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HERRSCHAFT/1511: Machthaber verwehren Zelaya Ausreise nach Mexiko (SB)



Triumph der Oligarchie durchsetzt mit der Furcht vor den Unterdrückten

In einer Mischung aus Rachsucht, Triumphgefühl und Furcht, vielleicht aber auch schlichtweg im gnadenlosen Kalkül ihres Machterhalts, wollen die honduranischen Eliten den gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya, dessen Rückkehr ins Amt sie erfolgreich verhindert haben, vor Gericht zerren und aburteilen. Wenngleich die im Stil eines geplanten Schauprozesses fabrizierten Vorwürfe in ihrer Absurdität den diktatorischen Charakter dieses Regimes von Gnaden der Oligarchie offen zu Tage fördern, können sich die Putschisten nicht geringe Hoffnungen machen, daß auch dieser Coup von der Regierung der Vereinigten Staaten und in deren Kielwasser Opportunisten in der Region wie auch in Europa anerkannt wird. Zelaya zu verurteilen, würde der Legalisierung des Staatsstreichs die Krone aufsetzen und ein weiteres Mal vollendete Tatsachen schaffen, die der Geschichtsrevision Vorschub leisten.

Die in wesentlichen Teilen von ihren Zwingherren in Washington geborgte Stärke der honduranischen Machthaber ist unterlagert von dem zwangsläufigen Bangen einer reichen Minderheit, die auf dem Rücken der verelendeten Bevölkerung reitet und dies mit der Waffengewalt der Militärs und der Predigt von der Kanzel zur gottgefälligen und menschenfreundlichen Ordnung erklärt. Ein lernfähiger Repräsentant der herrschenden Klassen wie Manuel Zelaya, der als Großgrundbesitzer und Kandidat der konservativ-reaktionären Liberalen Partei wie die machterhaltende Idealbesetzung im höchsten Staatsamt wirkte, doch im Laufe seiner Präsidentschaft unverhofft mit seinen armen Landsleuten und dem bolivarischen Bündnis zu sympathisieren begann, bringt soviel Sprengkraft in den Monolithen der Oligarchie, daß dieser gerade wegen seiner Versteinerung um so explosionsartiger und irreparabler zu zerspringen droht.

Daß man ein neofeudales Gesellschaftssystem, das von zehn mächtigen Familien dominiert und kontrolliert wird, allen Ernstes als Musterland der Demokratie in Mittelamerika feiern soll, ist nicht gerade einleuchtend. Folglich bedarf es eines beträchtlichen Aufwands an Lug und Trug, um Marionetten wie Roberto Micheletti freie Hand zu lassen und die von den Putschisten inszenierte Wahlfarce für recht und billig zu erklären. Die honduranische Widerstandsbewegung arbeitet jedenfalls nach Kräften weiter daran, daß Menschen in wachsender Zahl und Entschlossenheit erkennen, daß ihre Not eine Ursache hat, die man abschaffen kann.

Manuel Zelaya physisch von seinen Parteigängern und Anhängern zu trennen, war ein zentrales Motiv des Umsturzes, was dessen in Teilen befremdliche Durchführung erklären könnte. Es war ja unter anderem gerätselt worden, warum man den Präsidenten nicht kurzerhand festgenommen und unter Anklage gestellt, sondern gewaltsam nach Costa Rica transportiert hat, wodurch er sich in der Folge Gehör verschaffen und seine Rückkehr auf die Tagesordnung setzen konnte. Wenngleich Interessenkonflikte der am Staatsstreich beteiligten Fraktionen natürlich nicht auszuschließen sind, machte es doch aus Perspektive der Putschisten Sinn, die Entmachtung Zelayas einerseits für rechtmäßig zu erklären, ihn andererseits aber so weit von seiner Anhängerschaft zu entfernen, daß er nicht mehr als Katalysator massenhaften Aufbegehrens wirksam werden konnte.

