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HERRSCHAFT/1838: Rechts - AfD und Sammelbecken ... (SB)



Seit einigen Jahren bezeichne ich mich selbst nicht mehr so, aber ich bestreite das auch nicht.
Christian Worch zur Frage, ob er ein Nazi sei. [1]

So wenig es der Auseinandersetzung mit der Rechten dienlich wäre, sie ohne substantielle inhaltliche Differenzierung über einen Kamm zu scheren, so fatal wäre die Fehleinschätzung, ihr Potential des Zusammenschlusses für gering und die Wirksamkeit rechtsextremer Positionen und Fraktionen für marginal zu erachten. Der wachsende Einfluß des "Flügels" um Björn Höcke und Andreas Kalbitz in der AfD, die allenthalben ans Licht gebrachten rechten Zirkel in Geheimdiensten, Bundeswehr und Polizeien oder die Aufmärsche unter offener Zurschaustellung verbotener Symbole und Parolen sind nur die sichtbarsten Signale einer gesellschaftlichen Drift nach rechtsaußen. Daß daraus ein Sog zu erwachsen droht, der die bislang noch mehr oder minder getrennt agierenden Strömungen und Bewegungen über befristete gemeinsame Aktionen hinaus vereint und ihre Stoßkraft potenziert, ist nicht von der Hand zu weisen.

In der Vergangenheit glich die extreme Rechte nicht selten einem in sich zersplitterten Sammelsurium oftmals kleiner und kleinster Gruppierungen, die zumeist miteinander verfeindet waren und erbitterte Grabenkämpfe austrugen. Das änderte sich nicht zuletzt unter dem Einfluß der Geheimdienste, welche rechte Parteien wie die NPD und Organisationen wie den Thüringer Heimatschutz in wachsendem Maße infiltrierten, steuerten und teils sogar schufen. Hinzu kamen neue Organisationsformen der extremen Rechten wie der sogenannte führerlose Widerstand, woraus insbesondere der NSU hervorging, dessen Hintergründe staatlicherseits verschleiert werden, um die weitreichende Beteiligung des Geheimdienstes auszublenden.

In Kassel ermordete der NSU eines seiner Opfer in Anwesenheit des Verfassungsschützers Andreas Temme, der später in die Behörde versetzt wurde, der Walter Lübcke vorstand. Lübcke wurde wegen seines Eintretens für die Aufnahme geflohener Menschen umgebracht, der mutmaßliche Täter wird rechtsextremen Kreisen zugerechnet. In Kassel will am Samstag Christian Worch mit seiner Partei "Die Rechte" aufmarschieren, dessen Vorgeschichte wie der paradigmatische Zug eines rechtsextremen Agitators durch die jüngere Geschichte der Bundesrepublik anmutet. Der 63jährige aus Parchim in Mecklenburg-Vorpommern freut sich darüber, daß das Verwaltungsgericht Kassel das von der Stadt ausgesprochene Verbot der Demonstration aufgehoben hat. Wenngleich der Rechtsstreit noch andauert, hegt der gebürtige Hamburger keinen Zweifel, daß die von ihm angemeldete Veranstaltung gegen "Pressehetze, Verleumdung und Maulkorbfantasien" stattfinden wird.

Der gelernte Notarfachangestellte Christian Worch hat den Holocaust geleugnet, unter anderem wegen Volksverhetzung mehrfach im Gefängnis gesessen und weiß aus langjähriger Erfahrung genau, was er sagen darf und will und was nicht. Er spricht eloquent und erwidert auf die Frage, ob er ein Nazi sei: "Seit einigen Jahren bezeichne ich mich selbst nicht mehr so, aber ich bestreite das auch nicht." Man dürfe ihn ruhig so nennen, so wie der Verfassungsschutz die 600 Mitglieder der von ihm 2012 gegründeten Partei "Die Rechte" als Neonazis zählt. Die Behörden rechnen in Kassel mit bis zu 500 Rechtsextremisten, Worch selbst geht abwiegelnd nur von 100 Teilnehmern aus. Die Splitterpartei ist vor allem im Ruhrgebiet und im Norden aktiv, während Kassel angeblich nur wegen der zentralen Lage ausgewählt worden sei, nicht wegen Walter Lübcke.

