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HERRSCHAFT/1832: AfD - der Osten wird parteiisch ... (SB)



Die Brandenburger haben verstanden: Bei den Wahlen in diesem Jahr geht es um alles. Wer unsere Heimat erhalten will, wählt die AfD. Und so sind wir bei der EU-Wahl aller Wahrscheinlichkeit nach die stärkste Kraft in Brandenburg. Es gibt keinen Zweifel: Die AfD ist gekommen, um zu bleiben. Und die Altparteien - allen voran die Splitterpartei SPD - bekommen Ihre Quittung für jahrzehntelanges Unvermögen und Unfähigkeit.
Andreas Kalbitz (Landesvorsitzender der AfD-Brandenburg) [1]

30 Jahre nach dem Mauerfall ist Deutschland ein politisch zutiefst gespaltenes Land. Auf den Anschluß der DDR folgte die Ausplünderung der neuen Bundesländer mittels der Treuhand, die Einverleibung des ehemaligen Volkseigentums und die umgehende Einführung der D-Mark. Die höhere Produktivität der alten Bundesrepublik vernichtete im unmittelbaren Konkurrenzkampf die Industrien des Ostens, der aller Mittel beraubt war, diesen Angriff abzufedern und im Zuge eines längerfristigen Prozesses aufzuschließen. Wie Deutschland in der EU und der Eurozone seine Vorherrschaft in Europa zu Lasten der schwächeren Mitgliedsländer durchsetzte, denen in der Währungsunion die kompensatorischen Ausgleichsmanöver genommen waren, wurden auch im eigenen Land zwei Sphären unterschiedlicher Existenzmöglichkeiten geschaffen.

Abgesehen von einigen Aufschwunggebieten in seinen südlichen Bezirken ist der Osten weitgehend deindustrialisiert und hat infolgedessen eine Massenabwanderung und Überalterung erlebt, die vielen Regionen heute jede Perspektive rauben. Die Löhne sind unterirdisch, die wenigsten Menschen werden ihren Kindern etwas hinterlassen. Selbst nach dem gesamtdeutschen Aufschwung des vergangenen Jahrzehnts empfehlen Experten, manche Gebiete besser der Natur zu überlassen. Abgehängt zu sein und dafür auch noch bezichtigt zu werden verfestigte sich zur bitteren Realität und Grundstimmung der Entwürdigung. Angesichts einer bis heute durchgetragenen Delegitimierung der DDR, die zum "Unrechtsstaat" erklärt wurde, war den Menschen die Vergangenheit genommen. Die bloße Fiktion blühender Landschaften zerstob im Handumdrehen und raubte ihnen auch die Zukunft.

Die Langzeitfolgen dieser Verwerfungen lassen sich an den Ergebnissen der Europawahl ablesen, die im Osten Deutschlands vom Vormarsch der Rechten auf breiter Front geprägt sind. Konnte in der Vergangenheit die PDS und später die Linkspartei ein beträchtliches Kontingent des Unmuts und Protests für sich verbuchen, so ist heute die nach rechts offene AfD in den Rang einer Volkspartei aufgestiegen, die in wachsenden Segmenten der Bevölkerung Rückhalt findet. Bundesweit legte die AfD mit 11,0 Prozent im Vergleich zu ihrem letzten EU-Wahlergebnis (7,1 Prozent) zu, blieb aber hinter ihrem Bundestagswahlergebnis von 2017 (12,6 Prozent) zurück. Den Osten hat sie jedoch klar gewonnen und dort gegen den deutschlandweiten Trend in allen Bundesländern außer Mecklenburg-Vorpommern mindestens Platz zwei errungen. In Sachsen und Brandenburg, zwei der drei Bundesländer, die im Herbst ihre Landtage wählen, wurde sie stärkste Kraft. [2]

Sollte das Strache-Desaster der FPÖ im Nachbarland der mit ihr freundschaftlich verkehrenden AfD bundesweit geschadet haben, so war davon im Osten nichts zu spüren - im Gegenteil. Und da die Europawahl diesmal politisch aufgeladen war wie kaum jemals zuvor, steht zu befürchten, daß sich der Trend in den östlichen Bundesländern verstetigen und bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen womöglich noch vertiefen wird. Dann wird es für herkömmliche Koalitionen hinten und vorne nicht mehr reichen. In Brandenburg müßten sich nach Lage der Dinge CDU, SPD und Grüne zusammenraufen. In Sachsen wäre zwar eine Kenia-Koalition aus Union, SPD und Grünen denkbar. Ein Bündnis mit der AfD hat CDU-Chef Kretschmer bisher kategorisch ausgeschlossen. Doch der Auftrieb der AfD wird wohl auch dazu führen, daß parteiinterne Kritiker seiner Linie wieder Oberwasser bekommen. Wenngleich auch dort Mehrheiten möglich wären, um eine AfD an der Regierung zu verhindern, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis es zum Dammbruch kommt und eine ohnehin rechtslastige CDU wie jene in Sachsen in Anbetracht eigener Stimmenverluste Koalitionsgelüsten in Richtung AfD den Zuschlag gibt. [3]

