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RAUB/1146: Griechenland - der Druck wächst an ... (SB)



Griechenland steht am selben Punkt, im gleichen schwarzen Loch und es versinkt jeden Tag tiefer darin!
Der ehemalige Finanzminister Gianis Varoufakis [1]

Der offizielle Abschluß des EU-Hilfsprogramms für Griechenland ist ein Grund zu feiern. Für Ratspräsident Donald Tusk, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Finanzkommissar Pierre Moscovici, die einander in Gratulationen an das griechische Volk überbieten. Für alle Sachwalter und Profiteure der Euro-Zone wie insbesondere die Bundesrepublik, die ein Ende der existenziellen Krise ihres Konstrukts proklamieren. Und natürlich für die europäischen Banken, deren Kredite gerettet und zurückgezahlt wurden. Nichts zu feiern gibt es für die griechische Bevölkerung, deren Zurichtung und Ausplünderung auf Jahrzehnte hinaus fortgeschrieben wird.

Nach offizieller Lesart ein souveräner Staat, hat Griechenland de facto den Status eines Protektorats, dessen Innenpolitik unter dem Schuldenregime dauerhaft von Brüssel und Berlin diktiert wird. Die griechische Krise stellt insofern einen historischen Präzedenzfall dar, als ein ganzes Staatswesen einer weitreichenden externen Kontrolle von bislang beispielloser Dauer unterworfen wird. Der Langzeitplan sieht vor, die griechischen Staatsschulden von derzeit über 180 Prozent auf 74 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2060 zu reduzieren. Die Unmöglichkeit, die Schulden jemals zurückzuzahlen, dürfte unter anderem dazu führen, daß die heute lebende Generation das Ende der Krise größtenteils nicht mehr erleben wird. Zudem fordert die Eurogruppe einen aberwitzigen Primärüberschuß von 3,5 Prozent bis 2022, der für jeden anderen europäischen Staat einschließlich Deutschlands absolut utopisch wäre.

Griechenland gleicht einem Konverter der Herrschaftssicherung, in dem EU und IWF die Menschen knechten und zugleich innovative Maßnahmen der Befriedung erproben und exerzieren. Um das Opfer dauerhaft zur Ader zu lassen, ohne daß es vollständig ausblutet oder sich in seiner Verzweiflung gegen die Peiniger erhebt, bedarf es einer langfristigen Strategie der Gläubiger, zugleich aber einer willfährigen Regierung in Athen, die sich als Schnittstelle der Umsetzung sozialer Grausamkeiten nicht nur in das Regime der Gläubiger fügt, sondern sich dessen Erfüllung zu eigen macht und der Bevölkerung als alternativlosen Rettungsplan verkauft. Alexis Tsipras hat seinen Landsleuten versprochen, sie aus der Misere zu führen, jedoch die Auflagen der Gläubiger reibungsloser durchgesetzt, als es eine konservative Regierung vermocht hätte. Als Griechenland 2015 am Rande eines Ausschlusses oder aber eines selbstgewählten Austritts aus der Eurozone stand, verhinderte er dies und verwandelte den Erfolg des damaligen Referendums gegen die Auflagen in eine Unterwerfung unter die Forderungen der Gläubiger, die dabei sogar noch verschärft wurden.

Tsipras hat der damaligen Kampfbereitschaft in der Bevölkerung eine schwere Niederlage zugefügt, von der sich der Widerstand nur langsam erholen konnte. Wenngleich viele Menschen gegen die Syriza-Regierung auf die Straße gehen und deren Umfragewerte in den Keller gerutscht sind, scheint einer ganzen Generation der Zahn radikalen Widerstands gezogen zu sein. Da zu erwarten steht, daß Syriza nach Erfüllung ihrer Funktion bei den nächsten Wahlen abgestraft wird, bleibt es dann einem um so stärkeren Konter konservativer und rechter Kräfte überlassen, das Rad der Verelendung weiterzudrehen.

Nach Angaben des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wurden seit 2010 insgesamt 289 Milliarden Euro bereitgestellt. Daß Griechenland trotz dieser Hilfsprogramme die Krise nicht überwunden hat, liegt in erster Linie daran, daß weniger als fünf Prozent der Milliardenkredite im Haushalt angekommen sind, denn von dem Löwenanteil wurden europäische Banken gerettet. Die Euroländer und der IWF haben Gelder ins Land gepumpt, diesem immer schärfere Spar- und Reformpakete auferlegt und vor allem Schaden von Banken und anderen privaten Gläubigern abgewendet. Die hellenische Wirtschaft ist seit 2008 um ein Viertel geschrumpft, die Investitionen gingen um mehr als die Hälfte zurück. Einzig die Große Depression hat ähnlich verheerende Folgen gezeitigt, doch wurde deren Endzeitstimmung nach etwa vier Jahren vom wieder einsetzenden Aufschwung abgelöst. Davon könnten die Griechen nur träumen, die schon seit mehr als acht Jahren gegen den Untergang kämpfen.

