Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1594: Bahrain ist nicht Libyen - Doppelzüngigkeit westlicher Nahostpolitik (SB)



Die um sich greifenden politischen Turbulenzen in Nordafrika und dem Nahen Osten bringen Regime ins Wanken, deren Sturz die in Jahrzehnten etablierte Struktur einer Statthalterschaft im Dienst westlicher Mächte zu erschüttern droht. Der strategische Entwurf, den Islam als Feindbild in einem Kampf der Kulturen mit den Errungenschaften von Demokratie und Menschenrechten zu kontrastieren, schlägt auf seine Urheber zurück, wenn die Menschen in den Vasallenstaaten diese Rechtsansprüche für sich reklamieren und sich gegen despotische Herrschaftsformen erheben. Plötzlich sehen sich die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Verbündeten mit Volksaufständen gegen eben jene regionalen Machthaber konfrontiert, die man bislang protegiert und alimentiert hat, da sie als Garanten repressiver Stabilitätspolitik unverzichtbare Dienste der Unterdrückung nach innen und Frontstellung nach außen leisteten.

Der große Feldzug zur Durchsetzung der neuen Weltordnung, in dessen Verlauf die Schlachten von heute zur Vorbereitung der Schlachten von morgen geschlagen werden, trug das Banner der Suprematie westlicher Werte tief ins proklamierte Feindesland hinein. Nun hat die beispiellose Doppelzüngigkeit, im Namen von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten je nach Bedarf Angriffskriege zu führen oder repressive Regime zu protegieren, Geister gerufen, die sie nicht mehr los wird. Wie Partisanen weit hinter der Front tief im okkupierten Hinterland brechen sich nicht im entferntesten antizipierte Bewegungen Bahn, die gleich einer Kettenreaktion den Charakter der Unaufhaltsamkeit annehmen könnten.

Die Zweischneidigkeit westlicher Doktrin tritt im Versuch, die Erhebung zu bändigen, bevor sie sich anschickt, an den gesellschaftlichen Fundamenten ihrer Unterworfenheit ernsthaft zu rütteln und auf deren hegemoniale Hintermänner zu schließen, unübersehbar zutage. Die USA ließen 32 Milliarden Dollar libyschen Vermögens auf amerikanischen Konten einfrieren, um den "Diktator" Muammar Gaddafi zum Rücktritt zu bewegen. Dessen "Regime" habe seine "Legitimität" verloren, erklärte US-Präsident Barack Obama, während der UN-Sicherheitsrat auf Druck der USA und ihrer Verbündeten Frankreich und Großbritannien ein Waffenembargo über Libyen und finanzielle und diplomatische Sanktionen gegen die Führungsmitglieder der Regierung in Tripolis verhängte.

Überdies ist Gaddhafi der erste amtierende Staatschef, den der Sicherheitsrat in einem einstimmigen Votum wegen des Verdachts der Verbrechen gegen die Menschlichkeit beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angezeigt hat. Das US-Finanzministerium hat das Vermögen des libyschen Außenministers Mussa Kussa ebenso eingefroren wie das von 16 Unternehmen unter der Kontrolle Gaddafis. Zudem dürften US-Bürger keine Geschäfte mehr mit den libyschen Firmen im Öl-, Energie-, Luftverkehr-, Banken- und Investmentsektor machen. Damit nicht genug, berät der Sicherheitsrat weiterhin über die Verhängung einer Flugverbotszone über Libyen, die durchzusetzen der Eröffnung eines Angriffskriegs gleichkäme.

Unterdessen sind in Bahrain 1200 Soldaten Saudi-Arabiens und 800 aus den Vereinigten Arabischen Emiraten einmarschiert, um das Aufbegehren der schiitischen Mehrheitsbevölkerung gegen das Regime der sunnitischen Königsfamilie Al Khalifa niederzuschlagen. Die Soldaten gehören einer Eingreiftruppe des Golfkooperationsrats an und haben "für Sicherheit und Ordnung zu sorgen", wie der Regierungsberater und frühere Informationsminister Nabil al-Hamer erklärte. Nach Angaben der regierungsnahen Tageszeitung "Gulf Daily News" sollen die ausländischen Truppen wichtige Teile der Infrastruktur sichern, Regierungseinrichtungen und Gebäude der Finanzbranche schützen sowie die Energie- und Trinkwasserversorgung gewährleisten. [1]

Der Golf-Kooperationsrat, dem Saudiarabien, Kuwait, Katar, Oman, die Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain angehören, hatte dem Königshaus wiederholt seine Unterstützung zugesichert. Als sich die Lage in der Hauptstadt Manama weiter verschärft hatte, forderte die bahrainische Regierung die Hilfe der Nachbarländer an. In einer Fernsehansprache forderte Kronprinz Salman bin Hamad Al Khalifa die Behörden zu einem härteren Vorgehen auf, da "das Recht auf Ordnung und Sicherheit" über allem stehe.

