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RAUB/1147: Afrika - Ökookkupation ... (SB)



Sehen wir nicht so schwarz in Richtung Afrika, sondern tun wir das uns Mögliche!
Entwicklungsminister Gerd Müller in Botswana [1]

Die Bundesregierung will sich weder von der Vergangenheit einholen lassen noch im Rennen um die künftige Aufteilung und Kontrolle der Welt den kürzeren ziehen. Das gilt nicht zuletzt für die Durchsetzung deutscher Interessen in Afrika, das in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Berliner Außenpolitik gerückt ist. Die Stiefel deutscher Soldaten hinterließen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts tiefe Abdrücke auf dem schwarzen Kontinent, als die Kolonialherren im damaligen Deutsch-Südwestafrika zwischen 1904 und 1908 Schätzungen zufolge 75.000 Angehörige der Volksgruppen Herero und Nama töteten. Seit drei Jahren verhandeln die Regierungen Namibias und der Bundesrepublik über die sogenannte Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte. Die namibische Seite fordert nicht nur die Entschuldigung eines hochrangigen Repräsentanten Deutschlands, sondern zugleich eine Anerkennung des Völkermords und vor allem angemessene Reparationen für das Leid und das Land, das die Deutschen den Herero und Nama geraubt haben und das bis heute im Besitz deutschstämmiger Farmer ist. Hingegen steht die Bundesregierung auf dem Standpunkt, daß aus einer Entschuldigung zwar politisch-moralische Verpflichtungen, die Wunden zu heilen, nicht jedoch eine Rechtspflicht nach Reparationen folgt.

Wie sich Symbolpolitik anstelle einer substantiellen Übernahme der Verantwortung inszenieren läßt, unterstrich die feierliche Veranstaltung im Französischen Dom am Gendarmenmarkt, bei der die namibische Kulturministerin und viele traditionelle Chiefs der Ovaherero und Namas Gebeine ihrer Ahnen in Empfang nahmen. Im Gedenkgottesdienst, gemeinsam abgehalten von der Auslandsbischöfin der EKD, Petra Bosse-Huber, und dem Oberhaupt der namibischen lutherischen Kirche, Bischof Ernst Gamxamub, bekannte sich Bischöfin Bosse-Huber zur Schuld der Missionare und der Kirche an dem grausamen Unrecht und bat die Nachfahren der Opfer um Vergebung. [2] Nach dem Gottesdienst kamen die politischen Vertreter an die Reihe. Überraschend erhielt zuerst der Paramount-Chief der Herero, Vekuii Rukoro, das Wort, einer der Hauptankläger in einem Gerichtsprozeß gegen die Bundesregierung vor einem US-Bundesgericht. Er war nicht zur Zeremonie eingeladen worden, aber samt seinen Begleitern auf eigene Kosten und mit solidarischer Hilfe angereist. [3]

Zwar bedankte er sich, an der Zeremonie teilnehmen zu können, doch bezweifelte er zugleich, daß die Rückgabe der Gebeine nur um der Würde willen in der Kirche geschehe. "Völkermord! So nennen wir das zu Hause!" rief er und kritisierte, die Bundesregierung habe der Kirche mit der Organisation der Zeremonie die Verantwortung für die Übergabe zugeschoben. "Als gäbe es kein anderes würdiges Gebäude in ganz Berlin, das 450 Menschen aufnehmen kann. Sind denn die Regierungsgebäude in Berlin weniger würdevoll? Warum die Verantwortung an den Komplizen abschieben?" Er lobte die Menschen auf den Mahnwachen, welche sich als "wahre Freunde Namibias" erwiesen hätten. Die deutsche Gesellschaft sei weit gekommen, "nur die Regierung möchte den Genozid nicht benennen. Etwas läuft falsch!"

Michelle Müntefering, Staatsministerin für internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, fiel die Rolle zu, die angeblich für viele Nachfahren der Opfer entscheidenden Worte zu sprechen: "Ich verbeuge mich in tiefer Trauer. Das schreckliche Unrecht, dass unsere Vorfahren begangen haben, kann ich nicht rückgängig machen. Doch ich bitte Sie aus tiefstem Herzen um Verzeihung." Wie sie im Vorfeld erklärt hatte, gehe es "um die Rückgabe und die Rückführung" der sterblichen Überreste. Für eine offizielle Entschuldigung der Regierung sei die Zeremonie nicht der passende Rahmen. Statt dessen wolle man in Windhuk weitere Regierungsgespräche zur Aufarbeitung führen. Gemeinsam mit Ruprecht Polenz, dem deutschen Verhandlungsführer mit Namibia, wird die SPD-Politikerin die Gebeine nach Namibia begleiten und dort an einem Staatsakt zu ihrem Empfang teilnehmen.

