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RAUB/0950: Soziale Brandrodung ... Öl ins Feuer der Mangelakkumulation (SB)



"Burn, baby, burn!" - so hallte es 1965 voller Zorn durch das Schwarzenghetto Watts in Los Angeles. Der Riot der verarmten und verelendeten Bevölkerung gegen ihre Unterdrückung durch rassistische und brutale Polizeikräfte wurde unter Einsatz der militärisch organisierten kalifornischen Nationalgarde niedergeschlagen. Geprägt wurde der Schlachtruf "Burn, baby, burn!" von dem radikalen schwarzen Sozialisten William Epton, der 1964 in New York City wegen dieser drei Worte, ausgesprochen in einer Rede auf einer Demonstration, der "kriminellen Anarchie" schuldig gesprochen wurde und für ein Jahr ins Gefängnis mußte.

Die Umwertung aller Werte, von Neokonservativen mit Vorliebe in gezielter Demontage emanzipatorischer Politik betrieben, führte im US-Präsidentschaftswahlkampf 2008 zu einem Aufstand ganz anderer Art. "Drill, baby, drill!" wurde auf dem Nationalkonvent der Republikaner zum Motto des Insistierens auf der vermeintlich uramerikanischen Lebensweise hemmungslosen Verbrauchs erhoben. Ziel der Parole, die insbesondere von der Kandidatin für die Vizepräsidentschaft, Sarah Palin, mit der ihr eigenen Volkstümlichkeit hinausposaunt wurde, war die Aufhebung aller Beschränkungen für das Erschließen neuer Ölvorkommen in küstennahen Gewässern. Dieser ökologisch höchst riskanten Praxis, der sich die Demokraten im Wahlkampf noch entgegengestellt hatten, wollte sich auch der demokratische US-Präsident nicht mehr verschließen. Nur wenige Wochen vor der Katastrophe der Bohrplattform Deepwater Horizon vor der Küste Louisianas hatte sich Barack Obama in einem weiteren Versuch, sich bei der politischen Konkurrenz anzubiedern, für eine Aufhebung des Verbots küstennaher Bohrungen ausgesprochen.

Davon kann nun keine Rede mehr sein, und auch die als Bewohnerin und ehemalige Gouverneurin Alaskas aufgrund der Exxon Valdez-Katastrophe mit Umweltgefahren dieser Art bestens vertraute Palin mag nicht an ihre Begeisterung für die hemmungslose Erschließung neuer Ölfelder erinnert werden. Konfrontiert werden die US-Bürger jedoch nicht nur mit der Verlogenheit einer politischen Klasse, die Wachs in den Händen der Kapitalmacht ist. Sie bekommen es mit den Auswirkungen der eigenen, den besonders hohen Verbrauch natürlicher Ressourcen wie selbstverständlich beanspruchenden Lebensweise zu tun. Dem mit Abstand höchsten Prokopfverbrauch an Primärenergie der Welt entspricht die Rolle der USA als Bremser einer international verbindlichen Regulation des Ausstoßes von Klimagasen wie als Akteur einer imperialistischen Kriegführung, mit der der unbeschränkte Nachschub an Rohstoffen im allgemeinen und fossilen Brennstoffen im besonderen gesichert werden soll.

Naßforsche Parolen wie "Drill baby drill!" demonstrieren die Selbstherrlichkeit der "unverzichtbaren Nation", deren Eliten sich schlichtweg weigern darüber nachzudenken, daß ein zerstörerischer Lebensstil wie der ihre niemals Vorbild für die gesamte Weltbevölkerung sein kann. Zum spezifischen Charakter des American exceptionalism gehört die hochgradige Motorisierung und Automatisierung aller Lebensbereiche. Stets in unbegrenzter Menge verfügbares Benzin ist für die US-Industrie, die US-Streitkräfte und die US-Bevölkerung eine Grundvoraussetzung ihrer Produktivität, Dynamik und Mobilität. Die US-amerikanische Globalhegemonie wäre ohne die Befeuerung durch Erdölprodukte nicht durchsetzbar, die Projektionsfähigkeit ihrer global eingesetzten Zerstörungskaft ist ebenso auf sie angewiesen wie der Gütertransport, ohne den die insbesondere in Ostasien erarbeitete Konsumption der US-Bevölkerung nicht aufrechtzuerhalten wäre. Die internationale Arbeitsteilung, auf der das Gros der Wertschöpfung der US-Konzerne beruht, kollabierte ohne Erdölprodukte, so wie die Landwirtschaft der USA ohne diese Ressource, die Landmaschinen antreibt und mit der Düngemittel produziert werden, weit geringere Ernteerträge hätte. Daß die dabei produzierten Lebensmittel in zunehmendem Maße in Form von Agrosprit verfahren und nicht in Form von Nahrung verspeist werden, illustriert den Aberwitz eines Raubbaus, dem gut eine Milliarde Hungernde, von denen viele in den USA selbst leben, gleichgültig sind.

Das westliche Zivilisationsmodell zu zerstören ist laut dem ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush Ziel des internationalen Terrorismus. Sie neiden uns unsere Freiheit und Lebensweise, behauptete der ehemalige Manager der texanischen Erdölindustrie, dessen Regierung wie kaum eine andere vor ihm auf der aus dieser Ressource geschöpften Macht beruhte. Was er zu erwähnen vergaß ist der räuberische Charakter einer Freiheit, deren Handlungsfreiheitvon einer Produktionsweise gespeist wird, die an anderer Stelle Mangel und Unfreiheit erzeugt. Die immer riskantere Erschließung neuer Erdölquellen ist nur ein Moment der Rücksichtslosigkeit gegenüber allen davon betroffenen Menschen, der das Insistieren auf die kapitalistische Verwertungsordnung wesentlich ist.

Nicht daß terroristische Anschläge etwas daran änderten oder überhaupt in dem von Bush unterstellten ursächlichen Zusammenhang ständen. Ganz im Gegenteil, sie sind ein bewährtes Mittel der Verneblung der wesentlichen Probleme kapitalistischer Vergesellschaftung und legitimieren darüberhinaus die präventive Unterdrückung dagegen gerichteter sozialer Bewegungen. Diese haben allen Anlaß, die Selbstherrlichkeit eines zivilisatorischen Entwicklungsmodells in Frage zu stellen, das die endliche Verknappung essentieller Ressourcen beschleunigt vorantreibt. Dies erfolgt weniger aus einer unterstellten pekuniären Gier heraus, als daß die systematische Umverteilung des anwachsenden Mangels eine staatliche und ökonomische Verfügungsgewalt sichert, die auf der Schwäche der anderen gründet. Das durch die Vereinigten Staaten exemplarisch repräsentierte Akkumulationsmodell westlicher Industriestaaten folgt einer kannibalistischen Logik, die das Überleben der eigenen Art als Prozeß der kreativen Zerstörung betreibt.

Wenn am Ende nur ein Bruchteil der heutigen Menschheit übrig bleibt, dann sind alle Probleme, die sich aus der bloßen Masse der den Planeten bevölkernden Menschen ergeben, obsolet geworden. Der neokonservative Anspruch darauf, die eigenen Interessen unter allen Umständen zu verwirklichen, und ginge darüber auch die Welt zugrunde, hat schon vor 45 Jahren den Zorn schwarzer US-Bürger entfacht. Gebrannt haben allerdings immer nur die Menschen und Felder derjenigen Regionen, die zu kontrollieren Voraussetzung zur Ressourcensicherung der USA und ihrer Verbündeter war und ist.

2. Mai 2010