Inzwischen haben Sicherheitskräfte den Protest von rund 500 Regimegegnern auf dem zentralen Perlenplatz in der Hauptstadt mit Tränengas und scharfen Schüssen zerschlagen. Offiziellen Angaben zufolge starben zwei Polizisten auf dem Perlenplatz, während aus Oppositionskreisen verlautete, daß auch fünf Demonstranten getötet worden seien. Der König hat den Ausnahmezustand verhängt, für die Innenstadt von Manama gilt ein Ausgehverbot von 16.00 bis 4.00 Uhr. Mehrere Durchgangsstraßen wurden von Soldaten gesperrt, das Telefonnetz fiel in einigen Vierteln aus, Banken, Schulen, Universitäten und die Börse blieben geschlossen. [2]

Die Opposition erklärte, der Einsatz ausländischer Soldaten komme einer Besetzung und Kriegserklärung gleich. Regimegegner protestierten vor der saudischen Botschaft in Manama gegen den Einsatz von Truppen aus anderen Golfstaaten in Bahrain. Die schiitische Bevölkerungsmehrheit fordert ein Ende der Diskriminierung und mehr Machtbefugnisse für das gewählte Parlament. Seit den ersten gewaltsamen Zusammenstößen ruft ein Teil der Demonstranten zum "Sturz des Regimes" auf.

Wie regieren die Vereinigten Staaten und die Regierungen Europas auf diese Eskalation? Drohen sie mit einer Intervention, verhängen sie Sanktionen, richten sie konkrete Forderungen an die Regierungen in Manama und Riad? Wachsweich schwadronierte Außenministerin Hillary Clinton von einem "provokativen Akt und der konfessionellen Gewalt". Sie habe in einem Telefongespräch mit dem saudischen Außenminister Prinz Saud al Faisal betont, daß sich die ausländischen Soldaten für einen Dialog zwischen der Regierung und der Protestbewegung in Bahrain einsetzen müßten: "Wir rufen alle Seiten in Bahrain zur Ruhe und Zurückhaltung auf." Ähnlich vage verlangte auf deutscher Seite der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer, der innenpolitische Konflikt in Bahrain müsse durch einen Dialog zwischen Regierung und Opposition und nicht mit ausländischen Truppen gelöst werden.

"Es gibt keine militärische Lösung für die Unruhen in Bahrain oder in irgendeinem anderen Land der Region", erklärte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, als sei die unmittelbar bevorstehende Intervention in Libyen nicht existent. Es handle sich um keine Invasion Bahrains, spielte er den Einmarsch ausländischer Truppen herunter. Man rufe die Saudis, alle anderen Mitglieder des Golf-Kooperationsrats und die Führung Bahrains zur Zurückhaltung auf. Man sei der Überzeugung, daß nicht Niederschlagung, sondern der politische Dialog das geeignete Mittel sei, mit den Unruhen in Bahrain und anderen Ländern der Region umzugehen. [3]

Nachdem Intervention und massive Repression vollendete Tatsachen geschaffen haben, bestätigt der Aufruf zu Mäßigung und Dialog, daß dies mit Wissen und Billigung der US-Regierung geschehen ist. Bahrain ist ein bedeutender Öl- und Gaslieferant, die US-Marine unterhält einen Stützpunkt ihrer Fünften Flotte im Königtum, die für ihre Operationen in der gesamten Region von außerordentlicher Bedeutung ist. Um keinen Preis darf das Aufbegehren in Bahrain eskalieren oder gar auf Saudiarabien oder andere Verbündete übergreifen. Die Demonstranten in Manama skandierten in Sprechchören: "Keine Sunniten, keine Schiiten, einfach nur Bahrainer!" [4] Das ist eine Botschaft, die sowohl den Regimes in der Golfregion, als auch der US-Regierung schlaflose Nächte bereiten dürfte.

Anmerkungen:

[1] Nachbarländer eilen Bahrains König zu Hilfe (14.03.11)
NZZ Online

[2] Sieben Tote - Deutsche sollen Bahrain verlassen (16.03.11)
http://www.welt.de/politik/ausland/article12848446/Sieben-Tote-Deutsche-sollen-Bahrain-verlassen.html

[3] U.S.-Saudi Tensions Intensify With Mideast Turmoil (15.03.11)
New York Times

[4] Bahrain: Gulf states intervene against mass protests (15.03.11)
World Socialist Web Site

16. März 2011