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RAUB/1174: Tierschmerzen - bis zu den Betäubungsfristen ... (SB)



Die Tiere wollen sich einfach nicht fügen, sie verströmen unangenehme Gerüche, wenn sie unkastriert heranwachsen und als Eber geschlachtet werden, oder schreien laut vor Schmerzen, wenn ihnen kurz nach der Geburt die Hoden ohne Betäubung abgezwackt werden. Da die Kundschaft weder eberspezifischen Geruch an ihrem Kotelett noch die Folterung unter acht Tage alter Ferkel goutiert, soll nun bis Ende 2020 nachgebessert werden. Ursprünglich sollte die betäubungslose Ferkelkastration laut Reform des Tierschutzgesetzes 2015 schon Ende dieses Jahres verboten werden. Doch der intensive Druck der Fleischlobby sorgte dafür, daß in den nächsten zwei Jahren noch bis zu 40 Millionen männliche Ferkel dieser Tortur ausgesetzt werden.

Die Frist von drei Jahren soll nicht ausgereicht haben, um in den Schweinemastbetrieben eine der bekannten Alternativen zu etablieren. Ob Kastration unter Vollnarkose oder lokale Betäubung, ob Ebermast oder Immunokastration, all diese in anderen Ländern längst eingeführten und erprobten Verfahren haben Vor- und Nachteile, doch richten sie vor allem betriebswirtschaftlichen Schaden an - die Kostenlast bei der Schweinemast steigt. Vom Fleisch der knapp 58 Millionen Schweine, die in der Bundesrepublik 2017 geschlachtet wurden, werden rund 20 Prozent ins Ausland exportiert. Um derartige Exportquoten aufrechtzuerhalten, ist keine Rationalisierungsmaßnahme zu gering, um nicht als Kostenvorteil ausgenutzt zu werden. Die Ausbeutung billigster Lohnarbeit vor allem aus den osteuropäischen EU-Staaten ist ein wesentlicher Faktor dieser Exportoffensive, und auch das geht zu Lasten der zu Fleisch und Wurst verarbeiteten Schweine. Über 500.000 von ihnen bluten nicht vollständig aus, bevor sie ins Brühbad gesteckt werden, so daß sie das kochende Wasser nachgewiesenermaßen noch bei lebendigem Leib erleiden.

Doch geht es um den guten Geschmack, scheint keine Tortur qualvoll genug zu sein. In archaischer Sicht untermauert der Todesschmerz des Tieres die Vorherrschaft des Menschen, der es tötet und verspeist. Was an Angst und Schmerz in Form hormoneller Abbauprodukte im Fleisch verbleibt, muß nicht, wenn überhaupt, ähnliches beim Menschen auslösen. Genausogut könnten die biochemischen Agentien des lediglich sechs bis sieben Monate währenden Lebens dieses zur Schlachtung vorgesehenen Säugetiers zu dem erhebenden Gefühl beitragen, als Mensch am Ende der Freßkette keinen größeren Räuber mehr über sich zu wissen.

Auch wenn derartige Überlegungen im Bereich von Mutmaßungen bleiben, sind sie in ihrer symbolischen und metaphorischen Stichhaltigkeit nicht weniger relevant als der Glaube, das Umbringen eines Tieres habe weniger qualvolle Konsequenzen als das eines Menschen. Nur die Dichotomie des Mensch-Tier-Verhältnisses kann die Tötung des Schweins legitimieren, ansonsten unterschiede sie sich nicht von der Tötung des Menschen. Wenn bloße Geschmacksfragen darüber entscheiden, ob einem Schwein größte Schmerzen bereitet werden oder nicht, muß es sich in den Augen derjenigen, die diese Tortur vollziehen, um einen Produktionsfaktor oder um eine Sache handeln.

Dennoch lebt das "Schlachtvieh" so sehr, daß es seine Tötung nicht ungerührt und demütig hinnimmt. Weil es sich wehrt, wird es mit allen möglichen Einrichtungen daran gehindert, beim Weg vom LKW zur Schlachtstation einen anderen Weg als den durch Absperrgitter und Gänge vorgezeichneten zu nehmen. Freiwillig betritt kein Schwein den Ort, an dem es mit Bolzenschußgerät getötet oder CO2 vergast wird. Die ganze Situation könnte nicht unnatürlicher sein, und doch wird sie von der Kundschaft hingenommen. Das Verfahren, das Ferkel mit immunologischen Mitteln an der Geschlechts- und damit Geruchsentwicklung zu hindern, hingegen hat in manchen Ländern zu Importverboten geführt, weil ein solcher Eingriff in den Hormonhaushalt der Schweine als unnatürlich und womöglich gesundheitsschädlich gilt.

Zugleich ist bekannt und Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung, daß beim Schlachten Reaktionen physiologischer Art provoziert werden, die sich auf die Qualität des Produktes auswirken [1]. Was nicht ausschließt, daß gerade dieser Prozeß Fleisch und Wurst lecker macht. So wurde der spezifische, manche Menschen an Schweiß und Urin erinnernde Ebergeruch von anderen KundInnen bei Probeverkostungen gar nicht wahrgenommen oder als störend empfunden. Da nur rund fünf Prozent der heranwachsenden Eber diese beim Braten zu riechenden Ausdünstungen überhaupt entwickeln, wäre es vielleicht am einfachsten, ihn unter dem Oberbegriff Natur zu verbuchen und nicht weiter zum Anlaß für schmerzhafte Interventionen zu nehmen.

Jenseits aller Geschmacksfragen bestände schließlich die Möglichkeit, sich vom Fleisch der Schweine und damit all den mit ihrer Zucht und Verwertung verbundenen Grausamkeiten zu verabschieden. Im Unterschied zu eierlegenden und milchproduzierenden "Nutztieren" gibt das Schwein keine Fortpflanzungsagentien ab, die der Mensch gerne auf seinem Teller hat. Wenn es nur noch Bedeutung für die Lederproduktion und die Nutzung von Nebenprodukten der Tierverarbeitung im chemischen, kosmetischen und nahrungsmitteltechnischen Verfahren besäße, würde die Zahl der zu tötenden Tiere wohl stark verringert werden. Bis dahin bleibt vermeintliches "Tierwohl" eine Chiffre für kulinarische Zubereitungsformen, denen die Leidenschaften, Eigenheiten und Schmerzen individueller Lebewesen zugrundeliegen, die sich niemals vollständig aus den Substanzen menschlichen Verzehrs entfernen lassen.


Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1110.html

7. Dezember 2018


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