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HERRSCHAFT/1873: USA - Demokratenzwist ... (SB)



Auf einer Wahlkampfveranstaltung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders am 5. März entrollt ein Nazi die Fahne des deutschen Faschismus - das schwarze Hakenkreuz auf weißem Kreis vor rotem Hintergrund. Die Eltern des 1941 in Brooklyn geborenen Sanders entstammen beide dem osteuropäischen Judentum. Der in Galizien gebürtige Elias Ben Yehuda Sanders wanderte 1921 in die USA ein, seine Mutter Dorothy Sanders war als Kind aus Rußland in die USA eingewanderter jüdischer Eltern ebenfalls in der Tradition desjenigen Teils des europäischen Judentums aufgewachsen, das am meisten von der systematischen Vernichtungspolitik des NS-Regimes betroffen war. Zahlreiche Verwandte beider Elternteile waren im Holocaust ermordet worden, was maßgeblich zur frühen Politisierung des in den bescheidenen Verhältnissen einer New Yorker ArbeiterInnenfamilie aufgewachsenen Politikers und Gewerkschafters beitrug.

Der antisemitische Affront fand in deutschen Medien, wenn überhaupt, nur wenig Beachtung, obwohl über den Nominierungswahlkampf der US-Demokraten regelmäßig berichtet wird. Doch Bernie Sanders scheint den JournalistInnen in der Bundesrepublik nicht ganz geheuer zu sein. Im Zweifelsfall dagegen - wer sich in den USA als demokratischer Sozialist bezeichnet, kann, selbst wenn er im deutschen Parteienspektrum in der SPD angesiedelt wäre, kaum eine Empfehlung für die Presse eines Landes sein, dessen Allianz mit den USA als Chance wie Bedingung zur Durchsetzung eigener imperialistischer Ambitionen begriffen wird. Gerade weil antisemitische Angriffe auf Bernie Sanders in den USA virulent sind, wie CNN-Kommentator Michael Smerconish am 29. Februar mit dem Titel seines Kommentares bewies: "Können das Coronavirus oder Bernie Sanders noch gestoppt werden?" [1], wäre zu erwarten gewesen, daß auch diese Seite des US-Vorwahlkampfes hierzulande Erwähnung findet. Menschen jüdischen Glaubens unter Verweis auf ihre Herkunft der Übertragung von Infektionskrankheiten zu bezichtigen war ein Kernelement antisemitischer NS-Propaganda [2], das weiß man auch in den USA, wo sich CNN für den Vergleich entschuldigen mußte.

MSNBC-Moderator Chris Matthews jedenfalls entschuldigte sich nicht dafür, den Erfolg der Sanders-Kampagne mit der Eroberung Frankreich durch Hitlerdeutschland 1940 verglichen zu haben [3]. Nazivergleiche scheinen die Geheimwaffe der Wahl zu sein, das dachte wohl auch MSNBC-Moderator Chuck Todd, als er die UnterstützerInnen Sanders' als "digitale Braunhemdbrigade" in den Nazischmutz zog [4]. Daß die Affinität konservativer Meinungsmacher in den US-Medien zum deutschen Faschismus groß zu sein scheint, könnte auch ganz andere Schlußfolgerungen nahelegen, die mehr mit den UrheberInnen solcher Angriffe und weniger mit dem möglichen Trump-Herausforderer zu tun haben.

Mit dem auf drei BewerberInnen geschrumpften Feld - Joseph Biden, Bernie Sanders, Tulsi Gabbard - sind die Erfolgschancen des linken Kandidaten nicht eben gestiegen. Da die Führung der US-Demokraten vor allem das eine Ziel hat, einen Präsidentschaftskandidaten Sanders zu verhindern, dürfte die Freude über den Ausstieg der KandidatInnen Peter Buttigieg, Tom Steyer, Amy Klobuchar, Michael Bloomberg und Elizabeth Warren dort ungeteilt sein. Vier von ihnen haben Stimmen von Biden abgezogen, nur Warren käme tendentiell als Konkurrentin von Sanders auf der linken Seite der Partei in Frage, so daß der erklärte Sozialist Sanders mit seiner Anhängerschaft nun erst recht allein auf weiter Flur steht. In einem Land, wo das politische Attribut "liberal" mit "links" gleichgesetzt wird und aggressiver Antikommunismus unverändert breiter Konsens ist, hat das Parteienduopol der Republikaner und Demokraten stets verstanden, tatsächlich linke KandidatInnen unter Gesinnungsverdacht zu stellen und auszumanövrieren.

