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HERRSCHAFT/1783: Kommunal - Graugrün abgelöst ... (SB)



Ob heilsamer Schuß vor den Bug oder Vorbote einer Götterdämmerung grüner Sachwalterschaft im Dienst von Staat und Wirtschaft - die Abwahl des Freiburger Oberbürgermeisters Dieter Salomon hat wie eine Schockwelle das politische Establishment im Kernland der Ökopartei erschüttert. 40 Jahre lange hatte die SPD dieses Amt in der mit rund 230.000 Einwohnern viertgrößten Stadt Baden-Württembergs besetzt. 2002 wurde Salomon als erster grüner Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt gewählt und er galt fortan als Vorreiter und Symbolfigur des Siegeszuges seiner Partei in dem Bundesland. Freiburg wurde zur grünen Bastion schlechthin, und dies nicht nur wegen der zahlreichen Studenten in der Stadt, sondern auch wegen des international bekannten Vorzeigeviertels Vauban für ökologisches Leben. Salomon wurde bereits als Nachfolger für Ministerpräsident Winfried Kretschmann gehandelt, mit dem er sich einig in der Durchsetzung einer konservativen Realo-Politik war.

In der Hochburg der Grünen brach eine neue Ära an, als Amtsinhaber Dieter Salomon nach 16 Jahren als Oberbürgermeister im ersten Wahlgang zurücklag. Der 33jährige Sozialwissenschaftler Martin Horn, Sohn eines evangelischen Pfarrers und bis Januar in Freiburg völlig unbekannt wie auch als Politiker absolut unerfahren, kam als unabhängiger Kandidat aus dem Stand auf 34,7 Prozent. Dahinter folgte Salomon mit 31,3 Prozent, auf die linke, unabhängige grüne Kandidatin Monika Stein entfielen 26,2 Prozent. Da niemand die absolute Mehrheit erreicht hatte, war eine Stichwahl erforderlich.

Dieses Alarmsignal rief die grüne Parteiprominenz auf den Plan, die in den verbliebenen zwei Wochen retten wollte, was zu retten war. Neben Ministerpräsident Kretschmann kamen auch Cem Özdemir und Claudia Roth nach Freiburg, um Wahlkampf zu machen und den 57jährigen Amtsinhaber nach Kräften zu unterstützen. Das scheint jedoch die falsche Medizin gewesen zu sein. Die Stichwahl gewann Martin Horn mit 44,2 Prozent der Stimmen, während Dieter Salomon weit abgeschlagen mit 30,7 Prozent noch hinter das Ergebnis des ersten Wahlgangs zurückfiel. Bezeichnend war, daß der Amtsinhaber in traditionell grünen-nahen Wahlbezirken noch mehr Stimmen als zwei Wochen zuvor eingebüßt hatte. Offenbar war auch der Wahlaufruf des Freiburger Historikers Ulrich Herbert, der wenige Tage vor der Wahl noch eine Anzeige geschaltet hatte, mehr oder minder ungehört verhallt. Horn, der von der SPD unterstützt wurde, aber stets seine Überparteilichkeit betont hatte, tritt am 1. Juli als jüngster Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt sein Amt an. Salomon, der vor der Wahl angekündigt hatte, er werde im Falle einer Niederlage in den Ruhestand gehen, erklärte am Wahlabend, für ihn beginne nun ein neuer Lebensabschnitt. [1]

Wie konnte es zu diesem Debakel des arrivierten Grünen-Politikers kommen? Je nach politischer Couleur fielen die Reaktionen von triumphierend über süffisant-boshaft bis zugewandt kritisch aus. Salomon habe sich Erfolge bei der Haushaltssanierung, dem Klimaschutz, der wirtschaftlichen Entwicklung und der städtebaulichen Erneuerung zugute gehalten, doch sei ihm die Nähe zu den Bürgern abhandengekommen und er habe selbst für das gut verankerte grüne Kernmilieu manchmal nur noch Spott übriggehabt, meinten die einen [2]. Andere erklärten, er habe sich zu sicher gefühlt und es versäumt, der Bürgerschaft zu erklären, warum sie ihn noch einmal wählen soll. Auch fehlte es nicht an Verweisen darauf, daß die Stadt unter den Folgen des eigenen Booms wie steigende Mieten, Staus und Baustellen leide, während überdies ein neuer Stadtteil in Planung sei [3]. Eines der dominierenden Themen im Wahlkampf waren denn auch die hohen Mietpreise in der Universitätsstadt gewesen. Einig war man sich quer durch die Lager kritischer Stimmen, daß der Wahlausgang ein Zeichen des Protests gegen das eingefahrene politische Establishment in der Stadt gewesen sei.

