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PROPAGANDA/1482: Wenn bessere Menschen gerechte Kriege führen ... (SB)



Und immer wieder Kosovo ... der Überfall auf Jugoslawien holt die EU auf nicht minder lästige Weise ein, als es jeder schmutzige Fleck auf der weißen Weste eines Staatenbündnisses tut, das im Namen seiner Werte und nicht im Eingeständnis profaner Interessen Kriege führt. Regelmäßig taucht das Thema in Debatten um den Krieg in der Ukraine und die Rolle, die Rußland und die EU darin spielen, auf. Wird dem Zeigefinger, der auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin als vermeintlichem Hauptschuldigen an der kriegerischen Eskalation zwischen der Regierung in Kiew und den Aufständischen in der Ostukraine weist, mit dem Argument entgegengetreten, daß NATO und EU 1999 ganz ähnlich agierten, dann kann das zu geschichspolitischen und legalistischen Verrenkungen akrobatischer Art Anlaß geben. So auch in einer Diskussionssendung des Deutschlandfunks [1], zu der der aufgrund seines unbestechlichen Antikommunismus immer wieder gerne ans Mikrofon geholte Grünenpolitiker Werner Schulz geladen war.

Einmal mehr mit dem Verweis auf die große Nähe westlicher Politik zu den dem Kreml angelasteten Expansionsstrategien Rußlands konfrontiert, bestand Schulz darauf, daß diese beiden Kriege nicht miteinander zu vergleichen seien. Im Kosovo "haben wir einen wirklich blutigen Krieg gestoppt", der auf einer Linie mit früheren Kriegen während der "Auflösung Jugoslawiens" gelegen habe. So habe die Jugoslawische Volksarmee Kriege gegen Slowenien, Kroatien und in Bosnien-Herzegowina geführt, zudem galt es, eine Wiederholung des Massakers von Srebrenica zu verhindern. "Hier war endlich auch der Punkt erreicht, daß man eingreift", so Schulz, der heute für eine konsequente Aufrüstung der Ukraine eintritt, was sich letztendlich nur gegen Rußland richten kann.

Keine Frage, in den jugoslawischen Sezessionskriegen gab es ein Zentrum des Bösen, und das lag in Belgrad, so wie es heute in Moskau verortet wird. Das Veto des Kreml war 1999 dafür verantwortlich, daß der NATO kein Mandat des UN-Sicherheitsrates vorlag, so daß der Angriff auf Jugoslawien eben ohne eine völkerrechtliche Legitimation erfolgen mußte: "Rußland hat im Grunde genommen blockiert, daß man das Völkerrecht zur Anwendung bringt. Auch da hat Rußland eine sehr destruktive Rolle gespielt."

Die Logik, eigentlich sei Rußland daran schuld, daß die NATO einen angeblich alternativlosen Angriffskrieg führen mußte, ist Ausdruck einer doppelten Aggression. Die NATO greift das ihrer Feuerkraft gegenüber praktisch ohnmächtige Jugoslawien nicht nur militärisch an, sondern setzt dessen Schutzmacht Rußland ins Unrecht, indem sie ihre Definitionsmacht ausspielt. Das Veto Moskaus war Ausdruck einer bipolaren Parität im UN-Sicherheitsrat, die nach dem angeblichen Sieg der USA und EU im Kalten Krieg keinen Bestand mehr haben sollte. Durch den Lauf der Geschichte als Weltmächte von Rang vermeintlich kaltgestellt, wird Rußland und auch China seitdem die Rolle interessenpolitisch motivierter Friedensverweigerer zugewiesen, auch wenn von diesen Staaten kein Krieg ausgeht. [2]

Diese Gleichzeitigkeit von Erschießen und Strangulieren ist eine Spezialität jener universalistischen Moral, für deren selbsterfüllende Wahrheit es stets die Guten sind, die das Urteil über die Bösen fällen, so daß alle materiellen und politischen Konflikte gegenstandslos werden. Den anderen zur Unterwerfung unter die eigene Wahrheit zu nötigen, um ihn, falls er sich nicht darauf einläßt, im Brustton berechtigter Empörung über diese Uneinsichtigkeit niederzumachen, ist die Strategie des gerechten Krieges, den als solchen zu führen nur aus der Rückschau der Sieger in Anspruch genommen werden kann.

