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HERRSCHAFT/1904: Fridays for Future - Dauernörgeln kann nicht taugen ... (SB)



Die ARD-Doku "Klima und Corona: Was bleibt von Fridays for Future" [1] zeigt eine Bewegung, die sich zur Zeit am Konjunkturprogramm der Bundesregierung abarbeitet und schwer damit tut, zu früherer Größe zurückzugelangen. Online-Proteste im Netz und Webinare für AktivistInnen können Massenproteste nicht annähernd ersetzen und sind doch die Voraussetzung dafür, daß FFF überhaupt Medienpräsenz zugestanden wird. Die junge Bewegung für Klimagerechtigkeit zehrt von dem einmal erlangten Bekanntheitsgrad, doch Medientermine, bei denen eine Handvoll AktivistInnen mit symbolträchtigen Aktionen vor der Kamera posieren, können im Spektakel alltäglicher Erregungsrituale nur untergehen.

Wie den in der Doku gezeigten Stellungnahmen Berliner PassantInnen zu entnehmen, ist die allgemeine Aufmerksamkeit ganz auf den Neustart nach der Coronapandemie gerichtet. FFF wird als eher störende Zeiterscheinung betrachtet, die man nicht vermißt, zumal jetzt die Wiederbelebung der Wirtschaft und nicht der Klimaschutz auf der Agenda stehe, so der Tenor der Befragten. Der naheliegende Einwand, daß die AktivistInnen mit der Klimakrise ein weitaus größeres Problem als die in ihrer gesellschaftlichen Wirkung bereits epochale Coronapandemie adressieren, bleibt aus, und so wirken die FFF-RepräsentantInnen trotz ihres jugendlichen Alters fast wie Fossile einer fernen Vergangenheit.

Dabei hat die Pandemie das Arsenal ihrer Argumente noch erweitert, haben expansive Flächennutzung, Waldzerstörung und die rücksichtslose Bewirtschaftung von Tieren doch maßgeblichen Anteil an der Häufung epidemischer Ausbrüche zoonotischer Infektionskrankheiten. Auch sind Folgen der COVID-19-Quarantäne wie die Verbesserung der Atemluft, die Sichtung lang vermißter Tierarten und die Minderung der CO2-Emissionen ein Beleg dafür, daß die Erholung von Natursystemen durchaus möglich wäre, wenn dafür ein Rückgang industrieller Produktion und des motorisierten Individualverkehrs in Kauf genommen würde.

Das Eintreten der gezeigten FFF-AktivistInnen für eine weniger klimaschädliche Gestaltung des Konjunkturpaketes ist ein nahliegender Versuch, an die Großaktionen vor der Pandemie anzuknüpfen. Er bewegt sich allerdings im Rahmen bloßer Appelle an vermeintlich zuständige PolitikerInnen, die zwar zu dem durch das Krisenmanagement der Bundesregierung gestärkten staatskonformen Verhalten passen, aber gerade deshalb zu überdenken wären. Wie die das Konjunkturpaket prägende Logik des Erfolgsmodells eines auf den Export hochwertiger Industrieprodukte abonnierten, durch große Rohstoffinputs aus dem Globalen Süden befeuerten Standortes Deutschland zeigt, ist die Orientierung darauf, sich aus der Krise herauszukaufen, ungebrochen. Da dies nur mit einem großen Anteil externalisierter ökologischer Kosten als auch der Inanspruchnahme billiger wie kostenloser Arbeit geht, die die soziale Reproduktion in denjenigen Ländern gefährdet, in denen der Extraktivismus der Industriestaaten in erster Linie stattfindet, böte sich hier ein Anknüpfungspunkt für Klimagerechtigkeit an.

Das um so mehr, als der seit drei Wochen in den USA und weltweit anhaltende, durch die Ermordung von George Floyd durch einen Polizisten am 25. Mai in Minneapolis ausgelöste Protest gegen rassistische Unterdrückung Ausdruck einer sozialen Revolte ist, die sich nicht zuletzt gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen von People of Color durch den Industrie- und Finanzkapitalismus richtet. In den USA bezeichnet der Begriff environmental racism die weit überproportionale Betroffenheit schwarzer, migrantischer und indigener Communities durch Luft, Wasser und Boden kontaminierende Fabriken, Raffinerien, Pipelines, durch im Tagebau betriebenen Bergbau, durch Anlagen der Massentierhaltung und mit Pestiziden verseuchte Anbauflächen. Im Globalen Süden gesellen sich dazu noch die unmittelbaren Auswirkungen der Klimakatastrophe, die zu hitze- und brandbedingter Unbewohnbarkeit ganzer Regionen, dem Ausfall von Ernten durch jahrelange Dürren oder Gebietsverluste durch den ansteigenden Meeresspiegel führen, um nur drei hervorstechende Beispiele für das Pandämonium eskalierender Naturzerstörung anzuführen.