Worch hatte gehofft, die NPD und ihre Jugendorganisation würden die Veranstaltung unterstützen, doch angeblich hatten deren Funktionäre Angst, Teilnehmer könnten Lübckes Ermordung gegenüber Journalisten ähnlich kommentieren wie zuletzt Pegida-Anhänger in Dresden. Die hatten sinngemäß erklärt, wer eine Politik gegen sein Volk mache, müsse sich nicht wundern. Im übrigen ist Worch nicht zum ersten Mal in Kassel aktiv. Dort redete er im Jahr 2000 auf einer Demonstration, die Deutschland in den Grenzen von 1937 wiederhaben wollte. Und als die Urne seines Weggefährten Kühnen 1992 auf dem Westfriedhof unter massivem Polizeischutz beigesetzt wurde, war er auch dabei.

Realistischerweise geht Worch nicht davon aus, daß die Demonstration wie geplant durch die Innenstadt marschieren kann. Sie werde sicher auf einen stationären Platz beschränkt, da gewaltbereite Linksautonome "ein G 20 im Kleinformat" veranstalten und "Teile der Innenstadt in ein Trümmerfeld verwandeln" würden. Von ihm selbst und seinen Leuten gehe kein "offensives Gewaltpotential" aus. Diese Einschätzung teilt auch das Verwaltungsgericht, das in der Begründung seiner Entscheidung anführt, die von der Stadt erstellte Gefahrenprognose begründe ein vollständiges Verbot der Demonstration nicht. Möglichen Gefährdungen könne die Stadt nämlich durch Auflagen begegnen. Auch die Auffassung der Stadt, daß "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei", daß Antragsteller Christian Worch erneut Straftaten begehen werde, sei rein spekulativ und vage. Es genüge auch nicht, auf die aufgeheizte Stimmung und die Gefahr von rechtswidrigen Handlungen oder Störungen hinzuweisen und dabei allgemein auf Erkenntnisse des Verfassungsschutzes oder Presseberichte als Beleg für drohende gewalttätige Aktionen der Versammlungsteilnehmer Bezug zu nehmen.

Weiter ist das Verwaltungsgericht der Auffassung, daß ein Verunglimpfen des Andenkens Verstorbener - hier zum einen des getöteten Dr. Walter Lübcke und zum anderen von Menschen aus der Kasseler Bevölkerung, die von Nationalsozialisten ermordet worden sind - aus der bloßen Wahl der Stadt Kassel als Versammlungsort nicht angenommen werden könne. Auch das Thema der Versammlung stelle keine Verunglimpfung dar, da es sich um eine grundsätzlich "legitime Kritik an der Berichterstattung über die Verstrickung dem rechten Spektrum zuzuordnender Personen mit dem mutmaßlichen Täter der Tötung des Dr. Walter Lübcke" handele. Es bestehe allenfalls die Vermutung, daß dieses Thema nur vorgeschoben sei und das Andenken von Lübcke diskreditiert werden soll.

Die angemeldete Aufzugsroute entlang des Regierungspräsidiums mit davor geplanter Zwischenkundgebung und entlang von 14 Stolpersteinen, die an Opfer der Nationalsozialisten erinnern, sei ebenfalls kein Verbotsgrund, zumal sie durch Auflagen verändert werden könne. Sollten mehr als 100 Teilnehmer kommen, müsse das Aufgebot an Sicherheitskräften erhöht werden. Und auch wenn der Termin des 20. Juli 2019, also des Jahrestags des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler, auffällig gewählt sein möge, sei dieser Umstand allein nicht geeignet, die Annahme zu belegen, die Veranstaltung werde sich nicht im Rahmen des rechtlich Erlaubten halten. Konkrete belastbare Anhaltspunkte, daß von den Versammlungsteilnehmern ein aggressives und provokantes, die Bürger einschüchterndes Verhalten ausgehen werde oder sich der Aufzug durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der NS-Gewaltherrschaft identifiziere, seien weder vorgetragen noch sonst derzeit ersichtlich, so das Gericht. [2]

Die Begründung des Verwaltungsgerichts ist in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich. Zum einen wiederholt sich auch in Kassel das Muster, daß Städte rechte Aufmärsche verbieten wollen, ihnen aber die Gerichte dabei in die Parade fahren. Zum anderen führt die Auflistung all dessen, was angeblich nicht geplant, zu befürchten oder zumindest nicht verbotswürdig sei, in aller Deutlichkeit vor Augen, worum es bei diesem rechtsextremen Aufmarsch geht. Was in früheren Jahren noch unter dem Radar öffentlicher Wahrnehmung gehalten wurde, wird heute von Gerichten und Medien unverhohlen erörtert, was ein bezeichnendes Licht auf den Ungeist der Zeit wirft.

