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RAUB/1115: Wer stört im smarten Straßenverkehr? (SB)



Fußgänger überqueren, den Blick starr aufs Mobiltelefon gerichtet, die Straßen wie Traumwandler, Autofahrer lesen Textnachrichten während der Fahrt und beantworten sie mit einer Hand am Steuer. Ein Großteil dessen, was Menschen heute im Straßenverkehr mit ihren Kleincomputern anstellen, ist überflüssig und dient der Befriedigung von Gewohnheiten, die ein erhebliches Maß an Eigendynamik entfaltet haben. Wäre die Unterhaltung mit Computerspielen im öffentlichen Raum nicht möglich, dann hätte wohl kaum jemand Verluste an Lebensqualität, die nicht auch auf andere Weise zu kompensieren wären. Dem mobilen Telefonieren ging die Relativierung einer Erreichbarkeit voraus, die von manchen bis heute als Freiraum vermißt wird, während sie anderen bereits zum Attribut ihres zweiten, virtuellen Körpers geworden ist.

Die Zahl der aufgrund dieser Ablenkungen vom Straßenverkehr zu Schaden kommender Menschen wächst, daran ändern Nutzungsverbote am Steuer oder in den Boden eingelassene Verkehrsampeln nichts. Zwischen Fußgängern und Autofahrern herrscht kein offener Krieg, doch aus der Beschleunigung eines tonnenschweren Fahrzeuges in einem von Passanten bevölkerten öffentlichen Raum resultiert zumindest ein physisches Gewaltverhältnis. Die Straße gehört den Autos und die Stadt wird vom motorisierten Individualverkehr strukturiert, lautet die Quintessenz eines Automobilismus, der sich aufgrund seines stofflichen Verbrauchs in dieser Form als ökologischer wie städtebaulicher Irrweg erwiesen hat. Alle Versuche, das grundlegend zu ändern, scheitern nicht etwa am Bestehen der Autofahrer darauf, die vermeintliche Freiheit dieser Mobilitätsform in Anspruch zu nehmen. sondern den Wachstumsimperativen eines Industriestandortes, der einen wesentlichen Teil des Gesamtproduktes aus dem Bau von Automobilen und deren Export, dem Unterhalt eines Straßennetzes und aller für den motorisierten Verkehr erforderlicher Infrastrukturen erzielt.

Gleiches gilt für die Nutzung mobiler Computer in Verkehrssituationen. Die Möglichkeit, dies gänzlich zu untersagen, wirkt so abwegig, daß sie niemand ernsthaft in Betracht zöge. Die hochgradige Verdichtung der Arbeitsintensität hierzulande als auch die Organisation von Arbeit und Handel in Ländern des Südens setzen ständige Verfügbarkeit voraus. Nicht Kurzweil und Geplausche ist der primäre Zweck permanenter informationstechnischer Anbindung, sondern das Entfachen einer Produktivität, die auf diese Form der Kommunikation nicht mehr verzichten kann, ohne erhebliche Wettbewerbsnachteile in Kauf zu nehmen.

Schön früher lebte der urbane Mensch, wenn er das Haus verläßt, in einem von beschleunigten Artefakten durchquerten Raum, mit denen zu kollidieren schon bei geringem Tempo tödlich ausgehen kann. Die Zahl der Verkehrstoten hat über die Jahre durch verbesserte Sicherheitstechnik kontinuierlich abgenommen, doch das könnte sich zumindest bis zur Ära des autonomen Fahrzeugverkehrs wieder umkehren. Da sich seine Aufmerksamkeit, ob als Konsument elektronischer Spiele oder beim Fußweg zur Bahn schon mal die E-Mails sichtender Erwerbstätiger, heute auf immer mehr Ereignisse verteilt, ohne daß sich das kognitive Potential durch die informationstechnische Konditionierung wesentlich änderte, nimmt das Risiko zu, dabei unter die Räder zu kommen. Dies als Preis für die Teilhabe am Reichtum einer hochproduktiven Gesellschaft zu verbuchen ist die positive Anforderung dieser Gesellschaft an ihre Insassen. Dies als inakzeptable Ausdehnung einzelner, gegenüber Passanten, die sich kein Auto leisten können, zudem privilegierter Bürger für inakzeptabel zu halten und und zu bekämpfen wird als nicht ernstzunehmende Marotte moderner Maschinenstürmer lächerlich gemacht.

Was also tun? Über die Frage der Fortbewegung neu und jenseits einer industriellen Kosten-Nutzen-Ratio nachzudenken ist schon aus ökologischen Gründen erforderlich. Nicht minder relevant für die gesellschaftliche Zukunft ist die Frage, ob sich der Mensch zusehends informationstechnisch definierten Zwecksetzungen ausliefern möchte, die sein Leben nur scheinbar leichter machen, weil der kurze Datenweg mit anwachsendem apparativen Aufwand wie einer aufs Individuum gemünzten Totalkontrolle beglichen wird. Den Verkehr mit Sanktionen zu regeln, um Smartphone und Automobil besser miteinander auskommen zu lassen, jedenfalls bedarf des Menschen nicht, wird er doch durch die bloße Funktion zusehends überflüssig gemacht.

1. April 2017


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