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RAUB/1041: "Stabilitätsexport" - Strategien der Ausbeutung und Unterwerfung (SB)




"Stabilitätsexport" findet nicht nur in Afghanistan oder anderen Kriegsgebieten, in denen die Bundesrepublik auf diese oder jene Weise präsent ist, statt. Stabilität wird - in der Logik imperialistischer Expansion - auch überall dorthin exportiert, wohin deutsche Unternehmen Aufträge vergeben, um die Kosten menschlicher Arbeit zu senken. In beiden Fällen wird dies im Sinne nachholender ordnungs- und entwicklungspolitischer Entwicklung als Vorteil für die davon Betroffenen dargestellt. Ob die Menschen, die in Afghanistan an der Durchsetzung demokratischer, rechtstaatlicher und sicherheitspolitischer Strukturen Made in Germany genesen sollen, dies wirklich wollen, ist nicht die Frage. Die ihnen aufoktroyierte Stabilität ist Ausdruck hegemonialer Interessen der NATO-Staaten, wie auch die Tatsache verrät, daß die Opfer des dafür zu entrichtenden Blutzolls keinerlei Rechtsansprüche geltend machen können. Sie sind im zynischen Bild der Späne, die abfallen, wenn im Interesse stärkerer Interessen gehobelt wird, nicht einmal Werkstoff, sondern zu entsorgende Störfaktoren der ansonsten generalstabsmäßig implementierten Neuordnung kriegerisch bewirtschafteter Gesellschaften.

Immerhin als Werkstoff der Produktivkraft ferner Auftraggeber fühlen durften sich die fast 300 Arbeiterinnen und Arbeiter, die in Karatschi in den Flammen eines Feuers umkamen, das in den Betriebsräumen eines Textilherstellers ausbrach. Nichtvorhandene Feuerschutzvorkehrungen, vergitterte Fenster und blockierte Treppenhäuser sorgten dafür, daß fast die Hälfte der 650 Beschäftigten starb und viele Überlebende Verletzungen davontrugen. Ali Enterprises, so der Name der Firma, hatte die Arbeiterinnen und Arbeiter über Vermittler angeheuert, so daß es weder Arbeitsverträge noch Versicherungsschutz gab und keinerlei Sozialabgaben gezahlt werden mußten. Von dieser modernen Sklavenarbeit profitieren auch deutsche Unternehmen wie die für ihre Billigangebote bekannte Textilwarenkette KIK.

"Kollateralschäden" wie diese werden, wenn sie hierzulande überhaupt wahrgenommen werden, als Versagen ordnungsgemäßer Unternehmensführung und verantwortungsloses Verhalten der Auftraggeber angeprangert. So zeigte sich die Kampagne für Saubere Kleidung "entsetzt und empört darüber, dass KIK in seinen Zulieferfabriken die Sicherheit der Beschäftigten nicht garantieren konnte" [1]. Die in der Pressemitteilung getroffene Feststellung, dieser Vorfall habe "auf tragischste Weise gezeigt, dass Markenunternehmen wie KIK nicht in der Lage sind, ihre Zulieferketten in angemessener Weise zu kontrollieren", verharmlost die maßgeblichen Faktoren einer globalisierten Arbeitsteilung, die am Beginn ihrer Wertschöpfungsketten unter härtestem Kostensenkungsdruck für Endabnehmer und Auftraggeber auf eine Weise produzieren läßt, die schon im alltäglichen Normalfall Krankheit, vorzeitigen Tod, Umweltzerstörung und soziale Verelendung bewirkt.