Da die durch die politische Begünstigung von Sezessionskriegen nicht unabsichtlich erfolgte Zerstörung Jugoslawiens auch den Einfluß Rußlands auf dem westlichen Balkan zurückdrängte, ist die einseitige Bezichtigung Putins nur konsequent. Sie unterstellt, daß der Hegemonialanspruch Rußlands das zentrale Hindernis einer Weltordnung ist, ohne den Handel und Wandel friedlich vonstatten gingen und alle Menschen ihr Auskommen hätten. Daß dies in der kapitalistischen Globalisierung aus ganz anderen Gründen immer weniger der Fall ist, wird von der in Anspruch genommenen Moral bester menschenrechtlicher und demokratischer Absichten desto wirksamer überstrahlt, je weniger der soziale Krieg zur Sprache kommt, mit dem die Hütten insbesondere in den Ländern des Südens und Ostens überzogen werden.

Nur unter dieser Voraussetzung kann der ehemalige EU-Abgeordnete der Grünen behaupten, man habe den Leuten im Kosovo im Endeffekt geholfen, denn heute herrschten dort "friedliche Zustände". Da die Abschiebung angeblicher Wirtschaftsflüchtlinge zurück in den Kosovo gerade dieser Tage Schlagzeilen macht, gesteht Werner Schulz ein, daß es "sehr schwierig" sei, "aus diesem Kriegsgeschehen wieder herauszukommen". Aber "wir leisten enorme Aufbauhilfe" und es "gibt keinen Bürgerkrieg mehr". Wenn das Ergebnis der 15 Jahre währenden Stationierung der Bundeswehr in einem Gebiet, in dem die NATO nach dessen Eroberung dabei zuschaute, wie es von ihren kosovoalbanischen Fußtruppen ethnisch gesäubert wird, um die serbische Provinz dem besiegten Staat schließlich vertragswidrig zu entreißen, lediglich in der Abwesenheit offener Waffengewalt besteht, dann ist das mehr als bescheiden.

Bis heute werden nichtalbanische Minderheiten, insbesondere die der Roma [3], im Kosovo drangsaliert, bis heute ist das Gebiet ein Dorado der organisierten Kriminalität und Beutegut nepotistisch agierender Seilschaften, und bis heute haben die kostspieligen und extensiven Aufbauhilfen der Bundesrepublik und EU nichts daran geändert, daß der Kosovo zu den Armenhäusern Europas gehört und die Menschen allen Grund dazu haben, ihr Heil in der Flucht zu suchen. Auch die im Kosovo vorhandenen Wirtschaftsstrukturen des postsozialistischen Jugoslawien wurden ethnisch neubesetzt, und das unter Aufsicht und Beteiligung der von den NATO-Invasoren eingesetzten Besatzungsarmee KFOR.

So gab Trifun Jovanovic, Präsident der Metallarbeitergewerkschaft im Kosovo, am 14. Juli 1999 bekannt, daß albanischen Nationalisten mit Unterstützung der KFOR mehr als 20.000 Arbeiter, zu über 70 Prozent Nicht-Albaner, in Pristina und anderen Städten der Provinz entlassen hätten, um ausschließlich ihrer Idee von einem ethnisch reinen Kosovo folgende Albaner einzustellen. Serben, Roma, Montenegriner und Türken wurden in diversen Fabriken und Minen des Kosovo entlassen, ohne sich dagegen wehren zu können. Das geschah mit Unterstützung der KFOR, die zum Beispiel 400 serbischen, montenegrinischen und anderen nichtalbanischen Bergarbeitern den Zugang zur Mine Kisnica verweigerte. Alle Arbeiter stammten aus umliegenden serbischen Dörfern und waren am 6. Juli 1999 durch britische Truppen entlassen worden, um Platz für Kosovo-Albaner zu machen. Beschwerden des Chefs des Trepca-Konzerns, zu dem die Mine gehörte, wurden zurückgewiesen, und der Austausch der Belegschaft konnte unter den Gewehrmündungen der KFOR-Soldaten vollzogen werden.

