Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


RAUB/1172: USA - jeder Vorwand kommt recht ... (SB)



Wir senden eine deutliche Botschaft an die Karawane und die Eindringlinge: "Dreht um, geht nach Hause zurück". (...) Und hier ist der Punkt: Niemand kommt in unser Land, es sei denn, sie kommen auf legale Weise rein.
Donald Trump zum Tränengaseinsatz gegen Flüchtlinge an der Grenze [1]

Der globale Krieg ums Überleben in einer zusehends ausgeplünderten, verwüsteten, lebensfeindlichen Welt treibt die menschheitsgeschichtliche Ratio, die Existenz zu Lasten der eigenen Art zu sichern, auf die Spitze einer drohenden Massenvernichtung. Was Donald Trump mit seinem "America First!" auf die Tagesordnung setzt, ist kein Einzelfall, sondern nur der brachialste, weil auf überlegene Waffengewalt gestützte Ausdruck derselben Logik, die multiple Krise noch zu verschärfen, um einen Vorteil aus der Entsorgung aller Überflüssigen zu ziehen. Wenn es schon nicht für alle reicht, rauben, fressen und verbrennen wir auf Teufel komm raus, um die Millionen Elenden, Hungernden, Durstenden schneller loszuwerden, als sie an unser Tor pochen können, um ihren Teil einzufordern oder uns gar zu überrollen.

Der amtierende US-Präsident setzt mit seiner Abschottungspolitik das Werk seiner Vorgänger fort, aus dem für sein Land reklamierten Hinterhof Lateinamerika den größtmöglichen Vorteil zu ziehen und sich zugleich alle aus dieser Ausbeutung resultierenden Folgen vom Leib zu halten. Allerdings hat sich die Gewichtung dieser Zwillingskomponenten noch stärker als in der Vergangenheit in Richtung einer umfassenden Kontrolle der Einwanderung und Versiegelung der Südgrenze mit baulichen, militärischen und administrativen Mitteln verschoben. War die sogenannte illegale Migration jahrzehntelang ein hingenommener Zu- und Abstrom von billigen Arbeitskräften, die saisonal in der US-Landwirtschaft, aber zunehmend auch in der Baubranche, fleischverarbeitenden Industrie oder in Gestalt diverser Dienstleistungen in Haushalten und Kommunen für unverzichtbar erachtet wurden, schlug das Pendel im Zuge ökonomischer Krisen und wachsender Arbeitslosigkeit in den USA zunehmend in Richtung eines repressiven Umgangs mit den "Illegalen" und Ausbaus der Grenzsicherung um.

Wenn heute US-Soldaten an der Grenze ihre Waffen auf geflohene Menschen richten, Lager für festgenommene Flüchtlinge errichtet werden und die Abschiebung vorangetrieben wird, ist das die Fortführung einer bereits vor Jahren eingeleiteten Strategie, hispanische Migrantinnen und Migranten zu einer feindlichen Bedrohung zu erklären, die mit allen zu Gebote stehenden Mitteln bekämpft werden muß. Trump wurde insbesondere deswegen gewählt, weil er die Trennlinie zwischen denen, die dazugehören, und jenen, die ausgeschlossen werden, besonders brutal zur Sprache bringt. Selbst wenn für den überwiegenden Teil seiner Wählerschaft nichts dabei herausspringt, nährt er doch ein ums andere Mal die bloße Hoffnung, der Pfründe teilhaftig zu werden, indem alle anderen niedergemacht werden, deren Anspruch auf Teilhabe es abzuschmettern gilt.

Als sich die Flüchtlingstrecks vor allem aus Honduras, El Salvador und Guatemala vor einigen Wochen auf den Weg nach Norden machten, erklärte Trump diese Flucht vor Gewalt, Elend und wirtschaftlicher Not zu seinem zentralen Thema vor den Kongreßwahlen Anfang November. Er warnte vor einer drohenden Invasion, stellte die Migranten als große Gefahr dar und behauptete mehrfach, unter ihnen befänden sich viele Verbrecher. Der US-Präsident beorderte mehrere tausend Soldaten zur Verstärkung der Grenzschutzbehörden, zuletzt sollen Medienberichten zufolge weitere 300 Soldaten von Arizona und Texas nach Kalifornien verlegt worden sein, wo die Ankunft der Migranten erwartet wurde.

Am 9. November hatte Trump eine Proklamation unterzeichnet, nach der Migranten, welche die Südgrenze der USA illegal überschreiten, ein Asylverfahren verweigert wird. Die Verfahren sollten damit grundsätzlich nur noch an offiziellen Grenzübergängen möglich sein. In der vergangenen Woche hat jedoch ein US-Gericht die verfügte Verschärfung der Asylregeln vorübergehend gestoppt. Damit können auch solche Menschen wieder Asyl in den USA beantragen, die die Grenze illegal überschritten haben. Die entsprechende einstweilige Verfügung bleibt mindestens bis zu einer Anhörung am 19. Dezember in Kraft.

