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HERRSCHAFT/1639: Revanche für 2010 ... die Stunde der Gauckisten (SB)



Und einmal mehr schlägt die Stunde Joachim Gaucks. Wer seine nicht zustandegekommene Präsidentschaft mit bitterem Ressentiment gegen das Machtkalkül der Kanzlerin beklagen mußte, kann sich in diesen Stunden deutscher Schande eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen. Der amtierende Bundespräsident wird in aller Öffentlichkeit in einem Prozeß scheibchenweiser Enthüllungen zerlegt, der kaum peinlicher sein könnte, so daß selbst der mitleidige Reflex vieler Bürger, in ihm ein Opfer der Springer-Kamarilla zu sehen, unter den Trümmern eines moralischen Scherbengerichts begraben wird. Ganz unabhängig davon, wie läßlich seine Sünden sein mögen und wie sehr sie in seinen Kreisen zur Normalität karrieristischer Durchsetzung gehören, die Affäre um Christian Wulff hat längst die Eigendynamik eines medialen Dramas angenommen, an dessen Ende ein Kopf rollen muß.

Befeuert wird das Spektakel um die Vergehen des Präsidenten eines Landes, dessen Eliten so tief im Sumpf systematisch produzierter Bigotterie stecken, daß eine an führenden Repräsentanten vollzogene Katharsis schon aus Gründen notwendiger Hygiene hin und wieder erfolgen muß, zusehends auch von Mitgliedern der eigenen Partei. Hier muß noch manche Rechnung offen sein, denkt man etwa an den Vorstoß der CDU-Politikern Vera Lengsfeld, die am 4. Januar den Rücktritt Wulffs forderte und gleichzeitig Gauck als möglichen Nachfolger ins Gespräch brachte. Woher der Wind in der Kampagne zur rückwirkenden Korrektur der Präsidentschaftswahl 2010 weht, läßt sich anhand der politischen Positionen der glühenden Antikommunistin Lengsfeld exemplarisch studieren. Der Wind weht aus der rechten Ecke einer neokonservativen Offensive, die die Rettung des Abendlandes in den Salons des arrivierten Bürgertums und den Zentralen der Kapitalmacht propagieren kann, weil sie den offenkundigen Rassismus brauner Horden als Leistungsdoktrin globaler Gewinner systemkonform verdaulich macht. Die krude Gewalt sozialchauvinistischer Herrschaft verbleibt dabei außerhalb des gesellschaftlichen Diskurses, ist doch die Sprachlosigkeit der Subalternen programmatisches Element ihrer nicht zuletzt mit dem Mittel massenmedialer Irreführung arbeitenden Unterdrückung.

Wes Geistes Kind eine Vera Lengsfeld ist, bewies sie als Laudatorin bei der Verleihung des Ehrenpreises der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Aachen an Hendryk M. Broder Anfang Dezember. Ohne diesen sei "die geistige Öde in Deutschland noch größer, der Diskurs noch konformer", behauptete die sogenannte Bürgerrechtlerin, deren Nonkonformität, die ihren Ruhm als Dissidentin in der DDR begründete, in der BRD allerdings so herrschaftskonform daherkommt, daß sie bei aller Selbststilisierung zum Opfer einer angeblich linken Diskurshegemonie schlicht nichts auszustehen hat, das ihr besonderen Mut attestieren könnte. Broder "Witz und Mut" zu attestieren bringt die intellektuelle Wüste denn auch nicht zum Blühen, sondern läßt sie zu einem Biotop elitärer Selbstvergewisserung verkommen, in dem die Fruchtbarkeit kritischer Debatten zur Bescheidenheit professioneller Legitimationsproduktion verkümmert. In Aachen bewies der angeblich so streitbare Geist des Geehrten einmal mehr, daß sein Geschäft, den herrschenden Konsens nach ganz rechts gewendet im Klartext zu kolportieren, nichts als kleinbürgerliche Ressentiments bedient. Seine Apologie eines Staates Israel, über dessen inhärenten Rassismus hierzulande nicht reden zu können Sinn und Zweck seines demagogischen Feldzugs gegen angebliche linke Antisemiten ist, mündete auch dieses Mal in Ausfälle gegen ein "alternatives, friedensbewegtes, rotes Pack", aus denen der Haß auf alles spricht, das sich der neokonservativen Hegemonie nicht unterwirft [1].

Der von Lengsfeld als Wulff-Nachfolger ins Gespräch gebrachte Gauck [2] dürfte ein Kandidat ganz im Sinne Broders sein. Wer Krieg für Menschenrechte predigt, untermauert von der gravitätischen Statur eines Profis klerikaler Indoktrination, wer Herrschaft nur da kritisiert, wo es dem Kapital nicht wehtut, ist der Mann der Stunde in einem Staat, dem die militärische Notwendigkeit seines Expansionsstrebens unter den Nägeln brennt. Wer wie Gauck ausdauernd über staatliche Repression in der DDR klagt und den modernen Sicherheitsstaat als Ausbund der wehrhaften Demokratie lobt, wer mit der Bibel unter Arm Gerechtigkeit predigt und das Zwangsregime Hartz IV als notwendige Maßnahme gutheißt, der kann einen Souveränitätsanspruch verkörpern, der den nominellen Souverän noch mehr vergessen läßt, daß er mit exekutiver Zwangslogik seiner verfassungsrechtlichen Handlungsfähigkeit beraubt wird.

Mit einem Gauck als Bundespräsidenten wäre auch dieser Posten an der staatlichen Legitimationsfront mit einem Vorkämpfer eurozentrischer Suprematie besetzt, wie man ihm beim Navigieren im schweren Fahrwasser der tief ins soziale Fleisch der Bevölkerungen schneidenden Krise des kapitalistischen Weltsystems braucht. Leistungsverweigerern, Parallelgesellschaften und Linken muß der Kampf angesagt werden, wenn die Republik dem Ansturm äußerer und innerer Feinde gewachsen sein will. Wo ein Broder das kulturkämpferische Credo künftiger Kriege mit grober Keule niederfahren läßt, versteht sich ein Gauck auf die feine Klinge einer Freiheitspredigt, die am Ende nichts anderes will als die Herrschaft der Gewinner. Ganz zufälligerweise sind es die mehrheitlich weißen Gesellschaften Westeuropas und Nordamerikas, denen militärische Gewalt und soziale Selektion als unausweichliches naturgegebenes Vorrecht zugesprochen werden.

Fußnoten:

[1] http://www.aachener-nachrichten.de/news/politik-detail-an/1948671?_link&skip&_g=Broders-rhetorischer-Sturmangriff-auf-das-friedensbewegte-Pack.html

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1644156/

7. Januar 2012