Im Ergebnis dieser Strategie dürfte nicht wenigen Mitgliedern der Demokratischen Partei eine Wiederwahl Trumps als das kleinere Übel erscheinen. Sanders steht im bestenfalls bescheiden zu nennenden Feld sozialpolitischer Vorschläge seiner Partei mit Abstand am meisten für die Interessen erwerbsarmer und mittelloser Menschen ein. Die von ihm angestrebte Reform des Krankenversicherungssystems öffnete das völlig überteuerte und dennoch nicht sehr leistungsfähige Gesundheitswesen auch denjenigen, die bislang aufgrund mangelnder Versorgung vorzeitig sterben müssen oder deren Familien obdachlos werden, weil die Finanzierung etwa einer Krebstherapie alle vorhandenen Mittel aufzehrt.

Sanders tritt für die Abschaffung der Studiengebühren ein, die den klassengesellschaftlichen Charakter des US-Bildungssystems begründen, weil nur die Kinder wohlhabender Familien an die Universität gehen können, wenn sie nicht jahrzehntelang Studienkredite abzahlen wollen. Er propagiert einen Green New Deal, wie von der demokratischen Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez vorgeschlagen, der auch die sozialen Defizite anspruchsvoller Klimaschutzmaßnahmen bewältigen soll. Er kritisiert das menschenfeindliche, kleine Kinder kriminalisierende Lagersystem der US-Grenzschutzbehörde ICE ebenso wie den brutalen und rassistischen Strafvollzug seines Landes, tritt für das Recht auf Abtreibung und für LGBTIQ-Rechte ein, er hat sich mit Black Lives Matter solidarisch erklärt, die Siedlungspolitik Israels kritisiert und ist ein ausgesprochener Kritiker der aggressiven US-Außenpolitik.

All das stößt im Parteiestablishment der Demokraten auf entschiedene Ablehnung. Zu wissen, daß die Verhinderung eines Präsidentschaftskandidaten Sanders erstes parteipolitisches Ziel ist, selbst wenn dafür eine zweite Amtszeit Donald Trumps im Weißen Haus in Kauf genommen werden muß, ist der Schlüssel zum Verständnis des US-Vorwahlkampfes. Nicht von ungefähr drängen sich Parallelen zur massiven Bekämpfung des Labour-Chefs Jeremy Corbyn aus den Reihen der eigenen Partei auf, was zu einer dementsprechend drastisch ausfallenden Niederlage Labours bei der Unterhauswahl im Dezember führte.

In den meisten Ländern agieren sozialdemokratische Parteien heute als VollstreckungsgehilfInnen des Monopolkapitals. Es reicht nicht einmal mehr zum Klassenkompromiß, derartiger Stillhalteabkommen bedarf es nach dem Untergang der realsozialistischen Welt nicht mehr. So sehr SPD und andere auf eine große Vergangenheit als Traditionslinke zurückblicken mögen, heute lautet die Parteiräson "Überleben um jeden Preis", also auch als Instrument des neoliberalen Wettbewerbsstaates. Bernie Sanders wiederum steht mit seinen genuin sozialdemokratischen Positionen so weit links, daß er als Herausforderer Trumps weit größere Erfolgschancen als Biden hätte, der in vielen Programmpunkten auf dessen Linie liegt. Tulsi Gabbard hat faktisch keine Chance, bleibt aber im Rennen, möglicherweise um sich auf eine nächste Kandidatur vorzubereiten. Eine Wahl Bernie Sanders zum US-Präsident könnte gesellschaftliche Folgen zeitigen, die den arrivierten Sozialstatus der Parteibourgeoisie kaum unbeschadet ließen. Daher gilt für sie auch in Zukunft, Sanders unbedingt zu verhindern.


Fußnoten:

[1] http://www.redwedgemagazine.com/online-issue/bad-moon-rising?fbclid=IwAR0L9F68om6Ji1gHKa0ItQS9WOz3vxSqqgrZob-Vrr0WUaIx5flPVkVsKIY

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1047.html

[3] https://www.huffpost.com/entry/chris-matthews-bernie-sanders_n_5e51ad62c5b629695f5b64d7

[4] https://www.mediaite.com/election-2020/sanders-campaign-erupts-on-chuck-todd-for-citing-quote-comparing-bernie-bros-to-nazis/

9. März 2020


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