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PROPAGANDA/1358: Mordprozeß Marwa el Sherbini ... Muslime an Islamophobie selber schuld (SB)



Im Verfahren gegen den mutmaßlichen Mörder der Ägypterin Marwa el Sherbini hat das Dresdner Landgericht bei Eröffnung des Prozesses darauf verwiesen, daß es sich nicht um einen politischen Prozeß handle. In diesem Strafverfahren könne es nicht darum gehen, ob das Opfer möglicherweise aufgrund wachsender Islamophobie in der westlichen Welt zu Tode gekommen sei. Der strikte Ausschluß dieser Frage findet Niederschlag in Pressekommentaren, in denen ebenfalls versucht wird, die politische Bedeutung des Verfahrens herunterzuspielen und es auf eine normale Strafsache zu reduzieren.

Doch die Vorgeschichte der Tat, die lange Frist, die deutsche Politiker benötigt haben, zu ihr Stellung zu beziehen, wie die nun laut werdenden Stimmen, die den zugrundeliegenden Rassismus verharmlosen, spricht ganz und gar nicht dafür, daß in Dresden lediglich ein normaler Mordfall zu verhandeln wäre. So hat der Angeklagte schon bei seiner ersten Begegnung mit Marwa el Sherbini auf einem Spielplatz seinem Haß auf Muslime freien Lauf gelassen und sein späteres Opfer als "Islamistin" und "Terroristin" beschimpft, deren Sohn ebenfalls Terrorist werde und deutsche Kinder gefälligst nicht mit seinem terroristischen Gesicht belästigen solle. Auch in der Verhandlung, in der es um diese Beleidigung ging, hat der Angeklagte kein Hehl aus seinem Haß auf Muslime gemacht.

Anstatt die Frage zu stellen, in welchem Zusammenhang die Einstellung des Angeklagten mit der in der Bundesrepublik grassierenden Islamophobie steht, widmet sich ein Gutteil der Berichterstattung den Sicherheitsmaßnahmen beim "gefährlichsten Prozeß des Jahres", so die Schlagzeile der Bild-Zeitung (23.10.2009). Am 26. Oktober bietet Bild mit Rolf Tophoven mit dem "Leiter des Instituts für Terrorismusforschung in Essen" einen angeblichen Experten auf, der die scharfen Sicherheitsvorkehrungen während des Prozesses mit der Gefahr erklärt, "dass militante Islamisten ihn für sich instrumentalisieren und Hetze gegen Deutschland betreiben."

Diverse Kommentatoren meinen die erregten Gemüter mit der Behauptung beschwichtigen zu müssen, daß es völlig abwegig sei, das Tatmotiv trotz der einschlägigen Stellungnahmen des Angeklagten in Islamfeindlichkeit zu verorten. Die Schwäbische Zeitung (27.10.2009) spricht von einem "fanatisierten Einzeltäter", der "nicht für die deutsche Gesellschaft" stehe und dessen Opfer "nicht das einer islamfeindlichen Welt" sei. Viel mehr sei der deutsche Rechtsstaat "eine zivilisatorische Errungenschaft", während die meisten islamischen Länder "da noch einen langen Weg vor sich" hätten. Ein Verteidiger des Angeklagten plädiert denn auch dafür, diesem strafmildernd zugutezuhalten, daß er von den "täglichen Meldungen über Attentate", dem "betretene Schweigen" der Muslime zu Ehrenmorden und Gewaltaufrufen und einem Islam, der nicht gerade ein "Bild der Barmherzigkeit" biete (Spiegel Online, 27.10.2009), zu seiner Tat getrieben wurde.

So wird der Prozeß um den Mord an Marwa el Sherbini auf nicht gerade unterschwellige Weise in eine Anklage gegen den Islam verwandelt. Wie verwerflich der Täter auch gehandelt haben mag, letztendlich seien Muslime selbst schuld daran, wenn sie Opfer gewaltsamer Übergriffe werden, lautet die häufig zu vernehmende Apologie der am Schüren von Rassenhaß ja völlig unschuldigen deutschen Gesellschaft. Niemand spricht darüber, was Muslimen von Bomberpiloten, Folterschergen und Drohnenoperateuren, die über ein christliches Selbstverständnis verfügen, angetan wird, statt dessen rutscht man auf der Spur Sarrazins in den Schoß einer Selbstgerechtigkeit, die zu aggressivem Herrenmenschentum auswachsen zu lassen es keiner besonderen Anlässe bedarf.

Wendet man den antiislamischen Tenor, der den Prozeß in Teilen der Medien begleitet, auf das antisemitische Pendant des Rassenhasses an, dann wird die Virulenz des hier zum Zuge kommenden Rassismus ganz deutlich. Auch der Verzicht auf die Untersuchung der Frage, wieso der Frau bei einer Zahl von mindestens 16 Stichverletzungen, die der Täter ihr mit einem mehr als 30 Zentimeter langen und dementsprechend nicht leicht zu handhabenden Messer zugefügt hat, niemand außer ihr Ehemann, der dann auch noch von einem Polizisten angeschossen wurde, zur Hilfe kam, läßt nicht eben darauf schließen, daß in diesem Prozeß ein anderes Interesse vorherrschte als das, ihn unter Vermeidung einer Debatte um das antiislamische Ressentiment so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen.

27. Oktober 2009