Am Sonntag kam es an einem Grenzübergang zwischen den USA und Mexiko zu heftigen Szenen, als Hunderte Migranten in Tijuana an die Grenzposten San Ysidro und El Chaparral zogen. Zunächst bewegte sich eine Demonstration, darunter viele Familien mit Kindern, mit Schriftbannern in Richtung San Ysidro, als die Lage eskalierte und ein Teil der Migranten auf die Grenze zurannte. Die mexikanische Polizei versuchte vergeblich, sie aufzuhalten, worauf rund 50 Menschen auf einen Blechwall kletterten, der noch auf mexikanischem Gebiet vor der US-Grenzmauer steht. US-Sicherheitskräfte schossen Tränengas auf die mexikanische Seite und trieben die Menschen damit zurück, die amerikanischen Behörden schlossen den Übergang zwischen San Diego und Tijuana für mehrere Stunden, US-Hubschrauber überflogen die Grenze.

Der US-Präsident verteidigte das harte Vorgehen der amerikanischen Sicherheitsbehörden. Man werde keinerlei Angriffe auf Grenzschutzbeamte dulden und auch keine Versuche tolerieren, Regierungseigentum zu zerstören, erklärte er bei einer Wahlkampfveranstaltung in Tupelo im US-Bundesstaat Mississippi. Frühere US-Regierungen hätten die Grenzen anderer Länder verteidigt, aber nicht die eigenen. Das sei nun anders, so Trump: "Wir senden eine deutliche Botschaft an die Karawane und die Eindringlinge: 'Dreht um, geht zurück nach Hause.'"

Trump rechtfertigte auch den Einsatz von Tränengas durch die Grenzschützer: "Sie mussten es einsetzen, weil sie von einigen sehr harten Leuten bedrängt wurden, und sie haben Tränengas eingesetzt. Und hier ist der Punkt: Niemand kommt in unser Land, es sei denn, sie kommen auf legale Weise rein." Als ihn eine Reporterin fragte, ob ihm wohl dabei sei, daß Tränengas gegen Kinder eingesetzt werde, bezichtigte der US-Präsident die Menschen mit den Worten: "Warum läuft ein Elternteil in eine Gegend, von der sie wissen, dass sich dort Tränengas bildet, und sie laufen dorthin mit einem Kind?" Trump behauptete zudem, daß es sich bei manchen dieser Menschen gar nicht um die Eltern der Kinder handele: "In manchen Fällen sind sie nicht die Eltern. Sie packen ein Kind, weil sie glauben, einen bestimmten Status zu haben, wenn sie ein Kind haben." [2]

Trump hat seiner Anhängerschaft versprochen, sie vor der "Invasion" all jener zu schützen, die von ihren Tellern mitessen wollen. Dies zu erfüllen, bestätigt er in Wort und Tat, wie irrational und wahrheitswidrig es auch anmuten mag. Seine Ratio ist die des sozialrassistischen Krieges im eigenen Land und nach außen, und in diesen Kämpfen diktiert er jenseits stichhaltiger Argumente oder gar humanitärer Erwägungen die Deutungsmacht.

Denselben Ton schlug US-Heimatschutzministerin Kirstjen Nielsen an, die ihrerseits den Versuch unerlaubter Grenzübertritte scharf verurteilte und eine konsequente Gegenwehr ankündigte. Wie sie auf Twitter schrieb, werde ihr Ministerium solche Formen von Gesetzlosigkeit nicht tolerieren und nicht zögern, Grenzübergänge aus Sicherheitsgründen zu schließen. Jeder, der US-Eigentum zerstöre, Grenzbeamte in Gefahr bringe oder die Staatshoheit der USA verletze, werde strafrechtlich verfolgt. Die US-Behörden seien robust aufgestellt an der Grenze zu Mexiko. Die Grenzschutzbehörde sei gezwungen gewesen, den Übergang zu schließen, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Eine große Zahl an Migranten habe versucht, illegal in die USA zu kommen. Sie hätten versucht, Absperrungen zu durchbrechen und Grenzschützer mit Wurfgeschossen zu verletzen.

