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RAUB/1006: Sirenengesang der Transformationsingenieure ... Libyen für die Moderne befreien (SB)



Wenn sich die Nebel des Krieges, in denen so manche Grausamkeit spurlos verschwindet, lichten und der emotionale Überschwang, mit dem einmal mehr für Freiheit und Demokratie zur Schlacht getrommelt wurde, der nüchternen Frage weicht, worin nun der Nutzen des Blutvergießens bestanden haben soll, dann kann der Erkenntnis, einmal mehr Zeuge willkürlicher Interessendurchsetzung geworden zu sein, nicht mehr ausgewichen werden. Im Falle des Angriffs der NATO-Staaten auf Libyen schlugen die Wellen der Begeisterung für das hehre Ziel der Befreiung des von einem Diktator unterjochten Volkes besonders hoch, dementsprechend elend ist der Kater am Morgen danach. So, wie die Euphorie in Tunesien und Ägypten der schmerzlichen Einsicht gewichen ist, daß diktatorische Regimes nicht nur aus ihren Frontfiguren bestehen, sondern deren Sturz nur ein erster Schritt in der gesellschaftlichen Transformation sein kann, die, wenn es nach den alten Eliten geht, gefälligst in eine Rekonstitution ihrer oligarchischen Herrschaft zu münden hat, so führen die Verhältnisse in Libyen den Claqueuren der NATO schon jetzt, da noch gekämpft wird, vor Augen, daß über das Eintreten besserer Zeiten für das Gros der Bevölkerung längst nicht entschieden ist.

Ganz im Gegenteil, der nicht beendete Widerstand der loyal zu Muammar al Gaddafi und der libyschen Regierung stehenden Bevölkerung wie die sozialen, tribalistischen und religiösen Bruchlinien im Lager der Rebellen belegen, daß es keine Entwarnung hinsichtlich der Gefahr einer desaströsen Entwicklung des Landes nach dem Vorbild des Iraks oder Somalias gibt. Auch sind die verschiedenen Positionen zur Internationalisierung des Libyenkriegs kein Garant für eine schnelle Befriedung des Landes durch die globalen Akteure. Während die NATO-Staaten durch die Entfesselung des Bürgerkriegs ganz wie der berüchtigte Feuerwehrmann, der anzündet, um seinen heldenhaften Einsatz beim Löschen beweisen zu können, selbst die Voraussetzungen des Eingreifens zum Schutz der Zivilbevölkerung, deren immer schlimmere Betroffenheit neue Interventionsvorwände ad infinitum produziert, geschaffen haben, wird der Rest der Welt möglicherweise nicht dabei zuschauen, wie EU und USA die Rekolonisierung des Nahen und Mittleren Ostens von einem Land zum nächsten treiben.

Es dürfte daher interessant werden, wie die Hauptaggressoren Frankreich, Britannien und USA es im UN-Sicherheitsrat schaffen werden, den von ihnen protegierten, um nicht zu sagen formierten Nationalen Übergangsrat der Rebellen mit dem beschlagnahmten libyschen Staatsvermögen in Höhe von über 100 Milliarden Dollar auszustatten, ohne am Widerspruch der anderen großen Mitglieder der Vereinten Nationen zu scheitern. Selbst wenn dies gelänge, dann wäre das Unterfangen, die weitere Entwicklung im Land unter Kontrolle zu halten, ohne allzu deutlich zu machen, daß die Responsbility to Protect (R2P) eigentlich als "Right 2 Plunder", wie es Pebe Escobar [1] nennt, eingesetzt wurde, in höchstem Maße entlarvend. Was in London nicht rechtens ist, sollte auch in Tripolis nicht als Aufbruch in eine bessere Zukunft gefeiert werden. Wohin dies führt, hat der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gezeigt, als er die Plünderung des Irakischen Nationalmuseums als Ausdruck ungebärdigen Freiheitswillens schönredete.

Im Unterschied zu den Fußtruppen imperialer Eroberer in Jugoslawien und Afghanistan haben die libyschen Rebellen nicht das Problem, auf die finanzielle und materielle Unterstützung der Interventionsmächte angewiesen zu sein. Das gilt eher andersherum, wird am Beispiel Libyen doch ganz deutlich, daß die an der Krise des Kapitals in seiner staatlichen Phase laborierenden NATO-Regierungen ein begehrliches Auge auf das libysche Erdgas wie Wasser und alle damit möglich werdenden Wiederaufbauleistungen geworfen haben. Die Expansionschancen sind in Libyen mindestens so groß wie im Irak, wo das Preis-Leistungs-Verhältnis zwischen militärischem Investment und erhoffter Rendite höchst unbefriedigend geblieben ist. Erweist sich die Kriegführung der NATO dieses Mal als gelungener Impuls zur Belebung jener realwirtschaftlichen Produktivität, deren Niedergang durch alle finanzwirtschaftliche Akkumulation nicht aufgehalten werden kann, dann ist mit weiteren Kriegen zu rechnen - wie allerdings auch im gegenteiligen Fall. Entgleitet der NATO die Kontrolle über jene Teile der Rebellenkoalition, die die Intervention des westlichen Militärbündnisses von vornherein als notwendiges und so bald als möglich wieder abzuschüttelndes Übel betrachtet haben, dann eröffneten sich neue Gelegenheiten zur letztendlichen Besetzung des Landes.