Je massiver das Wertefundament, auf dem die Kommandohöhe des deutschen Imperialismus thront, desto unsichtbarer werden soziale Unterdrückung und Ausbeutung, die Anfang und Ende des jeweiligen Eroberungsprogramms markieren. In diesem Sinne scheint es kein unabsichtliches Versäumnis, sondern apologetisches Programm zu sein, wenn Werner Schulz im Deutschlandfunk jeden Verweis auf die antioligarchischen Motive des Maidan-Aufstands unterläßt und den Eindruck erweckt, es habe sich von Anfang an um eine ausschließlich proeuropäische Volksbewegung gehandelt. Heute sitzen die Oligarchen in der Ukraine mindestens so fest im Sattel wie zuvor, zumal sie sich der bewaffneten Rückendeckung durch Privatarmeen versichern, die sich auch aus den neofaschistischen Milizen rekrutieren, deren Einfluß auf die Ukraine hierzulande so niedrig wie möglich gehängt wird.

Die Zerschlagung Jugoslawiens in leicht beherrschbare Partikularstaaten stellt ein Ergebnis der hundertjährigen kriegerischen Tradition deutscher Expansion nach Südosteuropa dar, einen multiethnischen sozialistischen Staat von der Landkarte zu tilgen, von dem aus Impulse für ein alternatives Modell zur neoliberalen EU hätten ausgehen können [4], ein anderes. Für die Partei der Grünen war der am 24. März 1999 von der NATO eröffnete Krieg gegen Jugoslawien das Trittbrett in die Zukunft einer bürgerlichen Partei neokonservativen Zuschnitts [5]. Spätestens von diesem Zeitpunkt an wandelte sich der linksalternative Gründungsmythos zur Signatur einer Herrschaftsmoral, auf deren Klaviatur Werner Schulz so gekonnt spielt, daß ihm ein Ehrenplatz in der Empore der besseren Menschen sicher sein dürfte.

Heute ist die finanziell am Boden liegende Ukraine Etappenziel einer Expansion, die von den geostrategischen Motiven westlicher Hegemonialpolitik ebenso getrieben wird wie von den Interessen kapitalstarker Investoren an neuem Wertwachstum durch Privatisierung, Billigarbeit und Ressourcenextraktion. Auch so kann die zufriedene Bilanz des vermeintlichen Erfolgs im Kosovo verstanden werden, die der Grünenpolitiker im Deutschlandfunk in Sicht auf jenen Teil der Ukraine zieht, den selbst unter großen Verlusten auf beiden Seiten zurückzuerobern Ziel der Kiewer Regierung wie der EU und USA ist: "Das, was wir in der Ostukraine überhaupt erreichen wollen, ist auf dem Balkan wirklich erreicht worden."


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/kiew-ein-jahr-nach-dem-maidan-wohin-steuert-die-ukraine.1784.de.html?dram:article_id=312215

[2] KRIEG/1626: Blinder Fleck Jugoslawienkrieg - Völkerrecht à la carte (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1626.html

[3] "Eines Rechtsstaates nicht würdig - Diskriminierung und Abschiebung der Roma und Sinti"
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0024.html

[4] HEGEMONIE/1690: NATO vom Schatten des Jugoslawienkriegs eingeholt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/hege1690.html

[5] HERRSCHAFT/1432: 24. März 1999 ... linke Ideale neokonservativ gewendet (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1432.html

24. Februar 2015


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