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PROPAGANDA/1437: Wieder einmal einen Sieg verpaßt ... deutsche Kriegspresse in Aufruhr (SB)



Auf die deutsche Konzernpresse ist Verlaß. Versteigt sie sich einmal dazu, die Bundesregierung in Sachen Krieg zu kritisieren, dann nur deshalb, weil sie sich nicht auf die von ihr verlangte Art und Weise daran beteiligt. Seit Beginn des Libyenkriegs ist die Beschwerde darüber, daß sich die Bundesrepublik im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung zur Resolution 1973 der Stimme enthalten hat und aus der Phalanx der NATO-Aggressoren praktisch desertiert ist, eine Konstante in den Kommentaren journalistischer Bellizisten. Nun, da die Ernte des blutigen Feldzugs eingefahren wird, nimmt das Lamento darüber, daß die Bundeswehr sich in diesem Krieg nicht bewähren konnte, eine noch schrillere Tonlage als bisher schon an.

"Westerwelles peinliche Libyen-Show" titelt Spiegel Online [1], und Autor Severin Weiland höhnt: "Wo immer der FDP-Politiker in diesen Tagen die Bühne sucht, bekommt man den Eindruck, nicht die Rebellen, sondern er selbst habe Tripolis quasi im Alleingang befreit." Unter der Überschrift "Die deutsche Außenpolitik hat sich gründlich blamiert" macht sich Richard Herzinger auf Welt Online [2] über "deutsche Besserwisser" her, "die warnen, es könnte jetzt nur ein Unterdrückungssystem durch ein anderes abgelöst werden". Nicht auf die üblichen Verdächtigen der Linken hat es das neokonservative Sturmgeschütz des Springer-Flaggschiffs abgesehen. Herzinger kühlt sein Mütchen an dem CDU-Außenexperten Ruprecht Polenz, der "vom sicheren Lehnsessel des eingebildeten Weltstrategen aus den Libyern Belehrungen über den einzig wahren Weg zur Demokratie" erteile. Auch der Außenminister bekommt sein Fett weg, geniere sich Guido Westerwelle doch nicht, "einen Teil des libyschen Erfolgs für sich zu reklamieren. Habe Deutschland doch an vorderster diplomatischer Front tapfer für Sanktionen gegen Gaddafi gestritten."

Zeit Online [3] wartet mit der Schlagzeile auf: "Westerwelle verhöhnt das libysche Volk". Autor Markus Horeld lastet Westerwelle unerträgliche "Selbstgerechtigkeit" an, weil er der Resolution 1973 die Zustimmung versagt und damit "diesen Einsatz, der Zivilisten schützen sollte, vor aller Welt missbilligt" habe. Nichts, was in den fünf Monaten der Bombenangriffe der NATO geschehen ist, kann für Horeld so schlimm sein wie die mangelnde Unterstützung für über 7000 Kampfeinsätze, in denen aus sicherer Höhe libysche Soldaten und Zivilisten niedergemacht wurden. Jeder wisse doch, "was passiert wäre, wenn man Gadhafis Luftwaffe nicht ausgeschaltet hätte. Der Diktator hätte die Befreiungsbewegung schlicht weggebombt." In die gleiche Kerbe schlägt Günther Nonnenmacher im Kommentar auf FAZ.NET [4]: "Sicher ist, dass ohne das Eingreifen der Nato einen Monat nach dem Beginn der Unruhen im ostlibyschen Benghasi Gaddafi den Aufstand gegen seine mehr als 40 Jahre währende Herrschaft blutig niedergeschlagen hätte." Nonnenmachers Lob auf die Handlungsfähigkeit des UN-Sicherheitsrats und das angebliche Versagen der deutschen Diplomatie, aus "der westlichen Einheitsfront" auszuscheren "und seine europäischen Partner Britannien und Frankreich mit einer Stimmenthaltung im Stich" zu lassen, beschwört die Aggressivität westlicher Kriegführung, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, daß zahlreiche Menschen in aller Welt gerade den destruktiven Charakter westlichen Hegemonialstrebens zutiefst ablehnen.

Was diese Herren für sicher wähnen, ist ebenso ungewiß wie die Zahl der nach bisherigen Meldungen in die Tausende gehenden Toten, die allein die unter massiver Schützenhilfe der NATO-Bomber möglich gewordene Eroberung der Hauptstadt Tripolis bislang gekostet hat. Abgesehen vom völkerrechtswidrigen Charakter einer kriegerischen Aggression, die die nicht als Rechtsprinzip in der UN-Charta verankerte Schutzverantwortung (R2P) in Anspruch nimmt, um unerklärtermaßen in einem souveränen Staat mit militärischen Mitteln Partei für einen bewaffneten Aufstand zu ergreifen, gibt es keinen Beleg dafür, daß die Niederschlagung dieses Aufstands auch nur annähernd so zerstörerisch gewesen wäre wie die Verlängerung des Krieges auf fünf Monate durch das Eingreifen der NATO. Ginge es tatsächlich darum, die Opfer repressiver Systeme vor der Staatsgewalt zu schützen, dann bestände dazu in Saudi-Arabien, in der Türkei, in den Palästinensergebieten, in Indien, in Bahrain und wo sonst nicht alles mehr als genug Gelegenheit. Die Folterregimes in Ägypten und Tunesien, im Irak und Iran wurden jahrzehntelang von westlichen Regierungen so selbstverständlich hofiert wie die Militärdiktaturen in Lateinamerika und der Apartheidstaat Südafrika.

