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RAUB/0960: Auch Kleinanleger wollen vom Produkt entfremdeter Arbeit profitieren (SB)



Die deutschen Banken beraten ihre Kunden schlecht, hat eine Untersuchung der Stiftung Warentest herausgefunden. Die Anlageberater gingen nicht genügend auf ihre Kunden ein, da sie kaum Fragen nach ihren Einkünften und Vermögensverhältnissen stellten, sie böten ihnen häufig ungeeignete oder zu riskante "Produkte" an und klärten sie nicht genügend über deren Eigenschaften auf. Viele mißachteten zudem die gesetzliche Auflage zur Anfertigung eines Beratungsprotokolls. Das Fazit dieses bereits zweiten Tests seit 2009 ist mehrheitlich schlecht, doch kann man tatsächlich etwas anderes erwarten?

Bei der Anlageberatung von Banken geht es nicht um den Kauf eines Produkts von gegenständlichem Gebrauchswert wie eine Waschmaschine oder ein Fahrrad. Die Kunden besitzen Geld und wollen es mehren, und zwar möglichst mit einem höheren Zugewinn, als ihnen das risikoarme, praktisch nur die Inflationsrate ausgleichende Sparbuch bietet. Eine Bank tut nichts anderes als das, sie macht aus Geld mehr Geld, und zwar ohne den Umweg über die Produktion von Gütern oder den Verkauf von Dienstleistungen. Da ihr Eigenkapital viel zu gering ist, um mit den daraus geschöpften Zinsgewinnen einen personell und logistisch aufwendigen Apparat zu unterhalten und zudem die Renditeerwartungen der Eigner zu befriedigen, benötigt sie Anleger, die zusätzliches Kapital zur Verfügung stellen. Deren Interesse an Geldvermehrung fällt mit dem der Bank so sehr in eins, wie es im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner gegensätzlicher Art ist.

Um die identische Erwartung des Kunden und der Bank zu erfüllen, aus Geld mehr Geld zu machen, muß einem Dritten etwas genommen werden. Und das nicht nur, wenn mit dem auf dem Finanzmarkt arbeitsfrei erwirtschafteten Kapital reale Güter gekauft werden, die irgend jemand herstellen muß. Der Rentier will davon leben, daß nicht er, sondern sein Geld arbeitet. Dies tut es nicht, denn ein Tauschäquivalent kann nicht gegen sich selbst getauscht werden, wäre das Ergebnis doch immer gleich Null. So fiktiv das Geschehen auf dem Finanzmarkt erscheint, nimmt es seinen Anfang doch stets in der menschlichen Arbeit, die zur Fertigung eines verkäuflichen Guts verrichtet wird. Auch wenn ein Paar Sportschuhe, das in Ostasien für Lohnkosten von einem Euro hergestellt wird, bei seinem Verkauf im luxuriösen Ambiente eines Sportartikelgeschäfts, dessen Ladenmiete allein hohe Preisaufschläge verlangt, 150 Euro erbringt, bleibt die dafür von den Herstellern, den Transporteuren, Verwaltungskräften und Verkäufern verrichtete Arbeit Grundlage der Wertschöpfung.

Deren Verlagerung in den Finanzmarkt, an dem auch gütererzeugende Unternehmen tätig sind, weil sie dort sehr viel mehr verdienen können als mit ihrem eigentlichen Geschäft, ist ein Ergebnis der Verbilligung des Faktors Arbeit. Um sich einen immer größeren Teil des bei der Lohnarbeit erwirtschafteten Werts anzueignen, sollte der Arbeiter idealerweise nicht in der Lage sein, sich teure Sportschuhe leisten zu können. Dennoch richtet sich die Verbilligung der Arbeit gegen das Interesse der Unternehmen, die die Kostensenkung unter anderem dafür nutzen, konkurrenzfähiger zu werden. Je weniger für Lohnarbeit bezahlt wird, desto weniger Käufer gibt es für die damit hergestellten Waren. Es bleibt die fiktiv erscheinende Sphäre des Finanzkapitals, das desto härter auf den Boden der sogenannten Realwirtschaft zurückfällt, je bequemer es sich im schönen Schein arbeitsfreier Produktivität eingerichtet hat.