Sollte die Namensnennung Christian Worchs bei der Leserschaft nicht ohnehin unangenehmste Erinnerungen wachrufen, hier noch einmal Auszüge aus seiner Vita. Der gelernte Notariatsgehilfe galt jahrelang als einer der unbestrittenen Anführer der militanteren Neonazi-Szene und ist einer der führenden Kader unter den sogenannten Freien Kameradschaften. Seit den 1970er Jahren bewegt sich Worch, der durch die Erbschaft einiger Immobilien wirtschaftlich unabhängig ist, am äußersten rechten Rand. 1977 schloß er sich der 1983 verbotenen "Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten" (ANS) an, deren Gründer Michael Kühnen bis heute sein Vorbild ist. 1978 zog Worch mit Kühnen und weiteren Mitstreitern durch Hamburg, schwarz uniformiert, mit Eselsmasken und Schildern: "Ich Esel glaub noch, dass in deutschen KZs Juden vergast wurden". 1980 verurteile ihn das Landgericht zu einer Gesamtstrafe von drei Jahren Haft wegen Volksverhetzung und Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda.

Nach dem ANS-Verbot bauten Kühnen und Worch ab 1983 das konspirative Netzwerk der "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" (GdNF) auf und gründeten deren legalen Arm, die "Nationale Liste" (NL). Später veröffentlichen sie in einer Ausgabe ihrer Zeitung Index erstmals Namen und Adresse von politischen Gegnern unter dem Kampfbegriff "Anti-Antifa". Nach Kühnens Tod 1991 entwickelte sich Worch zum "angesehensten Führer". 1996 mußte er wegen Verstoßes gegen das ANS-Verbot für zwei Jahre in Haft. Noch vor Haftantritt schob er die Gründung von Freien Kameradschaften mit an, mit deren losem Netzwerk sich die Neonazi-Szene nach dem Verbot zahlreicher ihrer Organisationen gegen staatliche Verfolgung wappnen wollte. Worch pflegt ein kritisches (Konkurrenz-)Verhältnis zur NPD, anders als sein einst enger Mitstreiter Thomas Wulff, der inzwischen im Bundesvorstand der Partei sitzt.

"Warum ich ein Nazi bin", erklärte der damals führende Hamburger Neonazi Worch schon vor Jahren ausführlich dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Bei Aufmärschen stellt er sich gern den Journalisten, antwortet geduldig auf Fragen, wirft sich für die Kameras in Pose. Sein Bild und seine Kontaktdaten stehen auf einer eigenen Homepage. Wenngleich er sich inzwischen in der NPD und bei den Kameradschaften eher unbeliebt gemacht hat, ist sein Einfluß noch immer enorm. Sein Ansehen in der rechtsextremen Rechten ist auch seinen juristischen Erfolgen geschuldet. Durch zahlreiche Prozesse bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht gelang es ihm immer wieder, im ganzen Bundesgebiet Demonstrationen zu veranstalten. Dadurch hat er den Aktionsspielraum der gesamten Szene ausgeweitet. "Worch spielt die Rolle des Bewegungsunternehmers", sagt Rainer Erb vom Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin. Er gelte in der Szene als elitär, verläßlich und kameradschaftlich, aber auch als eitler Selbstdarsteller. [3]


Fußnoten:

[1] www.hna.de/kassel/neonazi-christian-worch-demo-partei-rechte-kassel-zr-12833282.html

[2] www.hna.de/kassel/demo-warum-aufmarsch-kassel-rechten-nicht-verbieten-12830780.html

[3] www.belltower.news/worch-christian-50786/

19. Juli 2019


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