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PROPAGANDA/1490: Wo Kopfnoten und Stilfragen nicht hinreichen ... (SB)



Was nun haben die Menschen in fast einem Jahr umfassender, tagtäglich auch diejenigen, die den Informationsauftrag des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks anders verstehen, behelligender Berichterstattung zum Wahlkampf um das Präsidentenamt in den USA gelernt? Im wesentlichen nicht mehr, als daß dort eine "Schlammschlacht" geführt wurde, die dieser 240 Jahre alten Demokratie "unwürdig" sei. In dieser Bilanz sind sich fast alle Vertreter eines Journalismus einig, die behaupten, die komplizierten Weltverhältnisse für ihre Leser- und Zuhörerschaft übersetzen zu müssen. Was anläßlich des anstehenden Wechsels in Washington aus dem Schwall der Breaking News und des Facebook-Gossips mit der Absicht "eingeordnet" wurde, "um Orientierung zu schaffen", hat beim Publikum bestenfalls ohnehin tiefsitzende Ressentiments und Überzeugungen verstärkt.

So darf sich die deutsche Bevölkerung an der Behauptung, daß die politische Kultur der Vereinigten Staaten kaum an Trivialität zu überbieten sei, aufrichten und neue Motivation tanken, sich positiv auf die hierzulande zelebrierte Form der repräsentativen Demokratie zu beziehen. Daß bürgerliche Eliten und monopolistisches Kapital auch in Bundesrepublik und EU weit mehr Einfluß auf die gesellschaftliche Entwicklung zu nehmen in der Lage sind als das Gros der Bevölkerung, bedarf hin und wieder eines abschätzigen Blicks auf jene Kulturnation, die das allabendliche TV-Programm mit einer Unterhaltungsware dominiert, die sich auch ärgste US-Kritiker nicht entgehen lassen wollen und auch ansonsten die Geschehnisse in der Welt zu lenken scheint. Hat man schon zu wenig Einfluß auf die Kämpfe und Kriege, die um die globale Verteilungs- und Verfügungsordnung entbrennen, so soll sich der umfassend fremdverfügte Mensch wenigstens daran erfreuen können, daß Macht nicht nur korrumpiert, sondern auch blamiert.

Weit weniger von Interesse sind da Erkenntnisse über die gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse, die den Ton auch im Weißen Haus angeben, wie etwa das Landen des Change-Tigers Barack Obama als Bettvorleger gezeigt hat. Würde in Fernsehen und Rundfunk konsequent darüber aufgeklärt, daß es sich bei Parteien, die als einzige eine Chance auf das Stellen des nächsten Präsidenten haben, um zwei Seiten einer Medaille bürgerlichen und oligarchischen Klasseninteresses handelte, dann drohte das bunt illuminierte Personenkarussell, das alle Welt so gut unterhält, mit lautem Scheppern zu entgleisen. Da dies nicht geschieht, bleibt der Blick auf die sozialen Abgründe der freien Marktwirtschaft gebannt fixiert auf das Celebrity-Spektakel um das Krisenmanagement einer ehrgeizigen Karrieristin und die populistischen Allüren eines Immobilienmagnaten, der in einer ganz anderen Liga spielt als Joe Sixpack, der sich durch ihn endlich verstanden fühlt.

In den oberen Etagen der US-Gesellschaft geben dynastisch organisierte und mehrheitlich weiße Eliten den Ton an, das gilt auch für den US-Senat, in dem niemand Sitz und Stimme erhält, der über kein millionenschweres Vermögen verfügt. Die gleiche Gesellschaft leistet sich ein in allen existenziellen Belangen wie vollwertiger Ernährung oder medizinischer Versorgung unterversorgtes Subproletariat von rund einem Sechstel der Bevölkerung. Sie beutet die Arbeitskraft billiger Armutsmigrantinnen und -migranten im Stil moderner Lohnsklaverei ebenso aus wie die einer Knastbevölkerung, der auch nach Entlassung in die sogenannte Freiheit ihre bürgerlichen Grundrechte vorenthalten bleiben. Sie unterstützt die aggressiven Kriege ihrer Regierung mit patriotischen Bekenntnissen und akzeptiert einen inneren Kolonialismus, der der indigenen Bevölkerung letzte Rechte nimmt und ethnischen Minderheiten das ohnehin harte Leben zur Hölle macht. Sie läßt sich eine polizeiliche Repression und geheimdienstliche Überwachung gefallen, die nicht zufällig in die jahrelange Administrativhaft sogenannter Terrorverdächtiger mündet.

Wer dies mit zahlreich vorhandenen Fakten zu belegen weiß, muß sich nicht des Vorwurfs erwehren, einem ideologischen Antiamerikanismus zu frönen. Dennoch bleibt die soziale Frage in der Berichterstattung über den US-Wahlkampf unterbelichtet. Wenn überhaupt journalistische Kritik formuliert wird, dann wird häufig in die Kerbe eines deutschen Imperialismus geschlagen, der sich durch den globalexekutiven Führungsanspruch Washingtons in seinen nicht minder aggressiven Interessen übervorteilt wähnt. Viel zu selten hingegen wurde darauf hingewiesen, daß die weltweit beachteten TV-Debatten völlig willkürlich auf die Kandidatin der Demokraten und den Kandidaten der Republikaner begrenzt bleiben. Dabei könnten Clinton und Trump in diesem Punkt nicht einiger sein - das Aufkommen einer dritten Partei oder weiterer Bewerber um die Führung des Präsidialsystems der Vereinigten Staaten ist durch das Kartell eines Zwei-Parteien-Systems zu verhindern, dessen Überwindung zumindest theoretisch mehr als die bisherige Machtverteilung in Frage stellen könnte. Die Probe aufs Exempel wird nicht gewagt, geht es doch um den Bestand einer Gesellschaftsordnung, deren demokratischer Anspruch das Papier, auf dem er steht, nicht wert ist. Wird die Mimikry des liberal maskierten Neofeudalismus erst löchrig, dann könnte die Bevölkerung entdecken, daß sie mit politischen Idealen, die keiner realen Überprüfung standhalten, abgefüllt wird, ohne daß der Hunger aufhört.

So poliert eine Heerschar weitgehend uniform agierender Journalistinnen und Journalisten das demokratische Ansehen dieser krisengeschüttelten Gesellschaft - und damit das der mit ihr konkurrierenden Staaten - dadurch auf, daß sie schlechte Noten in Stil- und Benimmfragen verteilt. Mit dem Eindruck, die Herrschaftsverhältnisse in den USA unterlägen der Dramaturgie platter Unterhaltungsformate, wird an konstitutionelle Grundfesten appelliert, als seien diese jemals Garanten dafür gewesen, daß niemand unter die Räder mächtiger Interessen gerät. Der Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums wird nach der Devise geführt, seine Erregbarkeit so vollständig abzufackeln, daß Krisen und Konflikte von weit existenzbedrohenderer Art vollends aus seinem Fokus verschwinden. Demokratische Systeme, die eines solchen Spiegels bedürfen, um ihre angeschlagene Glaubwürdigkeit zu retten, brauchen sich zumindest nicht vorwerfen zu lassen, mit dem Entfachen knallbunter Feuerwerke zu geizen. Die Menschen den schwankenden Boden unter ihren Füßen und den Brand in ihren Eingeweiden vergessen zu machen ist im Endeffekt so billig zu haben, wie die Show der beiden Bewerber um Wohnrecht im Weißen Haus in den Augen der Betrachter erscheint.

7. November 2016


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