Die Akkumulation des am Finanzmarkt investierten Geldes setzt voraus, daß alle Beteiligten sich darin einig sind, daß die von ihnen eingesetzten Summen ihren materiellen Gegenwert behalten und sich nicht in wertlose Monopolyscheine verwandeln. Das Geschäft der Banken, geliehenes Geld zu einem höheren Zinssatz als dem, den die Gläubiger erhalten, zu verleihen, potenziert sich durch die Verwandlung von Schuldverschreibungen in zinstragendes Kapital - die Fertigung nämlicher "Produkte" - zu einer regelrechten Kaskade offener Rechnungen. Daß der Menge produzierter Waren und angebotener Dienstleistungen ein Vielfaches an Geldwerten gegenübersteht, ist nur so lange möglich, als alle Beteiligten daran glauben, das in Gewinnabsicht verliehene Geld wieder zurückzuerhalten. Der theoretische Fall, daß alle offenen Rechnungen auf einmal beglichen würden, indem die vorhandenen Geldmengen ihren Tauschwert durch das Erstehen von Sachwerten oder Dienstleistungen realisierten, ließe das gesamte System kreditgenerierter Akkumulation sofort auffliegen.

Es sind nicht annähernd genügend Produkte menschlicher Arbeit für die freigesetzte Geldmenge vorhanden, so daß selbst Anlagemöglichkeiten, die nur in der Lage sind, seinen nominellen Wert zu bewahren, rar sind. Es müßte zu einer immensen Geldentwertung kommen, wollte man dieses Mißverhältnis korrigieren. Die Aufklärung über den Verfügungscharakter des Kapitals, durch den seine Funktion wesentlich bestimmt ist, bedrohte jedoch die hierarchische Ordnung der Gesellschaft. Die Befreiung der Banken aus dem Schuldturm wird nicht durch dessen Abschaffung erwirkt, sondern seinen Ausbau zur Einweisung all derjenigen Menschen, die den gesellschaftlichen Reichtum mit ihrer Arbeit erst möglich machen. Unter dem Versprechen darauf, daß eines Tages alles gut wird, wird ihnen suggeriert, daß ersteinmal alles schlecht sein muß. Sie, die an der kapitalgenerierten Wertschöpfung niemals teilhatten, sollen mit noch mehr Bescheidenheit dafür sorgen, daß ihnen auch künftig Lohnarbeit gegeben wird.

Um so verständlicher erscheint der Wunsch des kleinen Sparers, ein Stück vom Kuchen arbeitsfreien Einkommens abzubekommen. Wenn er die Frucht seines über die Jahre angesparten Vermögens gewinnträchtig anlegen will, muß er den strukturellen Widersinn des Bankgeschäfts, aus Schulden noch mehr Schulden zu machen, um Gewinne ausweisen zu können, in ein zivilreligiöses Glaubensdogma ummünzen. Nur so kann er einen Teil des Risikos übernehmen, ohne das sich kein Geld aus Geld schöpfen läßt. Die Bedingungen, unter denen sich die Testkunden der Stiftung Warentest beraten ließen, dokumentieren, daß der Anleger die räuberische Konsequenz seines Handelns zwar ahnt, aber niemals bis zur Vollständigkeit des Wissens darum antizipieren darf, daß kleine Räuber ihrerseits großen Räubern als Beute dienen:

"Die Testkunden wollten 35 000 Euro für zehn Jahre anlegen - anders als beim vergangenen Test nicht absolut sicher. Sie waren bereit, Risiken einzugehen, wollten aber, dass am Ende der Laufzeit zumindest ihr eingesetztes Geld vorhanden ist. Zudem legten sie Wert darauf, dass sie im Notfall über ihre Anlage schon vor Ablauf der zehn Jahre verfügen können - wenn es sein muss, auch mit Verlust." [1]

Dem exemplarischen Profil des Kleinanlegers, der versucht, sein Risiko zwischen Profitmacherei und Eigentumssicherung auszubalancieren, werden Anlageberater und Banken dadurch gerecht, daß sie seine Verlustängste beschwichtigen. Wenn sie dies nicht täten, wären sie schlechte Verkäufer eines "Produkts", das praktisch aus nichts anderem als seinem Verlustrisiko besteht. Je mehr der Anleger bereit ist, dieses einzugehen, desto höher ist der zu erwartende Gewinn. Ihre Kunden zurück zur Sparkasse zu schicken oder ihnen den Kauf von Edelmetall als Wertdepot zu empfehlen wäre für ein Geldgeschäft, das einen erklecklichen Teil des Bruttosozialprodukts nur deshalb erwirtschaftet, weil es für die von ihm geschädigten Menschen riskante Strategien fährt, kontraproduktiv. Ein Eigeninteresse minimierendes Verhalten ist um so weniger zu erwarten, als die "Systemrelevanz", die den Banken in der Krise attestiert wurde, nur als Freifahrtschein auf der Achterbahn hochriskanter Spekulationen verstanden werden kann.

