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PROPAGANDA/1356: Aggressive Politik braucht Feindbilder ... Ahmedinejad vor der UNO (SB)



Man mag vom iranischen Präsident Mahmud Ahmedinejad halten, was man will, man mag ihn als Autokraten schmähen und die jüngsten Wahlen für gefälscht halten. Die Art und Weise, wie seine Rede vor der UN-Generalversammlung zum empörenden Affront hochgeschrieben wird, gibt angesichts dessen, was tatsächlich gesagt wurde, dennoch Anlaß zu der Vermutung, daß hier mit allen Mitteln der Bösewicht aufgebaut werden soll, den die sogenannte internationale Gemeinschaft braucht, um die eigene Politik besser legitimieren zu können. Ein Blick auf die Überschriften der von Google News aufgelisteten deutschen Nachrichtenquellen verrät, daß man sich quer durch das Spektrum der Presse- und Onlinepublikationen einig in der Verwerflichkeit dessen ist, was der iranische Präsident von sich gegeben hat. Die Schlagwörter "Eklat" und "Hass-Rede" sind omnipräsent und werden durch Aussagen wie "hetzt gegen Israel", "leugnet Holocaust" oder spricht "Drohung gegen Israel" aus, inhaltlich auf so uniforme Weise komplettiert, daß man sich den Text der Rede eigentlich nicht mehr zu Gemüte führen brauchte.

Eben das scheint die Absicht einer Berichterstattung zu sein, die in einer heiklen internationalen Situation, in der der Iran am Pranger steht, weil er angeblich atomar aufrüstet, mit journalistischem Sperrfeuer jeden Ansatz, sich einer differenzierten Sichtweise zu befleißigen, niedermacht. In nicht wenigen Berichten über die UN-Generalversammlung wird zudem US-Präsident Barack Obama in direktem Gegensatz zu Ahmedinejad zur Lichtgestalt aufgebaut, um vergessen zu machen, daß die von ihm vollzogene Annäherung der USA an die Vereinten Nationen einem durchaus eigennützigen, von aggressiver Kriegführung begleiteten Kalkül folgt.

Der Nutzen der fortwährenden Dämonisierung Ahmedinejads, der sich aus herrschaftstechnischer Sicht kaum von vielen Politikern unterscheidet, mit denen westliche Regierungen auf bestem Fuße stehen, liegt auf der Hand und nicht nur im Interesse Israels. Als regionale Mittelmacht mit rund 75 Millionen Einwohnern, die über erhebliche Ressourcen an fossiler Energie verfügt und an zwei Länder grenzt, in denen die von den USA betriebene kriegerische Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens im Gang ist, ist der Iran ein strategisches Pfund, mit dem zu wuchern sich lohnt. Ob man dort einen Regimewechsel über die innere Opposition herbeiführt, das Land unter dem Vorwand der präventiven Ausschaltung möglicher Atomwaffen überfällt oder seine Regierung doch noch dazu nötigt, sich den Forderungen der USA und EU zu unterwerfen - die Überzeichnung des iranischen Präsidenten zum fleischgewordenen Bösen produziert so oder so die Legitimation für Handlungsoptionen, mit denen sich die geostrategischen Ziele Washingtons, Brüssels und Tel Avivs erreichen lassen.

Gleichheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit zu propagieren, wie es Ahmedinejad zu Beginn seiner Rede tat, konnte sicherlich vom Publikum im UN-Gebäude am New Yorker East River unterschrieben werden. Das war schon weniger der Fall, als der iranische Präsident zu grundsätzlicher Kritik am Finanzkapitalismus ausholte und die Bewältigung der Krise durch das Anwerfen der Notenpressen als kontraproduktiv bewertete:

"Es ist nicht länger möglich, tausende von Milliarden Dollar an irrealem Reichtum in die Weltwirtschaft zu injizieren, indem man einfach wertloses Papiergeld druckt, oder Inflation zu verbreiten als auch die sozialen und ökonomischen Probleme anderen aufzulasten, indem man schwerwiegende Haushaltsdefizite produziert. Der Motor des ungezügelten Kapitalismus mit seinem ungerechten Gedankengebäude hat das Ende des Weges erreicht und kann sich nicht mehr bewegen. Die Ära kapitalistischen Denkens und die Indoktrination der internationalen Gemeinschaft mit ihren Gedanken in der Absicht, die Welt im Namen der Globalisierung zu beherrschen, und das Zeitalter des Errichtens von Imperien sind vorbei. Es ist nicht länger möglich, Nationen zu demütigen und der Weltgemeinschaft Politiken der doppelte Standards aufzuerlegen.