In Sachsen hat sich die AfD nicht nur in den ländlichen Gebieten etabliert. Mit mehr als 25 Prozent ist sie als stärkste Partei aus der Europawahl hervorgegangen und hat die CDU überflügelt. In ihrem Stammland, in dem sie seit 1990 den Ministerpräsidenten stellen, haben die Christdemokraten im Vergleich zur vergangenen Landtagswahl 11 Prozent verloren. Bei den parallel abgehaltenen Kommunalwahlen ist die CDU zwar noch die stärkste Kraft im Land, mußte aber auch hier große Verluste einstecken. Kein Zweifel, viele Menschen wählten aus Überzeugung die AfD, deren rassistisches Menschenbild von breiten Kreisen mitgetragen wird. Das setzt vor allem die CDU unter Druck, die sich nie klar nach rechts abgegrenzt, sondern in Teilen mit der AfD sympathisiert hat. Ministerpräsident Michael Kretschmer hat zwar im Wahlkampf erklärtermaßen eine neue Strategie gegenüber der AfD gefahren und vielerorts Präsenz gezeigt, doch resultierte daraus kein eigenständiges Profil, das ohne gewisse Anleihen an rechte Kernthemen ausgekommen wäre. [4]

Als die AfD bei der Bundestagswahl 2017 in Sachsen die Union auf Landesebene knapp überholte, hielten das noch viele Beobachter und Funktionäre für einen historischen Ausrutscher, eine Schlappe, für die man die Bundeskanzlerin und ihre Flüchtlingspolitik verantwortlich machen konnte. Heute dürften die Wahlergebnisse bei CDU und SPD Depressionen auslösen. Bei der Kommunalwahl in Bautzen taucht die SPD nur noch unter "Sonstige" auf. Nicht nur in Chemnitz wurde die AfD stärkste Partei, vor allem in Ostsachsen (Erzgebirge, Bautzen, Görlitz) lagen die Europawahlergebnisse deutlich über 20 Prozent. Nur in ostdeutschen Universitätsstädten oder Orten mit deutlichem Zuzug aus Westdeutschland wie zum Beispiel Weimar, Leipzig oder Rostock blieb die AfD unter dem jeweiligen Landesdurchschnitt.

Michael Kretschmers Händeschütteln und Bürgertreffen hat den größten anzunehmenden politischen Unfall nicht verhindert: Die AfD konnte ihre Spitzenstellung klar behaupten. Und in Görlitz, Kretschmers Wahlkreis, geht der AfD-Oberbürgermeisterkandidat Sebastian Wippel als Favorit in den zweiten Wahlgang, während der Kandidat der CDU, Octavian Ursu, klar dahinter liegt und nun auf eine Wahlempfehlung der Grünen angewiesen ist. Görlitz ist also nahe daran, als erste Stadt in Deutschland einen Oberbürgermeister der AfD zu bekommen, und selbst wenn das wohl noch verhindert werden kann, ist es doch ein weiterer Zugewinn der Rechten, der ihnen Rückenwind verschafft.

Die SPD kämpft dort inzwischen ums politische Überleben, und in Dresden macht sich in Kreisen der CDU Ratlosigkeit breit. In Fragen der inneren Sicherheit hatte sich die sächsische CDU klar rechts von der Berliner Parteilinie positioniert, um der AfD das Wasser abzugraben. Genützt hat das ebensowenig wie der Wechsel an der Parteispitze in Berlin von Angela Merkel zur neuen Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer. In Sachsen ist eine Stimme für die AfD längst keine reine Protestwahl mehr, da diese Partei sich zunehmend auch in den Städten und nicht nur bei der einkommensschwachen Bevölkerung durchsetzt. Dabei liegt die sächsische AfD inzwischen voll auf einem Radikalisierungskurs nach dem Vorbild Björn Höckes in Thüringen, dessen "Flügel" innerparteilich an Einfluß gewinnt.

Der Versuch, den Rechten Stimmen abzujagen, indem man sich als bürgerliche Partei in diese Richtung bewegt, ist auf ganzer Linie fehlgeschlagen. Die sogenannte politische Mitte wandert seit Jahren nach rechts und hat damit dem Aufstieg von AfD und Konsorten erst den Weg bereitet, die nationale, rassistische und identitäre Positionen noch brachialer ins Feld führen. Das meinte die AfD, als sie die Parole ausgab, die anderen Parteien vor sich her zu treiben.


Fußnoten:

[1] www.afdkompakt.de/2019/05/28/wer-unsere-heimat-erhalten-will-waehlt-die-afd/

[2] www.zeit.de/politik/deutschland/2019-05/wahlergebnis-ostdeutschland-europawahl-afd-rechtsextremismus/seite-2

[3] www.welt.de/politik/deutschland/article194247135/Europawahl-2019-Im-Osten-ist-die-AfD-auf-dem-Weg-zur-Volkspartei.html

[4] www.deutschlandfunk.de/afd-staerker-als-cdu-sachsen-waehlt-anders.1769.de.html

28. Mai 2019


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