Die vielen deutschen Kleinanleger, die mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers ihre Einlagen verloren haben, beschweren sich heute über eine unsachgemäße bis irreführende Beratung. Die Anzeichen dieses Menetekels wären den Banken wohlbekannt gewesen, dennoch hätten sie ihren Kunden Lehman-Papiere empfohlen, lautet der wichtigste Vorwurf. Wenn Anlageberater ihren Kunden Gewinne in Aussicht stellen, die sich letztendlich in Verluste verwandeln, dann liegt das nicht nur daran, daß sie für jeden Geschäftsabschluß Provision erhalten. Nähme man das Argument, sie müßten ihre Kunden über alle mögliche Gefahren für ihr Investment aufklären, ernst, dann müßte es sich bei professionellen Bankern um ausgemachte Kapitalismuskritiker handeln.

Auch wenn neoliberale Vorbeter anderes behaupteten, wußte jeder ernstzunehmende Finanzanalyst, daß der Boom irgendwann ein Ende haben würde. Das hat sich lange vor der Lehman-Pleite angekündigt, und hätten die Herolde unbeschränkten Wachstums nicht güldene Zeiten versprochen, wäre die seit langem virulente Weltwirtschaftskrise früher manifest geworden. Es ist schlicht naiv anzunehmen und auf seine Weise so irreführend wie die Vorspiegelungen professioneller Finanzberater, in einem auf Raub beruhendem Geschäft könne es so etwas wie ehrliche und lautere Kommunikation zwischen den daran Beteiligten geben. Wo es nicht um Solidarität zwischen Schwachen, sondern Verteilungskämpfe zwischen Starken geht, erfüllen ethische Codices den ultimativen Zweck, Mißstände zu legitimieren und nicht etwa aufzuheben.

Wo Kapital zu Lasten von Menschen akkumuliert wird, die selbstverständlicherweise dem Zwang zum Verrichten entfremdeter Arbeit ausgesetzt werden, da prozessiert sich die diesem Verhältnis immanente Gewalt auf alle weiteren Ebenen der Wertschöpfung. Eine Bank im guten Glauben zu betreten, dort werde man nicht übervorteilt, reflektiert nichts als die eigene Beteiligung am Nutznieß fremder Arbeit. Wenn das Geld auf der Straße läge und es unbegrenzte Mengen von Gütern und Diensten gäbe, die man damit erstehen könnte, bedürfte es keiner Banken. Allerdings verlöre damit auch der Warencharakter jede Bedeutung, wie jedes Verhältnis zwischen Diener und Herr beendet wäre.

Dem ist nicht so. Wo der sozialdarwinistische Charakter der Konkurrenzgesellschaft die Verhältnisse zwischen Menschen bestimmt, hat die Regulation der Ökonomie den Zweck, den Raub kalkulierbar zu machen und im Sinne der herrschenden Ordnung zu gestalten. Gesetzliche Vorgaben für den Verkauf von Finanzprodukten oder internationale Abkommen für Investitionssicherheit unterscheiden sich in ihrer systemischen Integrität nicht von der bioethischen Normierung des Todeszeitpunkts zwecks Steigerung der Organernte oder der Verrechtlichung des Krieges zwecks Führbarkeit desselben. Wenn die Kapitalverwertung für alle Beteiligten, also für den ärmsten Arbeiter wie den reichsten Eigner, bis in die letzte Konsequenz hinein durchschaubar gemacht würde, dann reichten alle Kanonen und Gewehre der Welt nicht aus, sie weiterhin durchzusetzen. Notorische Irreführung ist dem Kapitalismus ebenso zueigen wie die Hoffnung darauf, zu den Begünstigten zu gehören, wenn man die von ihm gestiftete Raubordnung gutheißt. Teilhaber zu werden, wie es die neoliberale Propaganda der Eigentümergesellschaft zur Akkumulation befreiter Ich-AGs verheißt, ist ein probates Mittel gegen das Aufbegehren aller Hungerleider, die lieber nach unten schauen, um erleichtert festzustellen, daß es andere noch schlimmer als sie selbst getroffen hat.

Fußnote:

[1] http://www.test.de/themen/geldanlage-banken/test/Banken-im-Test-Die-Blamage-geht-weiter-4113924-4114313/