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RAUB/0867: Spießrutenlauf für Achtlingsmutter Nadya Suleman (SB)



Als Nadya Suleman am 26. Januar acht Kinder auf die Welt brachte, wurde diese Nachricht weltweit als Grund zur Freude und medizinische Sensation gewürdigt. Eitel Sonnenschein herrschte auf den bunten Seiten, als handle es sich bei der biologischen Reproduktion um einen sportlichen Wettbewerb, dessen Sieger anhand der Zahl entbundener Babies ermittelt wird. Im Mittelpunkt stand die Leistung des 46köpfigen Entbindungsteams der Geburtsklinik in Los Angeles, während der Mutter zugebilligt wurde, daß sie und ihre Familie erst einmal anonym bleiben wollten. Die naheliegende Vermutung, daß die Vielzahl der Kinder auf eine hormonelle Fruchtbarkeitsbehandlung der Mutter im Rahmen einer In-Vitro-Fertilisation zurückzuführen sei, spielte zu diesem Zeitpunkt noch keine Rolle.

Darüber wird erst debattiert, seit bekannt wurde, daß die 33jährige Mutter geschieden und arbeitslos ist, bereits sechs Kinder hat und mit Hilfe staatlicher Sozialleistungen überlebt. Nachdem in US-Medien ein Sturm der Entrüstung ob dieser angeblichen Erschleichung staatlicher Leistungen losbrach und erste Morddrohungen bei der Frau und ihren Kindern eingingen, wurden auch Fragen danach laut, wie es überhaupt zu einer solchen Mehrlingsschwangerschaft kommen konnte. Tatsächlich hat Nadya Suleman alle Kinder per künstlicher Befruchtung erhalten, wobei ihr zuletzt acht Embryos eingesetzt wurden, obwohl bei jüngeren Frauen üblicherweise lediglich zwei Embryos verwendet werden.

Es ist nicht das erste Mal, daß Reproduktionsmediziner Mehrlingsschwangerschaften erzeugen, steigt die Chance darauf, daß überhaupt ein Kind nach der künstlichen Befruchtung geboren wird, doch mit der Zahl der eingepflanzten Embryonen. Suleman soll angeblich aus religiösen Gründen auf Einpflanzung aller Embryonen bestanden haben, doch dies hätte der behandelnde Arzt ebensogut verweigern können. In gewisser Weise ist Suleman Opfer eines medizinischen Experiments, doch so weit gehen die Überlegungen zu ihren Gunsten nicht.

Nachdem nun bekannt wurde, daß die hohen Kosten für die IVF-Behandlung und die Entbindung ebenfalls von den Behörden getragen werden sollen, kennt die Wut der Gerechten keine Grenzen mehr. Man lastet der Mutter an, nicht nur verantwortungslos, sondern berechnend gehandelt zu haben, da sie ihre Kinder nun auf Kosten des Staates großziehen müsse. Der volkstümliche US-Jargon kennt für alleinerziehende Mütter den Begriff der "Welfare Mom", mit dem ihnen unterstellt wird, Kinder nur zu dem Zweck in die Welt zu setzen, ein Auskommen zu haben.

Die gegen Nadya Suleman gerichtete Kampagne wird auch auf Bild.de kolportiert. Unter dem Obertitel "So schlampig lebt Nadya Suleman bisher mit sechs Kindern" und der Überschrift "Fotos zeigen: Achtlings-Mutter versinkt im Chaos" (Bild.de, 11.02.2009) wird eine Fotostrecke präsentiert, die mit unaufgeräumten Zimmern und der kaum verhohlenen Unterstellung, die Mutter lasse bereits ihre sechs ersten Kinder verwahrlosen, aufwartet. Anstatt die Frau mit dem Aufruf zu unterstützen, ihr finanzielle und andere Hilfe zukommen zu lassen, wird eine sozialchauvinistische Vorführung abgehalten und die eben noch gefeierte Mutter an den Pranger der Delinquenz gestellt.