Klimagerechtigkeit herstellen heißt daher in erster Linie, die Perspektive derjenigen einzunehmen und zu repräsentieren, die ständig um ihr Leben kämpfen müssen, weil sie für die Kapitalakkumulation transnationaler Unternehmen bis auf die Knochen ausgebeutet werden oder ihre natürliche Umgebung zu diesem Zweck zerstört wird. Ginge es bei Klimagerechtigkeit tatsächlich um Gerechtigkeit zwischen den Generationen [2], dann machte sich FFF als eine Bewegung kenntlich, die aus mittelständischen weißen Familien ökonomisch bessergestellter Gesellschaften hervorginge und im Rahmen dieses Distinktionsstrebens und Klassenanspruches verbliebe. Die soziale Frage nicht nur als einen Aspekt notwendiger Maßnahmen zur Beschränkung des Klimawandels zu begreifen, sondern davon auszugehen, daß sich in systematischer Naturzerstörung ein spezifisches Klasseninteresse artikuliert, wäre ein ganz anderer, ungleich radikalerer Ansatzpunkt für eine Bewegung, die allen Grund hat, diesem Staat hinsichtlich der Zukunft ihrer AktivistInnen zu mißtrauen.

Wenn die ARD-Doku nach dem Restbestand von FFF fragt und ein Vermittlungsproblem diagnostiziert, dann entspricht das der Binnensicht eines öffentlich-rechtlichen Senders, dessen AutorInnen weder über nationale noch Klassengrenzen blicken möchten. Das Problem, das die AktivistInnen antreibt, ist nicht auf die Klimakrise zu reduzieren, sondern liegt in gesellschaftlichen Naturverhältnissen begründet, die seit Jahrzehnten auf der Agenda linker sozialökologischer Bewegung stehen und erst in jüngerer Zeit angemessene Aufmerksamkeit erhalten haben. FFF hat dazu wesentlich beigetragen, der Anlaß zum Aufschrei war allerdings überfällig und baut auf die Arbeit gesellschaftskritischer Bewegungen auf, die spätestens seit den 1960er Jahren Patriarchat und Kapitalismus als Ursachen dieser in menschheitsgeschichtlicher Sicht möglicherweise finalen Entwicklung ausgemacht haben.

Was auch von gestandenen Linken als apokalyptische Übertreibung verworfen wird, wird in großen Kreisen der Bevölkerung bis heute nicht als existenzielles Problem, sondern lediglich abstrakte Bedrohung wahrgenommen. Der Ruf, FFF müsse endlich erwachsen werden und in reguläre politische Aushandlungsprozesse eintreten [3], könnte angesichts der dort eingeforderten Affirmation herrschender Verhältnisse nicht unangemessener sein. Gerade nicht im handelsüblichen Sinne vernünftig zu werden und die Ratio des fossilen Kapitalismus mit Haut und Haaren zu schlucken, sondern sich auf radikale, dem Anspruch des Streikens gemäße Weise zu verweigern eignet sich als Ausgangspunkt einer emanzipatorischen Bewegung, die über den von ihr selbst gesetzten Horizont hinauswächst, weil sie unbescheidene Fragen stellt, wie es mitunter Kinder tun. Allein die beiden hauptsächlichen Angriffspunkte - Patriarchat als historisch älterer, maskulin konnotierter Anspruch auf die Herrschaft über die Natur, Kapitalismus als daran anknüpfende, in systemischer Expansion verhaftete Akkumulation um ihrer selbst willen betreibende Gesellschaftspraxis - beim Namen zu nennen wäre schon ein Fortschritt, der dieser Bewegung neuen Aufschwung geben könnte.

Gerade dazu soll es nicht kommen, scheint das Credo einer medialen Berichterstattung zu lauten, die alle Hände voll damit zu tun hat, die 2019 den Rahmen üblicher Proteste in der Bundesrepublik sprengenden Klimaproteste in die institutionell eingehegten Bahnen konventioneller Stellvertreterpolitik zu verweisen. Nach Autonomie streben, die Dinge selber organisieren, gegen Rassismus, Sexismus, Faschismus kämpfen, den Subjektcharakter nichtmenschlicher Lebewesen entdecken, Natur nicht als "ökologische Dienstleistung" für den grünen Kapitalismus zu kommodifizieren, den Menschen in seiner tierlichen Herkunft ernstnehmen - all das könnten Ansatzpunkte dafür sein, Fridays for Future eine Zukunft zu geben, die nicht zurück ins Feuer des fossilen Weltenbrandes führt.


Fußnoten:

[1] https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/45_min/Was-bleibt-von-Fridays-for-Future,sendung1034678.html

[2] https://makroskop.eu/2019/09/nur-schwarz-oder-weiss/

[3] a.a.O.

15. Juni 2020


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