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RAUB/0935: "Wozu braucht man eigentlich Schwimmbäder?" ... (SB)



Um den drohenden finanziellen Kollaps zahlreicher Kommunen, vor dem der Deutsche Städtetag warnt, aufzuhalten, ist der Bürger gefordert, noch mehr von dem weniger, das ihm bleibt, aufzugeben. Die Zeiten, in dem immer die anderen, sprich die DDR-Bürger, Mangel zu leiden hatten, während die Tische der westdeutschen Bürger sich unter der Last des Wohlstands bogen, sind lange vorbei. Die sozialistische Herausforderung ist sang- und klanglos untergegangen, ohne daß der dafür versprochene Lohn ausbezahlt wurde. Nun werden selbst Selbstverständlichkeiten, auf die man als BRD- wie DDR-Bürger bauen konnte, in Frage gestellt.

"Wozu braucht man eigentlich Schwimmbäder? Jahrhundertelang sind Menschen ohne ausgekommen. Unerhört, so eine Frage? Mag schon sein. Wir gehen allerdings Zeiten entgegen, in denen der globale Wohlstand zu unseren Ungunsten neu verteilt wird. Da wird man sich an solche Fragen gewöhnen müssen."
(Westfalenpost, 03.02.2010)

Noch werden Forderungen, die allgemeine Lebensqualität steigernde Leistungen abzubauen, als vorsichtige Fragen getarnt. Um die Menschen nicht so zu verschrecken, daß sie das kommende Mangelregime in Frage stellen, bevor es unumkehrbar eingeführt wurde, appelliert man an die Vernunft jedes in Euro und Cent rechnenden Bürgers. Wo kein Geld ist, kann auch kein Schwimmbad bezahlt werden, so die einfache Rechnung, vorgetragen im sprachlichen Duktus der nationalen Notgemeinschaft.

In eben diesem "Wir" liegt der für jeden aufmerksamen Menschen sofort zu greifende Widerspruch der präsentierten Rechnung. Öffentliche Dienstleistungen, die allen Menschen verfügbar sind, werden nicht nur eingestellt, sondern überall dort, wo es sich rechnet, privatisiert. Das "Wir" scheidet sich spätestens an der Kasse von Bädern, die profitabel arbeiten, in die einen und die anderen. Die einen können zehn oder mehr Euro Eintritt berappen, um es sich körperlich gutgehen zu lassen, die anderen wären froh, wenn sie so viel Geld zum Kauf von Essen übrig hätten. Die einen kaufen sich, was die Kommunen nicht mehr finanzieren können, bei privaten Anbietern, die sich mit zunehmender Polarisierung der Gesellschaft auf Luxusangebote spezialisieren und die Ausgrenzung der Armen quasi zum Bestandteil ihres Markenzeichens und Angebots machen. Die anderen schauen von außen dabei zu, wie gutgeheizte Wellnessbäder demjenigen, der es sich leisten kann, mitten im Winter die Freuden des Sommers zugänglich machen.

Mit leichter Feder predigen die Herolde privilegierter Funktionseliten Entsagung zur Sicherung eines ökonomischen Bestands, an dem die Entsagenden schon jetzt nicht mehr teilhaben. Das Beispiel läßt sich weitertreiben. Wer will schon etwas brauchen, sprich benötigen, also von ihm abhängig sein? Daß Enthaltsamkeit frei macht, wissen Hungernde zwar zu widerlegen, aber wer hört schon auf Menschen, die nicht wahrgenommen werden, weil sie mehr in Frage stellen als die Existenz von Schwimmbädern? Der Verweis auf die Jahrhunderte, in denen Menschen nicht nur ohne künstlichen Badegenuß, sondern fast alles, was die allgemeine Lebenserwartung in neue Dimensionen getrieben hat, ausgekommen sind, spricht für sich. Früher war alles besser, weil es schlechter für diejenigen war, die lediglich dazu geboren sind, den anderen zu Diensten zu sein.

3. Februar 2010