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PROPAGANDA/1431: Murdoch-Skandal - nach der Glaubwürdigkeitskrise optimierte Immunisierung (SB)



Rette sich wer kann - die sogenannte Abhöraffäre um die kriminellen Machenschaften des eingestellten Boulevardblatts News of the World betrifft die britischen Funktionseliten als Ganzes. Korruption und Nepotismus verdüstern nicht nur das Ansehen des führenden Medienkonzerns des Landes, sondern bringen seine gesellschaftlichen Wasserträger insgesamt in Mißkredit. Was lange bekannt war, der maßgebliche Einfluß des weltweit zweitgrößten Medienkonzerns News Corp. auf die Politik des Vereinigten Königreichs, wurde mit der Aufdeckung illegaler Abhörpraktiken und trotz weitreichender Verdachtsmomente unterbliebener behördlicher Ermittlungen selbst zum Gegenstand jener Anprangerung, aus der das Murdoch-Imperium in erster Linie Honig saugt.

Erschüttert sind nicht nur die Glaubwürdigkeit der Murdoch-Medien und das Ansehen ihrer Gewährsleute in Politik und Wirtschaft. Schwerwiegend beschädigt ist die Legitimität eines Staatswesens, dem die Pressefreiheit eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmalen zu Despotien und Diktaturen in aller Welt ist. Das liberale Credo einer von selbstregulativer Marktwirtschaft organisierten Gesellschaftsordnung, für deren Medien nicht minder gilt, daß sie der Freiheit am besten dienen, wenn sie so wenig reguliert sind wie möglich, erweist sich als so herrschaftskonformer Apparat zur Unterdrückung demokratischer Egalität, als es die staatlich kontrollierten Medien in Ländern tun, denen gegenüber sich die demokratische Kultur Britanniens erhaben wähnt.

Die von einer Sparpolitik historischen Ausmasses drangsalierte britische Gesellschaft wird sich allmählich bewußt, daß Klassenherrschaft kein antiquierter Begriff aus der Mottenkiste überwunden geglaubter Ideologien ist, sondern ein höchst vitales Prinzip der Sicherung von Partikularinteressen, die weit überproportionalen Einfluß auf die politischen Geschicke des Landes nehmen. Nicht nur die sozialfeindliche Politik des Tory-Labour-Duopols wird durch die Murdoch-Presse als alleinseligmachende Wohltat propagiert, der australische Medienmagnat hat nationalistische Stimmung für jeden Krieg, in dem britische Soldaten sterben, gemacht. Aus den Federn seiner Lohnschreiber und Mündern seiner Moderatoren quillt die so facettenreich larvierte wie inhaltlich armselige Botschaft, daß die herrschende Ordnung die beste aller Welten ist und das globale Lumpenproletariat nur dem hauseigenen Unterhaltungskonsum frönen müsse, um an diesem Glück teilzuhaben.

Wenn Regierungsmitglieder und Abgeordnete nun mit dem Finger aufeinander zeigen und sich gegenseitig bezichtigen, nicht den Willen des nominellen Souveräns vollzogen, sondern diesem im Interesse eines Medientycoons zuwidergehandelt zu haben, dann sind diese Ausflüchte so durchsichtig und abgeschmackt wie die sozialchauvistischen Schlagzeilen der Boulevardpresse nicht nur dieser Provenienz. Wie stets, wenn die Legitimität des Regierungshandelns ins Mark erschüttert ist, wird der Blick nach vorn gerichtet und ein Aufbruch angekündigt, der vergessen machen soll, daß eine tatsächlich schonungslose Aufarbeitung des Machtmißbrauches revolutionäre Entwicklungen in Gang setzen könnte.

Weil das Eis in Anspruch genommener Legitimität einbruchgefährdeter kaum sein könnte, wird Krisenmanagement auf höchstem Niveau betrieben. Es geht darum, den zentralen Legitimationsproduzenten inmitten eines Sozialkampfes, der das Überleben erwerbsabhängiger und mittelloser Menschen in Frage stellt, nicht nur vor dem schwersten Glaubwürdigkeitsverlust seit langem zu bewahren, sondern seine Wirkmächtigkeit für künftige Herausforderungen zu steigern. Alte Feindbilder, neue Sündenböcke und das Schwadronieren über journalistische Ethik reichen nicht aus, um einen Medienbetrieb als Vermittler gesellschaftsrelevanter Impulse zu retten, der in seinem Eigeninteresse zum zentralen Medienthema geworden ist. Hier hilft nur noch das Eingeständnis, daß Herrschaft in der liberalen Mediendemokratie ohne die Abrichtung der breiten Masse auf für ihre politische Emanzipation irrelevanten Unterhaltungskonsum nicht auskommt.

Die immunisierende Wirkung eines Neubeginns erfüllt ihren Zweck nur dann zuverlässig, wenn es so wirkt, als ginge es um die Korrektur antidemokratischer Interessen durch informierte Aufklärung. Das kulturindustrielle Produkt inszenierter und gefühlter Freiheit ist weit verträglicher als die unverschnittene und dementsprechend konfrontative Auseinandersetzung mit Gewaltverhältnissen, die greifbar zu machen so unverdaulich ist wie das Gras, das die Hungernden in Afrika in ihrer Not zu sich nehmen. Wer sich nicht damit konfrontieren will, daß Not und Elend in fernen Kontinenten wie auf den heimischen Inseln mit der eigenen Vergesellschaftungspraxis untrennbar verbunden sind, wird der Light-Version des medialen Realitätsschocks den Vorzug geben. Die Simulation der Krisenbewältigung versiegelt das initiale Problem noch besser als zuvor, so daß Freiheit und Demokratie in neuem Glanz erstehen können, während sie jenseits ihrer informationstechnischen Illumination noch weiter hinter den Stand zurückfallen, den erreicht zu haben niemals etwas anderes war als der Stoßseufzer der Ehrlichkeit, mit dem jede neue Lüge beginnt.

22. Juli 2011