So führen Freiheit und Demokratie als Ergebnis von Zwangs- und Gewaltverhältnissen schnurstracks in dieselben. "Wiederaufbau" ist eine Chiffre für Beutemachen, ebenso wie das beanspruchte State Building stets unter der Bedingung des realen Neokolonialismus zu erfolgen hat. Die Aggression der NATO war so opportunistisch, wie sie von Anbeginn an aussah. Die Verkennung der Absicht, die Regierung eines Landes zu stürzen, das kaum mächtige Verbündete hat, dafür aber auf den größten Erdöl- und Wasserressourcen Afrikas sitzt, dessen Machthaber als Feind für alle Gelegenheiten aufzubauen wenig Aufwand kostet, mit dessen innerer Opposition sich der inzwischen längst herbstwelke arabische Frühling glaubhaft für libysche Verhältnisse simulieren läßt und dessen relativ kleine Bevölkerung kaum in der Lage wäre, der NATO ernsthaften Widerstand entgegenzusetzen, stellt insbesondere linken Aktivistinnen und Aktivisten das Zeugnis erschreckender Positionslosigkeit aus.

Neokonservativen Strategen wie Philip Zelikow hingegen kann man nicht vorhalten, Etikettenschwindel zu betreiben, wenn er den Sturz Gaddafis in der Financial Times unter besonderem Verweis auf die positive Rolle, die Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Emirate dabei gespielt hätten, als Wiederbelebung des arabischen Frühlings verkauft. Auch er gesteht implizit ein, daß die NATO lediglich eine sich bietende Gelegenheit beim Schopfe gegriffen hat, um die reaktionärsten Gewährsleute westlicher Hegemonie im Nahen und Mittleren Osten zur Speerspitze einer angeblich fortschrittlichen Entwicklung zu verklären, die, wie angesichts des Zustands ihrer Gesellschaften unschwer zu prognostizieren ist, gerade nicht die soziale Emanzipation der notleidenden Bevölkerungen, sondern ihre autoritär optimierte Mangelverwaltung hervorbringen wird [2]. Weniger eindeutig in seinem herrschaftlichen Duktus, als er aus der Feder dieses Architekten der Präventivdoktrin des Terrorkriegs fließt, aber nicht minder sinn- und legitimationsstiftend für die NATO-Vorhut der freien Marktwirtschaft ist, was der renommierte Nahostexperte Michael Lüders am 24. August in einer Diskussion im Deutschlandfunk zu dem in Libyen beschrittenen Entwicklungspfad zu sagen wußte [3].

Für ihn findet in der arabischen Welt ein Transformationsprozeß statt, den er als Überwindung vormoderner feudaler ländlicher Gesellschaften "in Richtung auf eine städtisch geprägte Industriegesellschaft mit pluralen demokratischen Strukturen" kennzeichnet. Das seiner Ansicht nach "sehr spannende Experiment" in Libyen könne "wirklich wegweisend sein für die arabische Revolution als Ganzes", wenn Diktator Gaddafi, der seit langem diese "evolutionäre Entwicklung blockiert", endlich hinweggefegt werde. Wohin diese Modernisierung in einer Welt, deren administrativ, ökonomisch und technologisch entwickeltesten Staaten ein immer größeres Ausmaß an sozialem Elend produzieren, führen soll, wenn sie zudem mit zerstörerischer Gewalt von einer NATO, die dieses Mal "auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden" habe, durchgesetzt wird, ist nicht schwer zu erraten.

Freigesetzt wird die Destruktivität des kapitalistischen Akkumulationsregimes auch unter Bevölkerungen, die zwar - wie niemand anders auch nicht - kein ideales Leben führen, die jedoch in mancherlei Hinsicht über mehr Sicherheit und Verläßlichkeit verfügen, als die westlichen Metropolengesellschaften bieten wollen. Deren Bürger werden vormodernen arabischen Stammesgesellschaften als angeblich zivilisatorisch und gesellschaftlich überlegen dargestellt, weil sie in ihrem Ringen um materielles Überleben dem Zunder der schöpferischen Zerstörung, der atomisierenden Wirkung sie nötigender und zwingender Produktionsverhältnisse und der Forderung hochflexibler Wandlungsfähigkeit ausgesetzt sind. Als kolonialistische Hausmarke manifestiert sich der Arbeits- und Leistungsethos westlicher Produktivität im selbstevidenten Recht, anderen Gesellschaften und Kulturen auch gegen ihren Willen zu dem Glück verhelfen zu können, sich selbst nur noch in den Hochglanzprospekten der Tourismusindustrie wiederzuerkennen, dafür aber das eigene Elend beim Starren auf makroökonomische Erfolgsbilanzen vergessen zu dürfen.

Fußnoten:

[1] http://www.atimes.com/atimes/Middle_East/MH27Ak03.html

[2] http://www.wsws.org/articles/2011/aug2011/zeli-a24.shtml

[3] http://www.dradio.de/dlf/vorschau/

26. August 2011