Das läßt sich natürlich konkreter fassen. Für das Modell einer konservativen grünen Politik ist die Niederlage in Freiburg zweifellos ein schwerer Schlag, fällt sie doch zusammen mit einer Krise der grün-schwarzen Landesregierung. In der Partei werden die Stimmen lauter, Winfried Kretschmann solle sich wieder mehr um grüne Inhalte kümmern, statt nur um die Stabilität seiner Koalition. Der seit ihrem Sieg bei der Landtagswahl 2011 lange fest im Sattel sitzenden und von Kretschmann auf Grün-Schwarz eingeschworenen Regierungspartei weht auch von der eigenen Basis her ein zunehmend kalter Wind ins Gesicht. Etwa ein Drittel der Landtagsabgeordneten und ein Drittel der grünen Mitglieder gelten als tendenziell unzufrieden mit dem konservativen Kurs des Ministerpräsidenten und werden dies künftig noch deutlicher zum Ausdruck bringen.

Das hatte sich bereits beim Landesparteitag in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart abgezeichnet. Wenngleich kein Redner die Koalition mit der Union grundsätzlich in Frage stellte, wurde mehrfach ein entschlosseneres Auftreten gegenüber der CDU gefordert, die eine Reform des Landtagswahlrechts blockiert hatte. In einer grün-schwarzen Koalition habe der Koch und nicht der Kellner das Sagen, man habe ein Machtwort Kretschmanns vermißt, hieß es da. Dieser räumte immerhin ein, daß der Streit mit der CDU eine schwere Belastungsprobe für die Regierungskoalition gewesen sei, doch lasse man sich von Krisen einfach nicht entmutigen. Der Landesvorsitzende Hildenbrand plädierte immerhin dafür, die Unterschiede zwischen den Grünen und der CDU nicht zu verdecken, sondern mit ihnen ehrlich umzugehen. "Es braucht Kompromissbereitschaft, wo es sinnvoll ist. Es braucht Konfliktbereitschaft, wo es notwendig ist." Noch einen kleinen Schritt weiter wagte sich die Landeschefin der Grünen Jugend, Lena Schwelling, hervor, die erklärte, sie habe kein Vertrauen in die Zusammenarbeit mit der CDU. Prophezeiungen von SPD und FDP, daß die grün-schwarze Koalition am Ende sei, seien aber völlig unangemessen. [4]

Noch köchelt der Unmut eher auf Sparflamme, trauen sich die Grünen offenbar nicht an die Grundsatzfrage heran, ob sie sich nicht selber überflüssig und damit unwählbar machen, je enger sie an den Kurs der CDU heranrücken. So lobte Kretschmann auf dem Landesparteitag ausdrücklich das umstrittene Vorgehen der Polizei in der Ellwanger Flüchtlingsunterkunft. Die Ordnungskräfte hätten die schwierige Situation entschlossen und besonnen gelöst, das sei der richtige Weg. Klar sei, daß Menschen, die nicht politisch verfolgt und nicht vor einem Bürgerkrieg geflohen seien, in der Regel in ihre Heimat zurückkehren müßten. Er habe Verständnis für Menschen, die sich aus Afrika auf den Weg für ein besseres Leben machten, doch nach dem Asylrecht dürften Wirtschaftsflüchtlinge nicht bleiben, weshalb dringend ein Einwanderungsgesetz erforderlich sei. Sollte der unverfrorene Gebrauch des Begriffs "Wirtschaftsflüchtling" unter Ausblendung jeglicher Verantwortung Deutschlands für das Elend in den Herkunftsländern tatsächlich Konsens bei den Grünen sein?

Als Kretschmann Anfang vergangenen Jahres das neue Polizeigesetz in Baden-Württemberg mit den Worten ankündigte, man werde die rechtlichen Vorgaben bis an ihre Grenzen ausschöpfen, hatte er noch untertrieben. Das bis dahin schärfste Polizeigesetz in einem Bundesland schien diese Grenzen sogar zu überschreiten und lieferte eine Steilvorlage für Bayern, aber auch Bremen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen, letztlich die von den Innenministern der Länder und des Bundes angestrebte bundesweite Vereinheitlichung auf einem repressiven Niveau. Man braucht den Ministerpräsidenten also nicht einmal vor einem Porsche oder Mercedes ablichten, um die allerdings rhetorische Frage aufzuwerfen, wohin das grüne Schiff noch reisen soll, wenn es das schwarze auf Steuerbord überholt.


Fußnoten:

[1] www.zeit.de/politik/deutschland/2018-05/freiburg-oberbuergermeister-dieter-salomon-abgewaehlt

[2] www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-konnte-martin-horn-ein-junger-man-ohne-politische-erfahrung-freiburgs-oberbuergermeister-salomon-aus-dem-amt-jagen-15577653.html

[3] www.sueddeutsche.de/politik/salomon-niederlage-in-freiburg-warnung-fuer-die-gruenen-1.3970253

[4] www.sueddeutsche.de/politik/regierungskrise-in-baden-wuerttemberg-gruene-empoeren-sich-ueber-suedwest-cdu-1.3968845

7. Mai 2018


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