Aus Perspektive deutscher Regierungspolitik soll Griechenland in der Eurozone und EU bleiben, damit es auf Grundlage der beträchtlichen Produktivitätsunterschiede zwischen den beiden Volkswirtschaften dauerhaft und effektiv ausgebeutet werden kann. Während das deutsche Besatzungsregime im Zweiten Weltkrieg die Ressourcen des Landes rigoros plünderte und ins Reich abführte, so daß die griechische Produktion praktisch zum Erliegen kam und die Bevölkerung massenhaft verhungerte, ist das moderne Raubgefüge unter Führung der Bundesrepublik komplexer angelegt. Zum einen fließen die Hilfsgelder größtenteils in den Schuldendienst, zum anderen wird die verschärfte Auspressung der Bevölkerung und der Ausverkauf griechischer Infrastruktur, Bodenflächen und anderer Ressourcen durchgesetzt. Für das spekulative Kapital ist dieses herausragende Investitionsziel mit Blick auf Ausmaß, Intensität und geographische Ausbreitung eine wahre Goldgrube.

Wenngleich nun die Kreditfinanzierung des Landes offiziell beendet ist, gilt das nicht für die Austeritätspolitik, die vertragsgemäß noch bis mindestens 2060 laufen soll. Die Staatsschulden müssen abgebaut werden, zumal sie während der Kreditprogramme nicht etwa gesunken, sondern weiter gestiegen sind. Als Athen 2010 den Gang zu den institutionellen Kreditgebern antrat, hatte das Land Staatsschulden in Höhe von 127,9 Prozent des Bruttoinlandprodukts (299,7 Mrd. Euro) angehäuft, was damals als nicht mehr kreditwürdig galt. Heute beträgt die Schuldenquote 180,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (323 Mrd. Euro). Angesichts dieser gewachsenen Schuldenlast sind bis 2022 Primärüberschüsse des Staatshaushalts von mindestens 3,5 Prozent vorgeschrieben, danach jährlich mindestens 2,2 Prozent fällig. Mit der Tilgung der Schulden soll Griechenland 2032 beginnen.

Mehr als 5.000 sozial einschneidende Gesetze und Regelungen bleiben in Kraft, längst wurden neue Rentenkürzungen und Steuererhöhungen für die kommenden Jahre beschlossen und eingeplant. Insgesamt müssen bis 2022 weitere 250 Maßnahmen umgesetzt werden. Trotz des Endes des Kreditprogramms bleiben die Kapitalverkehrskontrollen bestehen. Die griechischen Banken müssen Kredite abbauen, die von den Schuldnern wegen der Krise nicht mehr bedient werden können. Damit stehen dem Land noch mehr Zwangsversteigerungen als bisher bevor. Der Staat muß die Privatisierungen der Staatsbetriebe und kommunalen Betriebe für Erdgas und Wasser vorantreiben und seine Schulden gegenüber Privatpersonen und Unternehmen reduzieren.

Damit das alles pflichtschuldig umgesetzt wird, muß Griechenland alle drei Monate Inspektionen über sich ergehen lassen. Sobald das Land von den Vorgaben des Primärüberschusses abweicht oder davon abzuweichen droht, können die Kreditgeber weitere Maßnahmen verordnen. Diese Beobachtung (Enhanced Surveillance Programme) dauert solange an, bis 75 Prozent der Schulden abgebaut sind, was von den Eurokrisenländern bislang nur Spanien geschafft hat. Portugal steht noch bis 2026 unter Beobachtung, Zypern bis 2029 und Irland hat die Kontrolle bis 2031 im Land. [2]

Für die griechische Bevölkerung sind die Sparvorgaben auf Jahrzehnte mit dauerhaften Rentenkürzungen, Lohnsenkungen und Steuererhöhungen verbunden. Daß die griechischen Wähler das für die nächsten 40 Jahre mitmachen, ist eher nicht zu erwarten. Künftige Regierungen werden nach einer Dekade der Entbehrungen versucht sein, mehr Geld für Sozialleistungen auszugeben und den Binnenkonsum anzukurbeln. Kein Land der Welt hat jemals einen derart eisernen Sparkurs durchgehalten, und Griechenland müßte schon ein historisches Wunder vollbringen, um unter diesen Maßgaben auf einen grünen Zweig zu kommen. [3]

Griechenlands ehemaliger Finanzminister Gianis Varoufakis steht daher mit der Auffassung nicht allein, daß von einer Rettung keine Rede sein könne. Der Staat sei noch immer pleite, die Menschen im Land seien ärmer geworden, Firmen gingen weiterhin bankrott und das Bruttosozialprodukt sei um 25 Prozent gesunken, zumal die Sparvorgaben der Gläubiger Investitionen und Konsum behinderten: "Griechenland steht am selben Punkt, im gleichen schwarzen Loch und es versinkt jeden Tag tiefer darin!"


Fußnoten:

[1] www.focus.de/finanzen/news/griechenland-verlaesst-rettungsschirm-experten-zerlegen-die-griechische-rettung_id_9441621.html

[2] www.heise.de/tp/features/Griechenland-Die-Memoranden-der-Austeritaet-sind-tot-4142239.html

[3] www.n-tv.de/wirtschaft/Griechenland-braucht-ein-Wunder-article20581878.html

21. August 2018


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