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RAUB/0982: Aus der Defensive kommen und handlungsfähig werden ... (SB)



Wie das schlechte Wahlergebnis der die sozialen Interessen einkommenschwacher Bundesbürger noch am ehesten vertretenden Partei Die Linke in den Landtagswahlen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gezeigt hat, taugen Umverteilungsforderungen von unten immer weniger zur Mobilisierung nennenswerter Teile der Bevölkerung. Statt dessen erscheint die Konsolidierung des relativen Wohlstands in der Bundesrepublik auf Basis der Produktivitätserfolge ihrer Exportindustrie wie der Kapitalakkumulation in Deutschland angesiedelter Finanzmarktakteure breite Zustimmung zu genießen. Damit verbundene Maßnahmen wie die Einrichtung eines permanenten, zu Lasten überschuldeter Staaten gehenden Mechanismus zur Stabilisierung des Euro und die Lohnzurückhaltung deutscher Gewerkschaften geraten, wenn sie überhaupt Thema werden, eher ins Fahrwasser der grundsätzlichen Gutheißung einer Politik, die die Verhältnisse in der EU und darüber hinaus starken sozialen Spannungen zwischen den einzelnen Bevölkerungen und innerhalb ihrer Gesellschaften aussetzt.

Die geringe Bereitschaft der Bundesbürger, den Klassencharakter dieser Auseinandersetzung als solchen anzuerkennen und in politische Forderungen umzumünzen, ist ein erheblicher Erfolg der Legitimationstechniken, mit denen der soziale Konflikt befriedet wird, ohne etwas an seiner Ursache zu ändern. Dies scheint insbesondere deshalb erstaunlich, weil mit den Protesten gegen Stuttgart 21 und die Atomkraft ein bürgerliche Widerstandskultur zum Thema öffentlicher Debatten wurde, die anderes erwarten ließe. Bekanntlich haben diese Bewegungen vor allem den Grünen Auftrieb an der Wahlurne verschafft und damit das vorrangige Interesse an nutznießender Teilhaberschaft am herrschenden Verwertungssystem dokumentiert.

Obwohl die Partei Die Linke eigentlich erste Adresse für ein Bündnis zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Opposition sein sollte, konnte sie in keiner Weise von den größten Mobilisierungen bürgerlichen Widerstands profitieren. Um so eher läge es bei ihr, den sozialfeindlichen Charakter einer Industriepolitik in den Vordergrund zu stellen, deren zerstörerische Folgen nicht nur die Umwelt, sondern den Menschen betreffen. Daß ökologische Themen von sozialen Konflikten nicht zu trennen sind, belegt schon der zentrale Gedanke des Umweltschutzes, die stoffliche Basis der gesellschaftlichen Reproduktion sicherzustellen. Das daraus resultierende Konzept eines Green New Deal, der die Organisation der Ressourcenknappheit marktwirtschaftlich regelt, läuft absehbar auf die weitere Ausgrenzung sich nicht bei der Erwirtschaftung des gesamtgesellschaftlichen Produkts bewährender Gruppen der Bevölkerung hinaus. Ein ökologischer Kapitalismus, der die Verteilung knapper Güter über den Preis regelt, wird sich als so sozialfeindlich erweisen wie jede privatwirtschaftliche Kapitalakkumulation favorisierende Gesellschaft.

So lange die parlamentarische Linke Umverteilung von oben nach unten im Rahmen kapitalistischer Reproduktion organisieren will, steht sie vor dem Problem, die Vereinbarkeit von Ressourcenverknappung und sozialer Gerechtigkeit in diesem Rahmen plausibel zu machen. Bürgerliche Ökonomen, die bereits über Konzepte eines steady state capitalism oder gar einer Wirtschaftsweise mit negativem Wachstum nachdenken, setzen sich dieser Frage gar nicht erst aus, sondern gehen selbstverständlich davon aus, daß technologischer Fortschritt und imperialistische Machtpolitik die privilegierte Stellung der Bundesrepublik im kapitalistischen Weltsystem sicherstellt. Daß dies nur unter der Bedingung eines zunehmenden Klassenwiderspruchs möglich sein wird, ist für sie unerheblich, da sie von nichts anderem ausgehen.

Will die Partei Die Linke als glaubwürdige politische Kraft eine Zukunft haben und nicht als überflüssiger Wurmfortsatz der SPD enden, dann wird sie um die Gegenposition zu einem Verwertungssystem, das den Bestand herrschender Verhältnisse mit der sozialdarwinistischen Logik des Überlebens zu Lasten des Schwächeren sichert, nicht herumkommen. Kritik an einer Umweltbewegung zu üben, die die notwendige Abschaltung aller Atomkraftwerke fordert, ohne zum Widerstand gegen den Atomstaat und einen potentiell ökofaschistischen grünen Kapitalismus aufzurufen, wäre allerdings nur möglich, wenn die Linke einen antikapitalistischen Kurs einschlüge. Davon ist in Anbetracht der übermächtig wirkenden Kraft des Faktischen, der vermeintlichen Sachzwänge etablierter Produktions- und Reproduktionsverhältnisse, der bestenfalls marginal kritisierten Raubdynamik zwischen den hochindustrialisierten Zentren und den weiter verarmenden Peripherien eher nicht auszugehen.

Dabei erweist sich diese Bescheidenheit politischen Denkens gerade jetzt, da die Erhebungen im Nahen und Mittleren Osten und die Atomkatastrophe in Japan eine erhebliche Transformationsdynamik entfalten und die Gewißheiten subjektiver Sicherheit erschüttern, als vergeblicher Versuch, Zuflucht zur schwindenden Basis eigener gesellschaftlicher Teilhaberschaft zu nehmen. Der Eindruck, daß die parlamentarische wie außerparlamentarische Linke vorzugsweise mit Rückzuggefechten beschäftigt ist, obwohl die Schärfe sozialer Antagonismen das Gegenteil erwarten ließe, täuscht nicht. In diesem zum Auftrieb sozialrassistischer Ideologien negativ äquivalenten, nicht nur die politische Landschaft der Bundesrepublik bestimmenden Niedergang tritt eine Konformität hervor, die die Überwindung eigener Partizipation an den herrschenden Verhältnissen in den Mittelpunkt individueller wie kollektiver Emanzipation stellen sollte. Dies könnte Ausgangspunkt eines Streites sein, der nicht nach Maßgabe seines Erfolges geführt oder nicht geführt wird, sondern dem Grundsatz seiner Unabdinglichkeit verpflichtet ist.

5. April 2011