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RAUB/1094: Tierverbrauch geht unter die Haut (SB)



"Grausame Bilder. Es wird ein Bild einer Landwirtschaft gezeigt, die wir so nicht wollen." [1] Der Kommentar der SPD-Tierschutzbeauftragten Christina Jantz-Herrmann zur Aufdeckung der Zustände in einigen Schweine-, Puten- und Hühnerbetrieben, für die zum Teil wichtige Agrarlobbyisten Verantwortung tragen sollen, hält sich nicht umsonst mit der Wahrnehmung dieser grausamen Verhältnisse auf, anstatt das Leid der Tiere selbst zum Thema zu machen. Sollten die betroffenen Funktionäre die Vorwürfe nicht "glaubhaft zerstreuen können", dann sieht die Politikerin schwarz für die "gesellschaftliche Akzeptanz der Nutztierhaltung" [1].

Das haben auch Agrarfunktionäre wie der Vorsitzende des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands (WLV) und CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Röring erkannt: "Ziel dieser Personen ist es, die Nutztierhaltung in Gänze zu diskreditieren" [1]. Gemeint sind die Aktivistinnen und Aktivisten von Animal Rights Watch (ARIWA), deren Recherche in der Tierindustrie am 22. September nach der Ausstrahlung von Teilen des Bildmaterials im ARD-Magazin Panorama bundesweit Furore gemacht hat. Dabei scheint es ihnen nicht so sehr darum zu gehen, einzelne Akteure an den Pranger zu stellen. Wie die Tierrechtsorganisation in ihrer Selbstdarstellung schreibt, ist "die Abschaffung jeglichen Tierleids und jeglicher Unterdrückung von Tieren" Ziel des Vereins, denn: "Wahrer Tierschutz schließt das Essen oder das Nutzen von Tieren kategorisch aus. Jemanden schützen und zugleich töten zu wollen ist ein Widerspruch in sich. Einen Ansatz die Ausbeutung der Tiere zu reformieren verfolgen wir nicht" [2].

Der Unaufhebbarkeit dieses Widerspruchs dürfte es denn auch geschuldet sein, daß die zuerst in den Medien vielbeachtete Aktion keine weitere Resonanz erzeugte. Das Problem ist durch eine Verbesserung der sogenannten Nutztierhaltung nicht zu lösen, denn auch einem mit Liebe ganz persönlich aufgezogenen Schwein wird, wenn es schlußendlich getötet und verspeist wird, die ganze Ohnmacht, als bloßes Verbrauchsmaterial ins Leben geholt zu werden, aufgelastet. Das Beispiel eines Schweines in privater Haltung, dessen Besitzer es vor der Schlachtung so sehr an das Bolzenschußgerät gewöhnt, daß es das Tötungsgerät als Ausdruck liebevoller Zuwendung begreift, um sich angeblich ohne Widerstand umbringen zu lassen und zum Lohn dadurch gewürdigt zu werden, daß die Wurstgläser mit seinem Namen geziert sind, bringt den empathischen Umgang mit sogenanntem Schlachtvieh auf den Punkt eines Nutzens, der immer gegen seine Objekte gerichtet ist.

Ganz abgesehen davon, daß die agroindustrielle Produktionsweise ökonomischen Verwertungszwängen unterliegt, die bei einem Optimum an propagiertem "Tierwohl" sowie einer stark verbesserten ökologischen Verträglichkeit der sogenannten Nutztierhaltung Verbraucherpreise zur Folge hätte, die viele Menschen vom Konsum von Tierprodukten ausschließen würde, geht der Verzehr von Tieren und tierischen Reproduktionsprodukten wie Milch und Eiern stets zu ihren Lasten. Wen die Bilder von den fast minütlich in Deutschlands größter Schlachtfabrik, in der am Tage 40.000 Schweine getötet und verarbeitet werden, eintreffenden LKWs unruhig machen, der wird sich auch nur bedingt an dem kleinbäuerlichen Idyll erfreuen können, wo es den Tieren Zeit ihres deutlich verkürzten Lebens sicherlich besser geht als in den Mastbetrieben und Schlachtfabriken der agroindustriellen Landwirtschaft, sie aber Objekt und Ware bleiben.

Wird die alltägliche Normalität des massenhaften Tierverbrauchs durch die Präsentation der erschreckenden Aufnahmen einer Langzeitrecherche wie der vorliegenden durchbrochen, dann verlangt ihre Aufrechterhaltung nach mehr Immunisierung und Vergessen. Was bleibt, ist die Korrektur des Bildes, daß man auch und gerade deshalb nicht sehen will, weil der unauslotbare Grund des kurzfristig spürbaren Schmerzes auch die eigene Haut betrifft. Hat das menschliche Tier in seinen kognitiven wie produktiven Fähigkeiten auch alle anderen Primaten hinter sich gelassen und diese Herkunft vergessen, um sich an die Spitze der Freßkette zu manövrieren, fließt in seinen Adern doch immer noch Blut und bleibt ihm der Tod ein düsteres Geheimnis. Wird die Welt fein säuberlich in mehr oder weniger Brauchbares unterteilt, ja erweist sich die Teilung in eigenes und fremdes geradezu Grundlage aller Aneignung und Zählbarkeit, Herrschaft und Kultur, so bleibt der Schmerz, verbraucht zu werden, doch unteilbar.

Das Beunruhigende an dem Eklat, den ARIWA mit großem Aufwand zu produzieren versucht hat, ist das Wissen darum, daß das Problem nicht mit ein wenig Spielzeug für Ferkel, mit gerade so viel Platz für trächtige Sauen, daß sie sich auch einmal umdrehen können, einer etwas längeren Auszeit für die im Jahrestakt geschwängerten und in den wenigen Jahren bis zu ihrem Tod regelrecht ausgelaugten Milchkühe oder einem etwas längeren Leben der als Nebenprodukt geborenen Kälber, die nach wenigen Monaten als Kalbsleberwurs und Kalbsleder enden, vom Tisch ist. Denn dieser Tisch muß gedeckt werden, und viel zu viele Menschen sitzen schon auf blanker Erde und warten auf die Brocken, die vielleicht herunterfallen.

Für die Aktivistinnen und Aktivisten ARIWAs ist eine tierfreie Ernährung eine wesentliche Antwort auf dieses Problem. Da es sich bei der von ihnen propagierten veganen Lebensweise um eine Randerscheinung in insgesamt noch gut versorgten Gesellschaften handelt, fällt es den Sachwaltern des extensiven Ressourcen- und intensiven Tierverbrauchs schwer, diese Position grundsätzlich zu verwerfen. So lange allerdings moralische und rechtliche Argumente aufeinandertreffen, entwickelt sich die Debatte um das Thema, wenn überhaupt, zu einem den Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Religionen und Ideologien nicht unähnlichen Kulturkampf. Daß diese Auseinandersetzung insbesondere im Kontext sozialökologischer Fragen Zukunft hat, liegt auf der Hand. Ob sie eine emanzipatorische oder barbarische Richtung nimmt, ist eine offene Frage, die debattiert und weiterentwickelt werden muß, wollen die Menschen nicht eines Tages mit einer Gewalt konfrontiert sein, in der die Ordnung einmal mehr über das Leben siegt.


Fußnoten:

[1] http://www.topagrar.com/news/Home-top-News-Stimmen-zum-Panorama-Beitrag-4619375.html

[2] http://www.ariwa.org/ueber-uns/ueber-uns/wir-ueber-uns.html

29. September 2016


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