Die Herolde der Freiheit in den Redaktionen liberaler Blätter wie der genannten sind jedoch ebensosehr Apologeten staatlicher Repression, wenn diese auf Linie der Interessen liegen, denen sie Wort und Stimme geben, wie sie es nicht erwarten können, der Bundesrepublik zur Normalität eines globalen Kriegsakteurs zu verhelfen. Der Ärger der Schreibtischtäter über die verpaßte Gelegenheit, die Bundeswehr auf der operativen Höhe US-amerikanischer, britischer und französischer Streitkräfte kriegsfähig zu machen, die Geschäftsinteressen des sie als publizistische Meinungsführer privilegierenden Kapitals im öl- und wasserreichen Libyen gewaltsam durchzusetzen und darüber hinaus die Heldenmaschine anzuwerfen, mit der sich noch besser nationalistische Hochgefühle erzeugen lassen als durch ein sportliches Großereignis wie die Fußball-WM, artikuliert sich somit in sekundärer, bereits auf zweckdienlichen Lügen beruhender Propaganda.

So machten westliche Regierungen und Medien anfangs Stimmung für die Einschaltung der NATO mit Behauptungen über Massaker und Massenvergewaltigungen durch die Soldateska Gaddafis. Internationale Menschenrechtsorganisationen, die unter den ostlibyschen Rebellen recherchiert haben, konnten bislang keine Belege für diese den libyschen Regierungstruppen angelasteten Menschenrechtsverletzungen beibringen. Gleichzeitig wurde von brutalen Übergriffen seitens der Rebellen auf Arbeitsmigranten und schwarze Libyer wie von Plünderungen in von ihnen eingenommenen Ortschaften berichtet. Die Zahlen von Toten und Verletzten, zu denen es durch Bombardierungen der NATO gekommen ist, wurden derweil von der Militärallianz bestritten, ohne daß die Kriegspresse in gleicher Weise die Einschaltung der internationalen Justiz gefordert hätte, wie sie es im Falle Gaddafis und seiner Familie tut.

Nein, man ist ganz und gar Partei, und zwar in erster Linie für sich selbst, wie auch Hauke Friederichs auf Cicero Online [5] mit einer moralinsauren Standpauke unter dem Titel "Deutschlands peinliche Revolutionshelden" demonstriert. Widersprüchliche Signale der Bundesregierung, einerseits nicht kämpfen zu wollen, sich jedoch andererseits an der Auswahl von Bombenzielen zu beteiligen und die Bundeswehr als mögliche Besatzungsmacht nach dem Sturz Gaddafis ins Gespräch zu bringen, hätten nicht nur den Ruf der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ruiniert, sondern sie geradezu unberechenbar gemacht. Schlimmer noch - der Vorwurf der Feigheit vor dem Feind steht im Raum: "Doch jetzt, wo die Schlacht geschlagen scheint, stehen Deutschlands Revolutionshelden an der Seite des siegreichen libyschen Volkes." Doch dieses läßt sich nicht durch Papiertiger wie Westerwelle in die Irre führen, hätten die Rebellen doch längst klargestellt: "Die libyschen Bodenschätze würden sie künftig an Frankreich oder die USA verkaufen".

Verluste auf der ganzen Linie, und das wegen eines Salonlöwen von Außenminister, der das ehrliche Herz jedes in die Redaktionen der Kriegspresse abgestellten Landsers erschauern läßt ob seiner moralischen Niedertracht. Nein, es gibt keinen Grund, Westerwelle gegen die Vorwürfe zu verteidigen, die ihm im Angesichte eines Sieges, bei dem die Deutschen wieder einmal zuschauen müssen, gemacht werden. Wenn er den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) bemüht, um der geringen demokratischen und humanitären Glaubwürdigkeit der libyschen Rebellen, über die sich die Kriegspresse an diesem Jubeltag so gründlich ausschweigt, durch die legalistische Internationalisierung der nun anstehenden Abrechnungen aufzuhelfen, dann tut er dies aus dem gleichen Interesse, das die Regierungen in London und Paris vorpreschen läßt, wenn es wieder einmal einen gerechten Krieg zu führen gibt. Die Bundesregierung hat sich stets als besondere Sachwalterin dieses imperialistische Kriege flankierenden Gerichts hervorgetan, weil sich mit ihm eine Form von Legitimität erwirtschaften läßt, die nur von kurzsichtigen Bellizisten gering geschätzt wird. Zudem geht es bei dem legalistischen Übertrag der Schuld an diesem Krieg auf Gaddafi darum, die NATO zu schützen. Sie soll als Schwert globaler Gerechtigkeit und Herold der Freiheit nicht beschädigt werden, weil man sie für weitere anstehende Regulationskriege benötigt. Die geballten, mit leichenbitterer Moral aufgeladenen Beschwerden an die Adresse dieses Außenministers zeigen allerdings, daß mit der deutschen Kriegspresse nicht nur viel Staat zu machen, sondern noch mehr Blut zu vergießen ist.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,781813,00.html

[2] http://www.welt.de/debatte/kommentare/article13559475/Die-deutsche-Aussenpolitik-hat-sich-gruendlich-blamiert.html

[3] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-08/westerwelle-libyen

[4] http://www.faz.net/artikel/C32321/kommentar-ende-eines-tyrannen-30489521.html

[5] http://www.cicero.de/weltbuehne/deutschland-bundeswehr-libyen-gaddafi-westerwelle-maizière/42717?print

23. August 2011