Trump hatte bereits vor dem Zwischenfall in San Ysidro gewarnt: "Es wäre sehr klug, wenn Mexiko die Karawanen weit vor der Südgrenze (der USA) stoppen würde." Daß er dabei mit Kollaboration auf mexikanischer Seite rechnen kann, unterstrich Innenminister Alfonso Navarrete Prida: "Es gibt Aufwiegler, die die Migranten in Gefahr setzen, obwohl sie genau wissen, dass sie so niemals in US-Gebiet eindringen könnten." Die identifizierten Gewalttätigen, die die unbewaffneten mexikanischen Sicherheitskräfte überrollt hätten, sollten gerichtlich verfolgt und ausgewiesen werden, so der Minister. Nach Angaben des Leiters der mexikanischen Migrationsbehörde, Gerardo García Benavente, seien 98 Menschen in Haft und würden abgeschoben. Die Behörden hätten die Proteste an der Grenze zwischen Tijuana und San Diego mittlerweile eingedämmt. [3]

In zahnlosem und symbolischem Protest forderte das mexikanische Außenministerium in einer diplomatischen Note an die US-Botschaft in Mexiko-Stadt Aufklärung vom Nachbarland. Es werde erwartet, daß die USA den Einsatz von "nicht tödlichen Waffen" in Richtung Mexiko gründlich untersuche. Zudem bekräftigte Mexiko sein Engagement, die Menschenrechte und die Sicherheit der Migranten jederzeit zu schützen. Daß auch dies keineswegs den Tatsachen entspricht, legen Berichte aus Tijuana nahe. Die Regierung habe das Flüchtlingsproblem bisher völlig ignoriert und die Menschen einfach das Land durchqueren lassen, wurde dort kritisiert. Und nun müsse Tijuana die Situation ausbaden. Da von der mexikanischen Regierung keinerlei Hilfe käme, müsse sich die Stadt an internationale Institutionen wie die UN wenden. In der Grenzstadt werden in einem Stadion derzeit mehr als 4.700 mittelamerikanische Migranten notdürftig beherbergt, Tausende weitere sind auf dem Weg dorthin. Es wird geschätzt, daß insgesamt rund 10.000 Menschen nach Tijuana wollen, wo mittlerweile ein "humanitärer Notstand" ausgerufen wurde. [4]

Die neue Regierung des gewählten Präsidenten Andrés López Obrador beginnt ihre Amtszeit am 1. Dezember. Einem Bericht der Washington Post zufolge sollen nach Absprache mit dem Übergangsteam von López Obrador die Asylbewerber in Mexiko warten, während ihre Fälle von US-Gerichten geprüft werden. Diesen Bericht dementierte die künftige mexikanische Regierung jedoch. "Es gibt keinerlei Abmachung mit der US-Regierung", erklärte die designierte Innenministerin Olga Sánchez Cordero. Wenngleich nicht ganz auszuschließen ist, daß die künftige Administration weniger willfährig mit Washington kommuniziert, steht doch zu befürchten, daß kaum mehr als Theaterdonner für den mexikanischen Nationalstolz dabei produziert wird.

Mexiko ist von den USA über Jahre in einen Pufferstaat verwandelt worden, der den Ansturm des Südens aufhalten soll. Die politische, militärische und geheimdienstliche Zusammenarbeit diente insbesondere dem Zweck, diese Funktion der vorgelagerten Abwehr zu etablieren und auszubauen. Dies hat maßgeblich dazu beigetragen, das Land in den Hauptkriegsschauplatz der Kartelle mit horrenden Opferzahlen zu verwandeln, wozu nun der eskalierende Zug fliehender Menschen aus Mittelamerika kommt, die sich im Norden Mexikos aufstauen. Trump hat das Ventil einer tendentiell porösen Grenze endgültig geschlossen, so daß die Verfahrensweise der mexikanischen Regierung, die Migrantinnen und Migranten mehr oder minder passieren zu lassen und sie schutzlos den Angriffen einer Bandenkriminalität auszusetzen, die sie beraubt, erpreßt, vergewaltigt, versklavt oder ermordet, zum Scheitern verurteilt ist. Wenn Trump dem südlichen Nachbarland rät, die Karawanen weit vor der Grenze aufzuhalten, kommt dies dem Diktat gleich, die Repression bis hin zur Vernichtung der geflohenen Menschen künftig in vollem Umfang allein zu erledigen.


Fußnoten:

[1] www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_84850138/einsatz-von-traenengas-mexiko-fordert-untersuchung-von-den-usa.html

[2] www.spiegel.de/politik/ausland/donald-trump-verteidigt-traenengas-gegen-migranten-an-grenze-zu-mexiko-a-1240578.html

[3] www.dw.com/de/hunderte-migranten-stürmen-us-grenze/a-46447652

[4] www.dw.com/de/tijuana-ruft-humanitären-notstand-aus/a-46438939

27. November 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang