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HERRSCHAFT/1780: Abstieg des Westens - eine Mahnung zur Eile ... (SB)



Joseph Fischer hat es wieder getan. Was denn sonst, möchte man meinen, muß doch der ehemalige deutsche Außenminister seinem Anspruch, ein "Elder Statesman" zu sein, ab und an auch publizistisch auf die Sprünge helfen. Ein in die Jahre gekommener Spitzenpolitiker, der nach seiner Amtszeit nicht nur auf Kosten der Steuerzahler eine satte Pension verzehrt, sondern etablierte Seilschaften nutzt, um das politische Rentenalter auch unternehmerisch zu versilbern, lebt gewiß nicht schlecht. Hinzu kommt im Falle Fischers der lebenslang brennende Wunsch, sich nach oben durchzuboxen, koste es, was es wolle, und sei es auch die Entsorgung jeglicher Parolen jugendlichen Übermuts zu Frankfurter Sponti-Zeiten. Das ist beileibe kein Alleinstellungsmerkmal, hat doch eine ganze Generation irgendwie Linker den Marsch durch die Institutionen angetreten, um sich von ihnen auf den rechten Weg zurückführen zu lassen. Fischer war dabei allerdings besonders erfolgreich, wobei der Eindruck, er sei ganz an der Spitze angekommen, durchaus trügt. Er hat sich den Mächtigen angedient und ihr Geschäft vorangetrieben, was aber noch lange nicht heißt, daß er einer der ihren geworden sei. Wenn man so will, eine tragische Figur, die zu bedauern indessen kein Anlaß besteht.

Er hat maßgeblich dazu beigetragen, daß Deutschland heute der ökonomische Platzhirsch Europas, der politische Krisengewinner und nicht zuletzt der ambitionierteste Kriegstreiber weit über den Kontinent hinaus ist. Die rot-grüne Bundesregierung unter Schröder und Fischer räumte mit dem lästigen Sozialstaat auf, machte Hartz IV und die Reform des Gesundheitssystems zu Eckpfeilern eines profitträchtigen Innovationsschubs. In ihrer Amtszeit wurde ein System der Ausbeutung von Arbeitskraft, Zwangsverfügung des Subproletariats und Verwertung von Patienten etabliert, das längst allerorten als Evangelium wirtschaftlichen Überlebens gepredigt wird. Zugleich kann sich der Heldenvater der Grünen als stolzen Erfolg ans Revers heften, den ersten Angriffskrieg unter offizieller Beteiligung der Bundeswehr seit dem NS-Staat, noch dazu auf dem abermals von deutschen Truppen heimgesuchten Balkan, durchgesetzt zu haben. Die ideologische Umwidmung des Mordens und Zerstörens zu einem Akt der Humanität und Abwendung des Genozids war schon ein Coup, der einen Ehrenplatz in den Geschichtsbüchern verdient. Schließlich mußte den aus historischen Gründen kriegsmüden Landsleuten seinerzeit der Aberwitz verdaulich gemacht werden, das Tätervolk des Holocaust stehe in der unabweislichen Pflicht, den nächsten Völkermord mittels eines Angriffskriegs zu verhindern, der eigentlich nie wieder von deutschem Boden ausgehen sollte.

Was der Brachialsozialdemokrat Schröder und der nicht minder rabiate grüne Aufsteiger Fischer zuwege brachten, war schon phänomenal. Ob sozialer Kahlschlag oder Militarisierung, das rot-grüne Gespann brachte den bedeutendsten Schub der Herrschaftssicherung und Kapitalverwertung seit Gründung der Bundesrepublik auf den Weg. Daß dieses Kunststück nicht etwa einer konservativ geführten Administration, sondern einer linksbürgerlich-reformistischen Allianz gelang, kam nicht von ungefähr. Das sozialtechnokratische Akzeptanz- und Befriedungsmanagement war bei den Sozialdemokraten und Grünen in besseren Händen, die ihr Ohr in gewissem Ausmaß am Puls der zu unterwerfenden Bevölkerungsgruppen haben. Als der Kriegsbann gebrochen war, hielt die Formel Einzug, daß die falschen Waffengänge abzulehnen, die richtigen aber unbedingt zu führen seien. Menschenrechte und Demokratie, humanitäre Hilfe oder Schutzverantwortung - irgendein Vorwand wird sich schon finden lassen, um deutschen Interessen in aller Welt zur Durchsetzung zu verhelfen und zu diesem Zweck am Regimewechsel mitzuzündeln oder sich dauerhaft einzunisten.

Was hat Joseph Fischer seither gemacht? Er zog sich ein knappes Jahr nach der Bundestagswahl 2005 aus der aktiven Politik zurück und wurde beratend als Lobbyist unter anderem für Siemens und BMW, für die Energiekonzerne RWE und OMV (Nabucco-Pipeline) sowie für Rewe tätig. Als Mehrheitsgesellschafter der Berliner Beratungsfirma JF&C steht er im Unternehmerlager und macht angeblich Millionen. Seine transatlantische Ziehmutter Madeleine Albright, die 2002 in New York eine Consultingfirma für politische und strategische Beratung gegründet hat, nahm ihn auch hierbei an der Hand und an die Tröge der Konzerne mit. Und nicht zu vergessen schreibt er Bücher und Gastbeiträge in Zeitungen.