Herangehensweisen, die der Realisierung der Interessen bestimmter Mächte dienen und die als einzige Kriterien betrachtet werden, um Demokratie zu bestimmen, der Gebrauch häßlichster Methoden der Einschüchterung und Irreführung unter dem Mantel der Freiheit als demokratische Praxis, Herangehensweisen, unter denen Diktatoren manchmal als Demokraten dargestellt werden, besitzen keine Legitimität und müssen vollständig zurückgewiesen werden.

Für diejenigen, die Demokratie und Freiheit definieren und die Standards setzen, während sie selbst die ersten sind, die diese fundamentalen Prinzipien verletzen, ist die Zeit zuendegegangen. Sie können nicht länger den Platz des Richters und des Henkers einnehmen und wirklich demokratisch etablierte Regierungen herausfordern.

Das Erwachen der Nationen und die weltweite Verbreitung der Freiheit wird ihnen nicht länger erlauben, ihre Heuchelei und ihre bösartigen Einstellungen fortzusetzen. Aufgrund dieser Ursachen warten die meisten Nationen einschließlich der Bevölkerung der Vereinigten Staaten auf wirkliche und grundlegende Veränderungen."
(www.un.org, 23.09.2009, in eigener Übersetzung aus dem Englischen)

Zweifellos läßt sich anhand dieses insbesondere auf die Regierungen der USA und EU gemünzten Teils der Rede Ahmedinejads feststellen, daß der iranische Präsident nicht frei von den Praktiken ist, die er anprangert, wenn man etwa an die Unterdrückung der kurdischen Minderheit, freier Gewerkschaften und oppositioneller Bewegungen im Iran denkt. Das nimmt seiner Kritik jedoch ebensowenig die Schärfe der Sicht eines Vertreters jener Staaten, die im Verhältnis zu den USA und der EU stets am unterlegenen Ende anzutreffen sind, wie es bei seiner unmißverständlichen Ablehnung des Marxismus wie Kapitalismus als verwerfliche säkulare Ideologien der Fall ist.

Ahmedinejads Abgesang auf diese weltlichen Doktrinen mündete in ein Loblied auf monotheistische Religionen, die er ausdrücklich am Beispiel der "Botschafter Gottes von Adam zu Noah, von Noah zu Abraham, Moses, Jesus Christus und dem letzten Propheten Mohammed" in die judäo-christlich-islamische Entwicklungslinie stellt.

Das hielt den iranischen Präsidenten nicht davon ab, eine Attacke gegen die israelische Regierung zu reiten, die den Anlaß zum Auszug der meisten Delegationen westlicher Staaten gab. Laut einer Sprecherin der deutschen Botschaft wurde die Passage, in der Ahmedinejad ohne ausdrückliche Nennung Israels erklärte, daß es nicht länger akzeptabel sei, "dass eine kleine Minderheit die Politik, Wirtschaft und Kultur großer Teile der Welt durch ihre komplizierten Netzwerke beherrscht und eine neue Form der Sklaverei betreibt" (dpa, 24.09.2009), von der deutschen Delegation als "inakzeptabel antisemitisch" empfunden, so daß sie den Saal verlassen mußte.

Ganz spontan kann der Auszug der Delegationen nicht erfolgt sein, wurde doch im Vorfeld darüber berichtet, daß die 27 EU-Botschafter einen Tag zuvor darüber berieten, bei welchem Stichwort sie gemeinsam das UN-Plenum verlassen wollten. Laut dem Handelsblatt (23.09.2009) soll Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier seinen Emissären dazu entsprechende Anweisungen erteilt haben. Die von seiner Delegation als antisemitisch inkriminierte Aussage fiel in einem Kontext, in dem Ahmedinejad die Besatzungs- und Kriegspolitik der israelischen Regierung ausführlich als grausam und unmenschlich anprangerte. Dabei bezog er sich auf das "zionistische Regime" und nicht auf Israel, um mit dieser auch an anderer Stelle gemachten Differenzierung zu erkennen zu geben, daß er Juden nicht als Feinde betrachtet.