Auf diese Weise werden nicht nur die Profitinteressen großer Konzerne bedient. Derart kostengünstige Waren alimentieren auch die soziale Repression in westlichen Metropolengesellschaft, deren ökonomisch zwangverfügtes Subproletariat sein Überleben nur mit Billigangeboten dieser Art fristen kann. Wie im Falle imperialistischer Kriege werden nicht nur die Bedingungen der Profitmaximierung erweitert, es werden auch Möglichkeiten zur Teilhaberschaft auf der Seite der Gewinner suggeriert, die den Hartz IV-Empfänger in der Logik des kleineren Übels in die Position des privilegierten Haussklaven versetzen. Die Arbeit des Feldsklaven, dessen Leben beim Abringen der Baumwolle von der Erde verwertet wird wie der Dünger, den er ausbringt, fließt ein in die Hosen und Hemden, die den Haussklaven so kleiden, daß sein Elend hinter der Fassade ergebener Dienstbarkeit unsichtbar bleibt.

Bei aller Aufklärung, die Kampagnen über Arbeitsbedingungen in den Ländern des Südens für die Mobilisierung antikapitalistischer Bewegungen leisten, ist die Annahme, man könne den Kapitalismus durch ethische Unternehmensführung und Corporate-Governance-Strategien zivilisieren, bar der Einsicht in die Gewaltlogik der Kapitalverwertung. So diktiert die betriebswirtschaftliche Ratio Unternehmen wie KIK, Kosten auch dann zu sparen, wenn Menschen davon in Mitleidenschaft gezogen werden. Wer mit weniger brutalen Mittel zu Werke gehen wollte, dem wird der Wettbewerbsvorteil des Konkurrenzunternehmens vorgerechnet. Von daher trifft die Aussage, KIK sei nicht in der Lage, für die Sicherheit der Arbeiterinnen und Arbeiter sorgen, die seine Produkte fertigen, sogar zu, allerdings nur dann, wenn die angebliche Alternativlosigkeit des systemischen Charakters dieser Verwertungslogik akzeptiert wird.

Die vor diesem Hintergrund entwickelte Marketingstrategie, soziale und ökologische Rücksichtnahme in ein Verkaufsargument zu verwandeln, kann gerade dort, wo die Menschen jeden Euro umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben, nicht funktionieren. Wo sie erfolgreich eingesetzt wird, schafft sie Legitimation für ein Gesellschaftssystem, das die Möglichkeit sozialer Verbesserungen auf dem Rücken der Armen und Hungernden in eine ferne Zukunft verschiebt. Daß die Katastrophe von Karatschi bestenfalls als Fußnote des globalisierten Warenkonsums wahrgenommen wird, belegt, daß moralische Empörung die notwendige Kritik einer den Mangel nicht nur verwaltenden, sondern strategisch nutzenden Wirtschaftsordnung eher unterminiert als wirksam macht.

In Pakistan wird unter großen Entbehrungen mit knochenharter Arbeit die Reproduktion europäischer Gesellschaften gesichert, während an seinen Himmeln US-amerikanische Drohnen kreuzen, deren Raketen ganze Familien auslöschen. Beides findet unter dem Titel einer Freiheit und Demokratie verheißenden Ordnung statt und wird mit dem Anspruch des Stabilitätsexports auf die Spitze der zynischen Suprematie getrieben, die Bevölkerung des Landes habe sogar einen Vorteil davon, daß sie für uns schuften und sterben darf. Die Ausbeutung des Produktivitätsgefälles zwischen verschiedenen Volkswirtschaften benachteiligt die Mehrwert schaffenden Arbeiterinnen und Arbeiter von vornherein. Kostengünstige Reproduktionsbedingungen in den hochproduktiven Gesellschaften schwächen die Kampfkraft der Lohnabhängigen zu Lasten der Bevölkerungen in den Ländern des Südens, wo das transnationale Kapital sich als Fronherr der Sonderwirtschaftszonen und als Meistbegünstigter liberalisierter Verwertungsbedingungen an frühkapitalistischen Ausbeutungsbedingungen nährt. Diesem Raubzug mit legalistischen und ethischen Forderungen entgegenzutreten heißt, den Bestand des Kapitalverhältnisses zu sichern, anstatt es zu überwinden.

Fußnote:

[1] http://www.saubere-kleidung.de/index.php/pressemeldungen/175-hunderte-brandopfer-bei-kik-zulieferer-in-pakistan

21. September 2012