Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


RAUB/1091: Black Lives Matter ... nicht im internationalen Flugverkehr (SB)



"Über den Wolken muß die Freiheit wohl grenzenlos sein" - der Traum vom Fliegen ist nicht erst seit Beginn der zivilen Luftfahrt Inbegriff gelingender Flucht aus widrigen Daseinsverhältnissen. Spätestens seit allgemein bekannt ist, daß der internationale Flugverkehr eine besonders klimaschädliche Fortbewegungsform ist, läßt sich das sehnsuchtsvolle Lied von Reinhard Mey, der so gerne mitgeflogen wäre, nicht mehr mit gefühlsseliger Arglosigkeit singen. Schaut man einmal genauer hin, dann sind es nicht nur die gas- und partikelförmigen Rückstände, die die kerosingetriebenen Düsentriebwerke in für die Klimaentwicklung besonders empfindlichen Zonen der Atmosphäre hinterlassen, was ihre klimaschädliche Wirkung laut Umweltbundesamt um den Faktor zwei bis fünf gegenüber entsprechender Nutzung des fossilen Treibstoffs in Bodennähe erhöht. Auch die grundsätzliche Frage der Mobilität gibt zu denken, kommt doch höchstens ein Zehntel der Weltbevölkerung in den Genuß, die Zeit für Strecken im Fluge vergehen zu lassen, für die Menschen, wenn sie sich auf konventionelle Weise fortbewegen, auch heute noch Wochen und Monate benötigen.

Während Touristen das Mittelmeer südwärts zu ihren Ferienparadiesen mit einer Leichtigkeit überqueren, die sich wenig vom Reisen in Autos oder Zügen unterscheidet, kämpfen tief unter ihnen Kriegsflüchtlinge, die eine strapaziöse und lebensgefährliche Reise mit ungewissem Ausgang Richtung Europa unternehmen, um ihr Leben. Wo der klimatisierte Shuttle Flugpassagiere aus den Zentren der Global Cities zu den internationalen Drehkreuzen in der urbanen Peripherie transportiert, werfen seine Insassen mitunter einen gelangweilten Blick auf die Elendssiedlungen, die sich kilometerweit am Rande der Zubringerstraßen erstrecken. Nicht nur in Ländern des Südens steht die futuristische Architektur moderner Flughäfen in scharfem Kontrast zu den armseligen und heruntergekommenen Häusern der lokalen Wohnbevölkerung, meiden wohlhabende Menschen doch die unmittelbare Nähe von lärm- und abgasbelasteten Flughäfen.

So auch im Umfeld des London City Airports. Der im Bezirk Newham im Osten der Metropole gelegene Flughafen wird aufgrund seiner Nähe zur Londoner City insbesondere von Geschäftsreisenden frequentiert, deren Einkommen häufig ein Vielfaches der ortsansässigen Bevölkerung beträgt. 4,3 Millionen Passagiere und damit 18 Prozent mehr als im Vorjahr haben den Flughafen 2015 benutzt, und das zum Teil im Direktflug nach New York, der anderen großen Kapitalmetropole der westlichen Welt. Um von dort mit geringem Gewicht starten zu können und keine längere Anfahrt zu einem der anderen Londoner Flughäfen in Kauf nehmen zu müssen, wird eine Zwischenlandung zum Auftanken in Kauf genommen, obwohl Start und Landung die verbrauchsintensivsten Phasen einer Flugreise sind. Was kostet die Welt? Das ist keine Frage, die sich mit derartigen Petitessen aufhält, wenn nur der Komfort der transnationalen Manager- und Investorenelite gewährleistet ist.

Am 6. September legten Aktivistinnen und Aktivisten des britischen Zweigs der internationalen Organisation Black Lives Matter den Airport für eine kurze Zeit lahm, um den rassistischen Charakter klimaschädlicher Verkehrsformen [1] anzuprangern. Nachdem die bislang vor allem gegen rassistische Polizeigewalt protestierende Organisation bereits am fünften Jahrestag des Todes von Mark Duggan, dessen Erschießung durch die Londoner Polizei 2011 landesweite Riots auslöste, mehrere Zubringerstraßen zum Flughafen Heathrow blockiert hatte, erinnerte sie dieses Mal daran, daß der Flugverkehr maßgeblichen Anteil daran hat, daß in großen Regionen Afrikas vorher nie gekannte mehrjährige Dürren herrschen, die Hungerkatastrophen auslösen. Die große Medienresonanz, die diese Aktion im Vereinigten Königreich auslöste, verweist auf die Wirksamkeit von Verkehrsblockaden als Protestform. In größerem Ausmaß wie zuletzt in Frankreich bei den Protesten gegen das neue Arbeitsgesetz vollzogen, trifft die Unterbrechung insbesondere der Lieferketten ins Mark des hochintegrierten arbeitsteiligen Kapitalismus.