Die Vorstellung eines von Zehntausenden Menschen umringten Zelaya, dessen Worten nicht nur im übertragenden Sinn die Mehrheit der Bevölkerung lauscht, weil er zumindest angedeutet hat, daß Armut kein Schicksal ist, muß den Putschisten noch immer Alpträume bereiten. Sie hätten viel mehr Anlaß, die Widerstandsbewegung und nicht so sehr Zelaya zu fürchten, da erstere in ihren radikalsten Entwürfen längst erheblich weiter greift als der entmachtete Präsident. Zelaya bleibt jedoch das prägnanteste und vermeintlich greifbarste Symbol der Unbotmäßigkeit und damit für seine Gegner die Personifizierung einer Veränderung, die sie um jeden Preis zu verhindern trachten. Da man Millionen zu allem entschlossene Honduraner nicht daran hindern könnte, die Machthaber wegzufegen, bleibt als strategische Alternative nur die dauerhafte Neutralisierung ihres Präsidenten in der Hoffnung, dem Aufbegehren auf diesem Weg den Kondensationskern zu nehmen, um den sich eine Wolke wachsenden Unmuts sammeln und zum Gewittersturm auswachsen könnte.

Dieser Logik folgend, hat das Regime Zelayas Ersuchen um freie Ausreise nach Mexiko eine Absage erteilt. Wie "Außenminister" Carlos Lopez Contreras erklärte, betrachte die Regierung dessen Antrag auf einen Passierschein als "unangebracht". Damit sitzt der legitime Präsident des mittelamerikanischen Landes weiterhin in der brasilianischen Botschaft in Tegucigalpa fest, die ihm seit seiner heimlichen Rückkehr in die Hauptstadt Ende September Schutz vor seinen Widersachern gewährt.

Die mexikanische Regierung hat Zelaya und seiner Familie Asyl angeboten und zu diesem Zweck freies Geleit in Honduras beantragt. Ein Flugzeug, das die vom honduranischen Regime Verfolgten aufnehmen sollte, mußte nach der Absage der Machthaber nach El Salvador umgeleitet werden. Zelaya unterstrich in einem Telefonat mit dem US-amerikanischen Sender CNN, er sei bis zum 27. Januar 2010 legitimer Präsident und wolle als Gast, nicht jedoch als Asylsuchender nach Mexiko reisen. (www.zeit.de 10.12.09)

Da Manuel Zelaya beim Verlassen des brasilianischen Botschaftsgeländes eine Verhaftung wegen Hochverrats, Machtmißbrauchs, Mißachtung der Justiz und anderer fabrizierter Bezichtigungen droht, bedarf er einer Garantie, das Land ungehindert verlassen zu können. In einer von den meisten Regierungen Lateinamerikas nicht anerkannten Wahl war Ende November der Großgrundbesitzer und Agrounternehmer Porfirio "Pepe" Lobo von der konservativen Nationalen Partei zum neuen honduranischen Staatschef gewählt worden. Unmittelbar danach hatte das Parlament in einer bis dahin verzögerten Abstimmung Zelayas Ansinnen, bis zum Ablauf seiner regulären Amtszeit Ende Januar wieder in das Amt eingesetzt zu werden, abgeschmettert. (www.nzz.ch 10.12.09)

Der Sieg der Putschisten ist jedoch erst dann unter Dach und Fach, wenn Manuel Zelaya aller Möglichkeiten beraubt bleibt, aktiv mit der Bewegung des Widerstands zusammenzuarbeiten. Ihn festzunehmen und zu einer langjährigen Haftstrafe zu verurteilen, wäre aus Sicht des Regimes der sicherste Weg, seine diesbezüglichen Optionen massiv und dauerhaft zu beschneiden. Das zu erreichen, ist den Machthabern offenbar kein Preis zu hoch, weshalb sie trotz ihrer weitreichenden Erfolge noch immer nicht einlenken und der von ihnen selbst proklamierten "Rückkehr zur Normalität" den Zuschlag geben. Normalität kann für die herrschende Oligarchie nur die restlose Eindämmung des Störfaktors Zelaya bedeuten, der ihnen beim Genuß ihrer Pfründe nie mehr in die Suppe spucken soll.

10. Dezember 2009