Auf welch fruchtbaren Boden der lange vorbereitete Gottesdienst bei der Mehrzahl der hiesigen Medien stieß, belegt deren Bewertung, die ergreifende Feierstunde sei ein Meilenstein und vorläufiger Höhepunkt im Prozeß der Aufarbeitung deutscher kolonialer Schuld. Zwar erwarteten die Nachfahren der Opfer mehr von der Bundesregierung, doch würden die Zeremonie und die Worte Michelle Münteferings ihre Wirkung in Namibia nicht verfehlen. Vielleicht muß sogar noch Bundespräsident Steinmeier als letzter deutscher Trumpf in der Hinterhand mit einer salbungsvollen Abbitte ran, doch mehr wird es nicht geben, lautet die Berliner Botschaft an die Regierung in Windhuk.

Die deutsche Kolonialgeschichte wird als historischer Fehltritt versiegelt, der moralisch aufgeladen und bitter beklagt, jedoch aus Perspektive hiesiger Regierungspolitik keinesfalls als integraler Bestandteil und Voraussetzung des Aufstiegs zur europäischen Großmacht identifiziert werden darf. Einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, wozu in der deutschen Geschichte reichlich Anlaß bestand, schließt eine materielle Entschädigung aller Opfer aus, die nicht über die Mittel verfügen, diese wirksam einzufordern. Die Bundesrepublik ist nicht der NS-Staat, ist nicht die Weimarer Republik und schon gar nicht das Kaiserreich. Was wir heute sind und haben, darf niemand mit früheren Raubzügen in Verbindung bringen, am allerwenigsten aber mit der heutigen Afrikapolitik.

Im April 2014 verabschiedete die schwarz-rote Koalition die "Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung". Darin ist von Potentialen Afrikas wie einem Zukunftsmarkt mit hohem Wachstum, reichen Ressourcen, landwirtschaftlicher Produktion und Ernährungssicherung die Rede, die für die deutsche Wirtschaft zunehmend interessanter würden. Aus diesen Gründen gelte es, das politische, sicherheitspolitische und entwicklungspolitische Engagement Deutschlands in Afrika gezielt zu stärken sowie entschieden und substantiell zu handeln, wozu auch militärische Interventionen gehörten. So ist die Bundeswehr derzeit am Horn von Afrika, im Senegal, in Zentralafrika, in der Westsahara, im Sudan, im Südsudan und in Somalia präsent. Die meisten deutschen Soldaten sind in Mali stationiert, dem neben Afghanistan größten Auslandseinsatz.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ihren Fuß bis dahin nicht auf afrikanischen Boden gesetzt hatte, reiste 2016 nach Mali, Niger und Äthiopien, worauf sie 2017 Ägypten und im November den EU-Afrika-Gipfel in der Elfenbeinküste besuchte. Die deutsche G20-Präsidentschaft 2017 stand im Zeichen der Wirtschaft und brachte mit elf Ländern Afrikas die Initiative "Compact with Africa" auf den Weg, bei der es vor allem um Rechtssicherheit für private Investitionen geht. Entwicklungshilfe war gestern, heute steht die Unterstützung deutscher Investoren auf der Agenda, so das Credo der Bundesregierung. Die Präsidenten von Ghana und Niger waren vor kurzem bei der Kanzlerin in Berlin, die dieser Tage mit einer elfköpfigen Wirtschaftsdelegation Senegal, Ghana und Nigeria aufsucht. Parallel dazu befindet sich Entwicklungsminister Gerd Müller auf einer neuntägigen Afrikareise, auf der er in Eritrea, Äthiopien, Mosambik, Botswana, Mali und Simbabwe Station macht.

Wie der weltreisende CSU-Politiker aus Mosambik zu berichten weiß, seien dort die Chinesen, Inder, Japaner und Amerikaner zugegen. Nur die Deutschen fehlten und ließen dadurch viele Chancen liegen. Dabei eröffne der "Kontinent der Ressourcen" doch auch der deutschen Wirtschaft gute Aussichten. In Botswana habe dies ein deutscher Unternehmer begriffen und ein Automobil-Zulieferwerk mit bereits 2.400 Beschäftigten aufgebaut. VW habe vor drei Wochen eine Produktion in Ruanda aufgenommen, und er sehe sehr viele positive Signale, die Wirtschaft zu stärken und den Menschen eine Perspektive zu geben, so Müller. Man könne die Probleme des Bevölkerungswachstums "natürlich nicht durch Zuwanderung nach Europa lösen". Wer aber die Zuwanderung beschränken wolle, müsse sein Engagement in den Herkunftsländern verstärken und dort wesentlich mehr investieren.

