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PROPAGANDA/1519: COVID-19 - Evangelikale blasen zur Jagd ... (SB)



Einmal mehr treibt bekennende ChristInnen die Frage um, wie Gott so etwas zulassen konnte. Die Coronaviruspandemie hat die Vereinigten Staaten fest im Griff, und es scheint erst der Anfang einer womöglich katastrophalen Entwicklung zu sein. Die naheliegende Antwort lautet in nicht wenigen Fällen, daß es sich um eine Strafe für die vielen Sünden handelt, die die Menschen wider die Gebote des Herren begangen haben. Dem Theodizeeproblem durch die Antwort zu entkommen, daß stets der andere schuld ist, ist seit alters her eine bewährte Strategie von extremer Vergeltungssucht befallener Kreuzritter, Hexenverbrenner und Moralapostel. Mit Feuer und Schwert ziehen sie gegen die Ungläubigen zu Felde, das gilt auch heute noch, wenn auch mehr in Form rassistischer und homophober Bezichtigungen.

Die grundmenschliche Strategie, bewährte Feindbilder aufzubauen und sich an ihnen abzuarbeiten, fällt unter US-Evangelikalen auf besonders fruchtbaren Boden. Predigern, die ihr Geschäft mit Angst, Schuld und Bestrafung machen, fällt es naturgemäß schwer, eine Gelegenheit zur Feindbildproduktion ungenutzt vorüberziehen zu lassen.

Zu einer schon seit Jahrhunderten bewährten Diffamierung greift der evangelikale Pastor und Radiomoderator Rick Wiles auf der Webseite TruNews. Synagogen seien von der Seuche verpestete Orte, wirbt Wiles um Zuspruch unter jenen Brüdern und Schwestern, die JüdInnen niemals vergeben haben, daß sie den von Gott gesandten Heiland ans Kreuz genagelt haben sollen. Um sich in der Synagoge nicht mit dem Coronavirus anzustecken, sollten JüdInnen im Namen von Jesus Christus bereuen, sich also zum Christentum bekehren, erst dann würde die Seuche stoppen [1]. Nur bei Gott sei Schutz zu finden, kommentierte Wiles den Tod eines an COVID-19 erkrankten Anwaltes, der LGBTIQ-Menschen vertrat, die von evangelikalem Schwulenhaß betroffen sind [2]. Der You Tube-Kanal von TruNews wurde schon 2019 gesperrt, doch dem Presseangebot des Weißen Hauses waren die Botschaften des homophoben und antisemitischen Eiferers schon mehrfach willkommen.

Laut dem evangelikalen Musiker Bo Gardiner bauschen die Medien die Pandemie auf, um Präsident Trump zu schaden. Er selbst werde von Gott vor dem Coronavirus geschützt, behauptete Gardiner, um kurz darauf als erster an COVID-19 erkrankter Patient im Bundesstaat North Carolina zu sterben [3]. Der populäre Reverend Steven Andrew hat den März zum "Repent of LGBT Sin Month" erklärt. Gottes Liebe zeige, wie wichtig es sei zu bereuen. In der Bibel sei zu lesen, daß Homosexuelle ihre Seelen verlieren und Gott die LGBT-Communities zerstören werde. Sich Gott zu unterwerfen schütze die USA vor Seuchen wie dem Coronavirus, so der Begründer des evangelikalen Bündnisses America Is On the Lord's Side [4]. Derartige Dominanzphantasien könnten auch ganz andere Assoziationen hervorrufen, wie die lange Liste evangelikaler Prediger zeigt, deren moralische Unbeflecktheit in flagranti dementiert wurde [5].

Für den ergebenen Trump-Anhänger und Präsidenten der evangelikalen Liberty University, Jerry Falwell jr., haben Nordkorea und China den Coronavirus in die Welt gesetzt, um die US-Wirtschaft und damit ihren Präsidenten zu schädigen. Falwell hat zuletzt mit seinem diktatorischen Führungsstil und seinen sexistischen Ansichten von sich reden gemacht [6], womit er bei diesem Präsidenten keinen Fehler machen kann. Trump hat mit seinen Machoeskapaden unter den Evangelikalen der USA keineswegs an Reputation verloren, ganz im Gegenteil. Öffentliche Auftritte beim Gebet im Weißen Haus haben den Präsidenten in die Aura eines von Gott gesandten Retters getaucht und die Zustimmung unter seiner christlichen Klientel weiter gefestigt. Der politische Einfluß der evangelikalen Rechten auf die US-Administration kann kaum überschätzt werden. Bei der Beurteilung des Ansehens von Donald Trump in der US-Bevölkerung ist nicht zu vergessen, daß bei der Frage, wer in den Vereinigten Staaten das Sagen hat, Zustimmungsraten weit weniger schwer wiegen als konkrete politische Macht, die maßgeblich von christlich-evangelikalen Netzwerken ausgeht.

Von dieser Klientel ist nicht zu erwarten, daß sie am aktuellen Rettungsplan Trumps etwas auszusetzen hat, der etwa Spielcasinos und Fluglinien mit Milliardenbeträgen unter die Arme greift, während die einkommensarme Bevölkerung mit Krümeln in Form einer Einmalzahlung abgespeist wird. Die evangelikale Rechte steht für all das, was die USA angeblich zur Nummer Eins auf dem Planeten macht. Wer dabei unter die Räder gerät, kann noch so viele Sünden bekennen und wird doch nicht mit am Tisch sitzen, wenn fürstlich gespeist und getrunken wird. Was Gott auch immer mit dem Virus vorhat, zur Zeit scheint die Last unabgegoltener Sünden im Land der Freien und Mutigen so groß zu sein, daß alle noch so finster gezeichneten Feindbilder nicht ausreichen, um zu erklären, warum nicht nur JüdInnen, MuslimInnen, AbtreibungsbefürworterInnen und LGBTIQ-Menschen von der Pandemie betroffen sind.


Fußnoten:

[1] https://www.rightwingwatch.org/post/rick-wiles-says-god-is-spreading-the-coronavirus-in-synagogues-as-punishment-for-opposing-jesus/

[2] https://www.rightwingwatch.org/post/rick-wiles-says-coronavirus-death-of-lgbtq-lawyer-is-a-sign-of-gods-judgment/

[3] https://www.rawstory.com/2020/03/christian-pastor-who-thought-covid-19-is-just-mass-hysteria-among-the-first-in-virginia-to-die-from-virus/

[4] http://christiannewswire.com/news/107683567.html

[5] https://www.counterpunch.org/2020/02/17/megachurch-mess/

[6] https://www.marketwatch.com/story/sex-and-self-dealing-welcome-to-jerry-falwell-jrs-liberty-university-2019-09-09

[7] https://www.counterpunch.org/2020/03/27/gods-vengeance-the-christian-right-and-the-coronavirus/

31. März 2020


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