Das Beispiel dokumentiert die Ambivalenz des sozialen Diskurses. So herrscht nicht nur in Deutschland ein offener Widerspruch zwischen der demografischen Forderung, mehr Kinder zu erzeugen, und der Bereitschaft, diese auch sozial zu unterstützen. Im Zweifelsfall erweist sich die mit der alarmistischen Warnung, "die Deutschen" könnten aussterben, im Raum stehende Forderung nach einer höheren Geburtenrate als rassistischer Reflex auf Menschen anderer Kulturen, deren Familien traditionell größer sind. Daß dies häufig eine Folge von Armut ist, wird dennoch ignoriert, da man arme Müttern in westlichen Gesellschaften keineswegs unterstützt.

Zudem dürfte Suleman erschwerend angelastet werden, daß sie nicht einmal weiße Kinder in die Welt gesetzt hat, sondern als Tochter eines irakischen Vaters zur demografischen Bedrohung der angelsächsischen protestantischen Mehrheit in den USA beiträgt. Doch selbst als weiße Mutter wäre sie bezichtigt worden, auf illegitime, da finanziell nicht gedeckte Weise Kinder in die Welt gesetzt zu haben. Im Endeffekt hat man es mit einem sozialrassistischen Anwurf zu tun, an dem sich auch Frauen beteiligen, wie weibliche Bloggerinnen in den USA zeigen, die Suleman anlasten, nicht nur unverantwortlich gehandelt zu haben, sondern von pathologischer Geltungssucht besessen zu sein.

So wird sie unter anderem verdächtigt, sich einer schönheitschirurgischen Behandlung unterzogen zu haben, um dem Filmstar Angelina Jolie zu ähneln, mit dem sie auch die Wahl der Moderatorin Ann Curry verbinden soll, der sie das bisher einzige Interview gewährt hat. Ganz allgemein scheinen sich Männer und Frauen auf der Webeite The Huffington Post, dem führenden politischen Blog der USA, einig darüber zu sein, daß diese junge Mutter einer wahnhaften Kinderobsession unterliegt und deshalb wie ihrer finanziellen Lage wegen gemaßregelt werden muß.

Ein Aufstieg in den Kreis der Celebrities, der ihr finanzielles Problem löste, allein aufgrund ihrer biologischen Leistungsfähigkeit soll Suleman nicht gelingen. Während ein Star wie Angelina Jolie nur deshalb, weil sie ein Kind bekommt, als Sensation ersten Ranges gehandelt wird und das millionenschwere Pokern um die ersten Fotos des Neugeborenen zu einem Spektakel eigener Art gereicht, wird eine bislang unbekannte Frau, die mit reproduktionsmedizinischer Hilfe ins Rampenlicht gerät, dafür mit einem Sozialneid abgestraft, der nicht deutlicher demonstrieren könnte, wie es um den liberalen Gleichheitsgrundsatz in der gesellschaftlichen Realität bestellt ist.

Viele Kinder zu haben soll ebenso ein Privileg der Reichen sein wie die Inanspruchnahme von medizinischer Hilfe bei ihrer Zeugung. Das zeigt sich auch in der Sozialgesetzgebung der Bundesrepublik, die gutverdienende Eltern sehr viel mehr unterstützt als Familien, die von Hartz IV abhängig sind. Alleinerziehende Mütter unterliegen auch hierzulande dem größten Armutsrisiko, daran wollen auch nationalistische Bevölkerungsplaner nichts ändern.

Arme Frauen dürfen sich gerne für biomedizinische Dienstleistungen, etwa als Spenderin reproduktiver Gewebe oder Leihmutter, zur Verfügung stellen. Wennn sie jedoch ihren Kinderwunsch im Rahmen der Möglichkeiten umsetzen, die die Medizin anbietet, werden sie an den Pranger der Verantwortungslosigkeit gestellt. Dort wird dann mit einem Eifer auf der Klaviatur der Bezichtigung gespielt, als gebe es nichts wichtigeres, als die Grenzen zwischen den Klassen so hermetisch abzuschotten wie nur irgend möglich.

12. Februar 2009