So erklärte Ahmedinejad in einem Interview, daß er einen Tag vor seiner Rede mit Associated Press (22.09.2009) in New York führte: "Hinsichtlich der Frage der jüdischen Bevölkerung und ihrer Empfindungen muß ich sagen, daß dies unserer Ansicht nach eine andere Angelegenheit ist als die des Zionismus. Zionismus ist eine politische Partei. Aber die jüdische Bevölkerung folgt wie viele andere Bevölkerungen einen göttlichen Propheten."

Betrachtet man die Rede vor dem Hintergrund der Empörung, die in großen Teilen des Nahen und Mittleren Ostens nach wie vor über das Schicksal der Palästinenser im allgemeinen und der Bewohner Gazas im besonderen herrscht, so fiel sie nicht aus dem Rahmen dessen, was viele Menschen in der Region über Israel, seine vorbehaltlose Unterstützung durch die USA und EU sowie die Aufhebung der demokratischen Entscheidung der Palästinenser für die Hamas denken und sagen.

Die Anprangerung des iranischen Präsidenten als Antisemit müßte konsequenterweise in der Boykottierung zahlreicher Regierungen und Institutionen münden, mit denen Vertreter westlicher Regierungen in der Region in Kontakt stehen und Geschäfte machen. Sicherlich kann man Ahmedinejad vorwerfen, nicht den feinen diplomatischen Ton getroffen zu haben, mit dem vieles von dem, was Menschen auf brutalste Weise zu erleiden haben, verharmlost und ignoriert wird. Ahmedinejad hat die Praktiken imperialistischer Politik beim Namen genannt und damit die für viele Menschen unverständliche Politik, daß einige Staaten ungestraft schwerwiegende Grausamkeiten begehen können, während andere für entsprechende oder geringere Vergehen an den Pranger und womöglich vor internationale Gerichte gestellt werden, kritisiert.

Natürlich gehen die Forderungen, die Ahmedinejad am Schluß seiner Rede etwa zur Reform der Vereinten Nationen, zum Abhalten eines Referendums und freier Wahlen in Palästina mit dem Ziel, "ein tragfähiges Lebensumfeld aller Palästinenser inklusive Muslimen, Christen und Juden für ein gemeinsames Leben in Frieden und Harmonie" zu schaffen, und zur Beendigung äußerer Einmischungen in Afghanistan, im Irak und in anderen Teilen der Welt erhob, in der Demagogie unter, die den Tonfall der Berichte über seinen Auftritt bei den Vereinten Nationen in der deutschen Presse bestimmt. Auch erspart man sich Anmerkungen dazu, daß er in New York als Staatschef eines von Großmächten herausgeforderten Landes im Interesse der eigenen Sicherheit sprach, was angesichts der Drohungen, die legale Weiterentwicklung der zivilen Atomenergie im Iran mit militärischen Mitteln auszuschalten, und das durch Staaten, die selbst atomar gerüstet sind und sich keineswegs in gleicher Weise wie vom Iran verlangt in die Karten schauen lassen, allemal legitim sein sollte.

Die Netzzeitung (24.09.2009) gehörte zu den wenigen Publikationen, die erwähnen, daß Ahmedinejad neben Israel "auch den Kapitalismus scharf" angegriffen habe. Man verzichtete jedoch darauf zu berichten, daß er dies im gleichen Atemzug tat, in dem er den Marxismus verwarf. Man hätte ja entdecken können, daß man in religiös argumentierenden Politikern durchaus Bündnispartner im gemeinsamen Kampf gegen das Gespenst des Kommunismus finden könnte. Am Ende hätte man sich noch daran erinnert, daß der islamische Antikommunismus einst ein wichtiges Instrument für den Siegeszug der kapitalistischen Staatenwelt war.

In der angloamerikanischen Presse wurde bei weitem nicht so rabiat vom Leder gezogen wie in deutschen Medien. So bewertete die Mitarbeiterin der New York Times, Sarah Wheaton, im Blog dieser Zeitung die Rede Ahmedinejads im Vergleich zu seinen vorherigen Auftritten vor der UN-Generalversammlung als "versöhnlicher" und belegte dies mit einigen der Themen, die in deutschen Tageszeitungen ausgespart bleiben. Hierzulande scheint die vermeintliche Pflicht zur Parteinahme für die Regierung Israels jede Besinnung auf den produktiven Charakter einer Annäherung zu verhindern, mit der einer unheilvollen Entwicklung Einhalt geboten werden kann, die auch für die an der Nötigung des Irans beteiligte Bundesrepublik die Folge haben könnte, die Bundeswehr in einen weiteren völkerrechtswidrigen Krieg schicken zu müssen.

24. September 2009