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RAUB/1008: Global Overshoot Day - zu kurz gegriffene Gesellschaftskritik (SB)



Am Mittwoch, dem 28. September, war der diesjährige "Global Overshoot Day", der Welt-Erschöpfungstag. Anderen Berechnungen zufolge kam dafür bereits der 21. August in Frage, doch über das Datum braucht man sich nicht streiten. Entscheidend ist vielmehr, was damit gesagt werden soll, und noch wichtiger, was damit gesagt wird. An diesem Tag hat die Menschheit erstens alle biologischen Ressourcen, die der Planet bereitstellen und "aus sich heraus" erneuern kann, verbraucht und zweitens die Fähigkeit der Natur, Kohlendioxidemissionen zu absorbieren, ausgeschöpft. Das bedeutet, daß die Menschheit bei ihrem jetzigen Verbrauchsniveau etwa 1,5 Planeten benötigen würde, um den Anspruch auf Nachhaltigkeit zu erfüllen. Da es nur diese eine Erde gibt, lebt die Menschheit die nächsten drei, vier Monate über ihre Verhältnisse. Im kommenden Jahr wird wieder von vorn gezählt.

Die Betreiber des mit der Berechnung des Welt-Erschöpfungstags betrauten Global Footprint Network [http://www.footprintnetwork.org/de/] wissen sehr wohl, daß ihr vereinheitlichender Wert die enormen nationalen Unterschiede im Ver- und Gebrauch von Naturressourcen verschleiert. Für die Industriestaaten liegt jenes Datum bereits im Frühjahr, wohingegen in Armutsländern wie Simbabwe die Bevölkerung das ganze Jahr über global gesehen "nachhaltig" lebt. Anders gesagt: Wären alle Menschen so genügsam wie die Simbabwer, käme die Menschheit mit weniger als einem Planeten aus.

Hier zeigt sich allerdings ein weiterer Widerspruch. Innerhalb sowohl des führenden Wirtschaftsstandorts Deutschland als auch des Armutslands Simbabwe bestehen eklatante Unterschiede im Konsumstil der jeweiligen Bevölkerung. Immerhin eine Million Bundesbürger sind so arm, daß sie die Möglichkeit in Anspruch nehmen müssen, den von Organisationen wie den Tafeln erneut in Umlauf gebrachten Lebensmittelmüll ihrer besser betuchten Mitbürger zu verzehren. In Simbabwe dagegen gilt der weitaus größte Teil der Bevölkerung als arm.

Bedarf es einer Abstraktion wie des Global Overshoot Day, um sich einen Eindruck von solchen gesellschaftlichen Widersprüchen zu verschaffen? Wird damit transparenter, daß die menschliche Gesellschaft auf Armut und Reichtum gründet, also die Bereicherung der Armut vorausgeht?

Das räuberische Verhältnis der Menschen zur Um- und Mitwelt wäre nicht abgeschafft, wenn die Menschheit insgesamt gesehen nachhaltig lebte. Insofern werden die vorherrschenden Produktionsverhältnisse durch Nachhaltigkeitsideen nicht in Frage gestellt, man kann auch sagen, daß die Herrschaft des Menschen über den Menschen unangetastet bleibt. Es besteht sogar die reelle Gefahr, daß Ansätze wie der Global Overshoot Day von den vorherrschenden Kräften benutzt wird, um ihre privilegierte Position weiter auszubauen und zu festigen. Das könnte dann so aussehen, daß der Appellcharakter, den die Berechnungen zum Verbrauch von Bioressourcen zur Zeit noch haben, in eine Pflicht zum Konsumverzicht umgewandelt wird. Daß die Menschen prinzipiell bereit wären, sich diesem zu unterwerfen, wenn es ihnen nur plausibel genug gemacht wird, haben die Zeiten bewiesen, als Deutschland Krieg gegen seine Nachbarn führte. Damals wurde der Ressourcenverbrauch eingeschränkt, und schließlich wurden sogar die röhrenden Bronzehirsche auf den Wohnzimmerschränken zum Wohle die Rüstungsschmiede eingesammelt.

Die Bedrohung von heute ist weder der Franzose noch der Russe (auch wenn diese Zeiten wiederkommen können), sondern der Ressourcenmangel (peak everything) und Klimawandel. Nicht zuletzt um solche Gefahren für die Bundesrepublik Deutschland abzuwehren, steht die Bundeswehr am Hindukusch oder sichert im Rahmen von EU- und NATO-Bündnissen am Horn von Afrika die Seewege. Eines Tages könnte es zu hyperadministrativ verhängten Repressionen kommen, gegenüber denen (angeblich) klimafreundliche, aber sozialfeindliche Zwangsmaßnahmen wie die Fahrverbotszonen in deutschen Innenstädten für ärmere Autofahrer - euphemistisch Umweltzonen genannt - als Antwort auf die EU-Feinstaubrichtlinie oder die Ökodesign-Richtlinie, die uns das teure Glühlampenverbot eingehandelt hat, noch harmlos ausnehmen.

Wenn die teils mit großem Engagement angetretenen Umweltschützer nicht Wegbereiter eines öko-repressiven Regimes sein wollen, sollten sie gesellschaftskritische Fragen nicht einfach nur berücksichtigen, sondern all ihren Vorschlägen und Überlegungen voranstellen. Andernfalls könnte es dazu kommen, daß der Global Overshoot Day von einer grün gefärbten Regierung benutzt wird, um den Ressourcenverbrauch der weniger einflußreichen Bevölkerungsgruppen zwangsweise einzuschränken.

28. September 2011