Auch die Bundeskanzlerin versteht unter Bekämpfung der Fluchtursachen natürlich nicht, den europäischen Handelskrieg gegen die afrikanischen Länder zu beenden, ihre Rohstoffe nicht länger auszuplündern und die militärische Intervention auszusetzen. Wenngleich sie wirtschaftliche Zusammenarbeit und eine "Partnerschaft auf Augenhöhe" im Munde führt, die von wechselseitiger Solidarität und Vertrauen geprägt sei, setzt sie ihren Gesprächspartnern in einer Mischung aus Bestechung und Erpressung die Pistole auf die Brust. Mit hochrangigen Unternehmern der Branchen Infrastruktur, Elektrifizierung, erneuerbare Energien, Wasserwirtschaft und Digitalisierung im Troß, stellt sie Unterstützung in Aussicht, sofern im Gegenzug die "illegale Migration" bekämpft und die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber verbessert werde. [4]

Die drei von ihr besuchten Staaten sind Herkunftsländer von Migranten mit Ziel Europa. In Deutschland leben derzeit 1.300 ausreisepflichtige Migranten aus dem Senegal, 4.200 aus Ghana und 8.600 aus Nigeria. Hinzu kommen mehr als 20.000 abgelehnte nigerianische Asylbewerber, deren Klage gegen die Entscheidung noch läuft. Die Schutzquote liegt im Senegal bei 3,1 Prozent, in Ghana bei 5,7 Prozent und in Nigeria bei 15 Prozent, wobei Ghana und Senegal im Sinne des Asylrechts als sichere Herkunftsländer eingestuft sind. [5]

Senegals Präsident Macky Sall hat die Botschaft verstanden und Unterstützung im Kampf gegen Migration zugesichert: "Wir wollen der Jugend Afrikas alternative Lösungen anbieten. Die Bestimmung unserer Jugend ist nicht, im Mittelmeer zu ertrinken oder in Europa in der Illegalität zu leben. Wir müssen die Schleuser bekämpfen. Das ist auch eine Frage der Würde Afrikas." Allerdings könne sich Europa auf Dauer nicht komplett abschotten: "Die Welt braucht Europa, aber Europa braucht auch die Welt." [6]

Wozu Europa Afrika braucht, lehrt auch das Beispiel Nigers, dessen Präsidenten Mahamadou Issoufou die Kanzlerin jüngst in Schloß Meseberg empfing. Niger gilt als eines der wichtigsten Transitländer für geflohene Menschen in Afrika, und so stellte ihm Angela Merkel deutsche und europäische Hilfe in Aussicht, sollte er sich noch stärker an der Eindämmung der "illegalen Migration" beteiligen. Die EU bildet dort bereits seit 2012 Grenzschützer und Polizisten aus. Sie hat der Regierung bis 2020 eine Milliarde Euro Entwicklungshilfe versprochen, die allerdings größtenteils in Waffen und Sicherheitstechnik fließt. Als Gegenleistung riegeln Grenzschützer die Kontrollposten in Richtung Libyen ab und besetzen die Wasserstellen auf dem Weg durch die Wüste, wodurch die Migranten zu weiten und oftmals tödlichen Umwegen gezwungen werden. Schleuser überlassen sie jetzt noch häufiger ihrem Schicksal, die Zahl der Toten in diesem Teil der Sahara wächst ständig an. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sterben inzwischen mehr Menschen in der Wüste als im Mittelmeer.


Fußnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/bekaempfung-von-fluchtursachen-in-afrika-die-eu-hat-bisher.694.de.html

[2] www.deutschlandfunk.de/uebergabe-von-herero-gebeinen-meilenstein-im-prozess-der.691.de.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/338844.geschichtspolitik-halbherzige-zeremonie.html

[4] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_84361644/merkel-in-westafrika-sie-will-den-kampf-gegen-fluchtursachen-vorantreiben.html

[5] www.zdf.de/nachrichten/heute/merkel-senegal-sagt-zusammenarbeit-im-kampf-gegen-schleuser-zu-100.htmlt

[6] www.tagesschau.de/ausland/merkel-afrika-senegal-101.html

30. August 2018


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