In seinem neuen Buch "Der Abstieg des Westens" [1] sieht er Europa am Scheideweg zwischen Erneuerung und Selbstaufgabe. Die kulturelle und geopolitische Dominanz des Westens sei am Ende. Nun, da die europäischen Ambitionen gebremst und die Beziehungen zu den USA erschüttert werden, die nicht zuletzt Wesensmerkmale seines persönlichen Aufstiegs waren, fallen seine Prognosen düster aus. Er hegt tiefe Zweifel, ob die Europäer ihre Interessen in einer sich rapide verändernden Welt auch in Zukunft wahren können. "Sollte die US-Außenpolitik unter Trump zum Risikofaktor werden, dann wird das ganze System nicht mehr funktionieren", so Fischer. Eine Jahrzehnte währende, erfolgreiche Ordnung würde dadurch zum Untergang verdammt, denn es sei weit und breit keine andere Macht sichtbar, die in der Lage wäre, gegenwärtig die globale Rolle der USA zu übernehmen und in deren sehr große Schuhe als Ordnungsmacht zu schlüpfen. [2]

Daß Fischer in seinem Gestus des Welterklärers vom Feldherrnhügel keinen Gedanken daran verschwendet, welche Schrecken die unipolare Machtentfaltung der USA über den Globus gebracht hat, liegt auf der Hand. Statt dessen beklagt er den Schwund transatlantischer Solidarität, die nie wiederkehren werde. Die Europäer und insbesondere die Deutschen seien zu lange im amerikanischen Windschatten gefahren. Die Amerikaner waren für die gemeinsame Sicherheit und deren schmutzige Seiten zuständig, während die Europäer allzu oft am Spielfeldrand standen und wohlfeile Manöverkritik übten, so Fischers kaum verhohlenes Plädoyer für Aufrüstung und Kriegsbeteiligung, mit dem er allerdings hierzulande offene Türen einrennt. Ohne die USA keine europäische Selbständigkeit, die Existenz dessen, was wir Westen nennen, stehe auf dem Spiel, sieht er wohl auch das Fundament seiner eigenem Glaubensüberzeugung und Handlungsmaxime bedroht.

Die größte unmittelbare sicherheitspolitische Gefahr für Europa sieht er im revanchistischen putinschen Rußland, doch die größte weltpolitische Unwägbarkeit bringe die Rolle des aufsteigenden Chinas mit sich. Ob es sich mit den USA arrangieren wird, ob es von imperialen Gesten und Strategien eher absieht oder diese forciert - all das könne nicht vorhergesagt werden. Klar sei lediglich, daß China vor 50 Jahren ein bettelarmes Entwicklungsland war, heute jedoch einen der globalen ökonomischen Spitzenplätze einnehme und rasant an Einfluß gewinne. Muß man früher Außenminister gewesen sein, um solch tiefschürfende Erkenntnisse abzusondern, auf die kein minder erfahrener Zeitgenosse gekommen wäre?

Auch Fischers Rat an die Europäer ist weder originell noch überraschend. Das Europa von heute sei nicht mehr zeitgemäß, die Antwort auf Nationalismus und Spaltung könne nur in einer beherzten europäischen politischen Integration bestehen: "Folglich bleibt nur eine Avantgardelösung, eine EU der zwei Geschwindigkeiten auf intergouvernementaler Grundlage. Diejenigen Mitgliedsstaaten, die vorangehen wollen und können, sollten gemeinsam vorangehen." Entscheidend in der EU sei dabei die Zusammenarbeit von Frankreich und Deutschland.

Den Deutschlandfunk freut's, daß Fischers Freund-Feind-Kennung nach Ost und West besser als bei seinem Kumpel und Konkurrenten, dem Altkanzler, funktioniert. So attestiert man dem Autor denn auch ein sehr lesenswertes Buch, könne sich doch kaum jemand der Einsicht entziehen, daß der ehemalige Außenminister die politischen Risiken unserer Zeit klar erkenne und benenne. Der ehemalige Barrikadenkämpfer Fischer sei schon lange ein engagierter Kämpfer für repräsentative Demokratie, liberalen Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft. Seine Generation habe nicht nur die Republik verändert, sie sei auch von der Republik verändert worden. Na also, da kann man sagen, was man will: Joseph Fischer hat abermals seine Schuldigkeit getan.


Fußnoten:

[1] Joschka Fischer: "Der Abstieg des Westens. Europa in der neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts."
Kiepenheuer&Witsch, 240 Seiten, 20 Euro.

[2] www.deutschlandfunk.de/joschka-fischer-der-abstieg-des-westens.1310.de.html?

13. März 2018


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