Zwar nicht aufgrund des Flugverkehrs, sondern ihres historisch großen Verbrauchs an Kohle führt die britische Bevölkerung die Rangliste der Hauptverantwortlichen für die Entstehung des Klimawandels in der Pro-Kopf-Berechnung weltweit an [2]. Indem Black Lives Matter UK beginnt, seinen Protest über die unmittelbare Bedrohung nichtweißer Menschen durch racial profiling, physische Polizeigewalt und ein rassistisches Justizwesen hinaus auf die grundlegende Nord-Süd-Problematik bei der nicht erfolgenden Bewältigung des Klimawandels zu richten, setzt die Organisation auch ein Zeichen gegen den globalen Kapitalismus, dessen Sachwalter, wie nicht zuletzt am Beispiel des Flugverkehrs zu sehen, keinerlei Anzeichen machen, ernstzunehmende Maßnahmen gegen die globale Zerstörung der Lebensvoraussetzungen für Mensch und Natur zu ergreifen.

So sind Wachstumserwartungen für den internationalen Luftverkehr im Gespräch, die von einer Verdopplung des weltweiten Passagieraufkommens bis 2035 oder sogar einem Zuwachs des Flugaufkommens um 500 Prozent bis zum Jahre 2050 ausgehen. Zwar werden Verbesserungen wie die Verringerung des Treibstoffbedarfs pro Kopf und der Kauf von Verschmutzungsrechten geltend gemacht, doch in Anbetracht der Tatsache, daß je nach Berechnung der Personenkilometer in der Luft fünf- bis zehnmal so klimaschädlich ist wie auf der Straße oder der Schiene, handelt es sich dabei bestenfalls um ökologische Feigenblätter. Nicht zu vergessen für die globale Klimabilanz ist auch der militärische Flugverkehr, entspricht der fossile Treibstoff für die Luftfahrzeuge der US-Streitkräfte doch dem Gesamtverbrauch aller für die Mobilität Schwedens verbrauchter fossiler Kraftstoffe. Da Krieg auch um Öl geführt wird, das einen höchst verbrauchsintensiven Lebensstil sichern soll, kommt eins zum andern.

Begünstigt werden die erheblichen Zuwachsraten des Flugverkehrs durch die Steuerbefreiung des Treibstoffs Kerosin und den Wegfall von Mehrwertsteuern bei internationalen Flugreisen, was internationalen Verträgen geschuldet ist und damit global gilt. In der BRD kommt noch die Entlastung der Flughafenbetreiber von der Grundsteuer hinzu, und die Nichtberücksichtigung des internationalen Flugverkehrs im Klimaschutzabkommen von Paris darf als besondere Gratifikation für die globalen Eliten verstanden werden. Als Verfechter eines grünen Kapitalismus fliegen sie selbstverständlich klimaneutral, was früher einmal anrüchige Kooperationen wie die Zusammenarbeit der Heinrich-Böll-Stiftung mit dem auch im Rüstungsbereich aktiven Flugzeughersteller Airbus Group Anfang des Jahres [3] in ganz anderem, eben CO2-neutralen Licht erscheinen läßt. Wie so etwas möglich ist, erklärt sich aus dem Prinzip des internationalen Emissionshandels, mit dem die destruktiven Effekte der Nutzung fossiler Energie kurzerhand zu einer Handelsware umgewidmet werden [4 ]. Die angeblich nicht vollzogene Zerstörung etwa von Waldgebieten wird in Wert gesetzt, um damit Zerstörungen andernorts zu kompensieren, obwohl man an erster Stelle nicht einmal weiß, ob es tatsächlich zu der möglichen Abholzung gekommen wäre. Einer auf Schulden, von denen niemand weiß, ob sie jemals beglichen werden, oder Kreditausfallversicherungen basierenden Kapitalakkumulation nicht unähnlich, werden mit Verschmutzungsrechten Unwerte kapitalisiert und potentielle Waldzerstörer honoriert.

Nur auf diese aus sozialökologischer Sicht widersinnige Weise sind die immensen Wachstumsraten dieser privilegierten Mobilitätsform überhaupt zu vertreten. Daß die Schädigung der atembaren Atmosphäre und die Anheizung des Treibhauseffektes auf jeden Fall besser vermieden werden könnten, wenn auf die Passagier- wie Frachtluftfahrt weitestgehend verzichtet würde, liegt auf der Hand und könnte dennoch nicht abwegiger sein. Schließlich besteht die grenzenlose Freiheit über den Wolken darin, sich über die Nöte und Probleme des weitaus größeren Teils der Weltbevölkerung einfach hinwegzusetzen, indem die Kurse der Flugzeughersteller, Flughafengesellschaften und Luftfahrtunternehmen durch die Decke gehen und Überlebensverhältnisse ermöglichen, die so exklusiv sind wie eine Form der Fortbewegung, die zahllose Menschen auf der Strecke des Brandes läßt, den sie entfacht.


Fußnoten:

[1] https://www.theguardian.com/commentisfree/2016/sep/06/climate-change-racist-crisis-london-city-airport-black-lives-matter

[2] http://www.climatechangenews.com/2014/01/17/uk-has-made-largest-contribution-to-global-warming-says-study/

[3] http://www.taz.de/!5305323/

[4] RAUB/1086: Emissionsrechtehandel, Biodiversitätsgutschriften ... ungedeckter Wechsel auf das Leben (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1086.html

13. September 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang