobiltelefon zu gewährleisten oder den Datenstrom des Internets zu bahnen - beide Kommunikationsarten haben übrigens einen militärischen Ursprung.

Die Weltkarte der NASA symbolisiert und verharmlost den globalen Zugriffsanspruch der USA und ihrer Verbündeten. Daran ändert auch die Partizipation aller Menschen, die Zugang zum Internet haben, an der Nutzung der Weltkarte nichts. Im Gegenteil, es zeigt, daß sich die Idee des Gemeinschaftlichen, der Community, durch die globale Vernetzung herrschaftsdienlich instrumentalisieren läßt.

2. Juli 2009