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HERRSCHAFT/1522: Gleicher als gleich ... im Spaßmobil in voraufklärerische Zeiten (SB)



Die von Guido Westerwelle angestoßene Debatte um soziale Gerechtigkeit zielt darauf ab, das humanistische Ideal der Egalität durch das marktfundamentalistische Kriterium der Leistungsgerechtigkeit abzulösen. Sie soll, im Einklang mit der neokonservativen Sozialanthropologie US-amerikanischer Genese, letztlich einen Paradigmenwechsel im Bild vom Menschen bewirken. Der grundgesetzliche Gleichheitsanspruch wird als Ausbund "sozialistischer" Gleichmacherei niedergemacht, indem sein normativer Charakter, an dem die Lebensverhältnisse ganz unterschiedlicher Menschen ausgerichtet werden, gezielt verleugnet wird. Daß Menschen ganz unterschiedliche Individuen sind, haben die bürgerlichen Revolutionäre, deren Ruf nach "égalité" die rechtliche und staatsbürgerliche Gleichstellung der Menschen bezweckte, nie bestritten. Das Gleichheitsgebot wurde als Menschenrecht konzipiert, es meint den diskriminierungsfreien Umgang des Staates mit dem einzelnen Bürger und letztlich jedem Menschen.

Im Deutschlandfunk (16.02.2010) zieht Westerwelles Vorgänger als Parteichef gegen diese linke Häresie zu Felde. Es sei falsch, an eine "absolute soziale Gerechtigkeit" zu glauben, denn die Menschen seien "nicht gleich", räsoniert Wolfgang Gerhardt, um das Gleichheitsgebot mit unlauteren Mitteln zur Strecke zu bringen. Jeder weiß, daß "absolute soziale Gerechtigkeit" mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung unvereinbar ist. Wer kein Kommunist ist, strebt sie daher auch nicht an. Gerhardt bedient sich des billigen Tricks, den Anspruch auf soziale Gerechtigkeit so hoch zu hängen, daß man bei dem Versuch, ihn auch nur zu denken, scheitern muß.

Was im einen Fall vergeblich ist, soll im andern auch nicht funktionieren, denkt sich der schlaue Mann und setzt zwei ethische Postulate miteinander gleich, die man gar nicht hätte aufstellen brauchen, wenn sie keine jeweils eigenständige Bedeutung hätten. Indem er den gesellschaftlichen Anspruch auf soziale Gerechtigkeit, der aus unterschiedlichen Interessen und ihrer Durchsetzung resultiert, mit der platten Empirie offensichtlicher menschlicher Ungleichheit in eins fallen läßt, dementiert er die Gültigkeit des Anspruchs auf soziale Gerechtigkeit:

"Die Menschen haben unterschiedliche Fähigkeiten, es gibt einen Zufall, der bei der Kombination unserer Erbanlagen waltet, den Schulen nur bedingt ausgleichen kann. Es gibt eben Menschen, die mit einer Chance sofort etwas anfangen können und aus Hartz IV herauskommen, und es gibt Menschen, denen Sie zehn Chancen anbieten können, die nicht herauskommen. Damit müssen wir fertig werden, deshalb soll niemand in Not kommen. Aber die Priorität muss in der Orientierung der Teilhabe liegen."
(Deutschlandfunk, 16.02.2010)

Mit diesem Äpfel-und-Birnen-Vergleich wird eine sozialrassistische Anthropologie stark gemacht, die das humanistische Anliegen, den Menschen zumindest rechtlich gleichzustellen, in einen Vorwand zu seiner Unterjochung verwandelt. Weil die Menschen unterschiedlich sind, soll der eine Herr und der andere Sklave sein. Das erbbiologische Begründungskonstrukt Gerhardts belegt den Nutzen der positivistischen Erkenntnismethodik, mit Hilfe derer die unter Liberalen besonders beliebten Life Sciences der Sicherung herrschender Interessen zuarbeiten. Die neokonservative Marschrichtung, die Guido "Spaßmobil" Westerwelle mit seinem Besuch bei Big Brother eingeschlagen hat, nimmt in der voraufklärerischen Ideologieproduktion seines Vorgängers als Parteichef der FDP ihren absehbaren Lauf.

16. Februar 2010