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REPRESSION/1334: Riß in der Immunität des US-Folterregimes (SB)



Der US-amerikanische Staatsbürger José Padilla wurde im Mai 2002 bei der Einreise auf dem internationalen Flughafen von Chicago festgenommen. Am 9. Juni 2002 erklärte ihn Präsident George W. Bush zum "feindlichen Kämpfer" und ließ ihn in ein Militärgefängnis in South Carolina verlegen. Dort wurde er dreieinhalb Jahre lang ohne offizielle Anklage und ohne Zugang zu einem Anwalt in Isolationshaft gehalten. Obwohl rasch klar war, daß der Vorwurf jeder Grundlage entbehrte, Padilla habe einen Anschlag mit einer "schmutzigen Bombe" geplant, unterwarf man den Gefangenen physischer und psychischer Folter. Im Juni 2004 traf der Oberste Gerichtshof die Entscheidung, daß Padilla Anspruch auf Prüfung der Rechtmäßigkeit seiner Internierung habe. Anfang 2006 unterlief die Bush-Administration die anstehende Verhandlung des Falls vor dem Obersten Gerichtshof, indem sie den Gefangenen in den regulären Strafvollzug verlegte. José Padilla verbüßt derzeit eine Haftstrafe von 17 Jahren, zu der er in Miami wegen Verschwörung zur materiellen Unterstützung Al Kaidas verurteilt wurde.

Der hochrangige US-amerikanische Jurist John Yoo legte als Vertreter des Justizministeriums gemeinsam mit Jay S. Bybee in ihrem Memorandum vom 1. August 2002 die Grundlage für einen veränderten Folterbegriff. Dieser erklärte das Handeln von Regierung und Geheimdiensten für rechtmäßig, wenn diese "harte Verhörmethoden" in Auftrag gaben oder anwendeten, sofern es dabei nicht zu Organversagen, Tod oder dauerhaftem psychischen Schaden kommt. Auch handle es sich nicht um Folter, wenn der bestimmte Vorsatz fehlt, extremen Schmerz zuzufügen. Aus dieser verdrehten Rabulistik folgt, daß ein Vernehmender, dem es um die Erlangung von Informationen geht, gar nicht foltern kann. Damit wurde ein präventives Arsenal zur Abwehr künftiger Foltervorwürfe geschaffen, welche die rechtliche Verfolgung derartiger Taten so gut wie unmöglich machen sollte.

Nun könnten sich die Wege José Padillas und John Yoos kreuzen, womit es zu einer der ausgesprochen seltenen Begegnungen zwischen einem gefolterten Menschen und einem der hochrangigen Hintermänner der Tortur käme. Wenngleich Yoo vermutlich nie eigenhändig gefoltert hat, leistete er doch als Wegbereiter legaler Folter einen maßgeblichen Beitrag zu den Qualen Tausender Gefangener in aller Welt. Auch hat er unter anderem in offizieller Funktion Guantánamo besucht, womit der mögliche Einwand vollends aus dem Feld geschlagen ist, er habe als Schreibtischtäter nicht in vollem Umfang gewußt, welchem Regime er Vorschub leistete.

Sollte John Yoo am Ende doch nicht ungeschoren davonkommen, hätte der Richter Jeffrey White am Bezirksgericht in San Francisco einen nicht unmaßgeblichen Beitrag dazu geleistet. Seiner Entscheidung nach kann Yoo für seine Rechtsgutachten gerichtlich belangt werden, da er wie jeder andere Regierungsvertreter auch als deren Rechtsberater die absehbaren Konsequenzen seines Handels zu verantworten habe. Dabei sei der Fall Padilla von besonderer Bedeutung, weil er die einzige Möglichkeit darstelle, die Rechtmäßigkeit der Behandlung Padillas in Militärhaft zu überprüfen. Dem Gericht hätten genügend Anhaltspunkte dafür vorgelegen, daß Yoo eine Abfolge von Ereignissen in Gang gesetzt hat, die dazu führten, daß Padilla seiner von der Verfassung garantierten Rechte beraubt wurde. (www.csmonitor.com 17.06.09)

Richter White vollzieht mit seiner Entscheidung insofern einen fundamentalen Brückenschlag zwischen einem hochrangigen Täter und einem der zahlreichen Opfer, als er die Auffassung vertritt, im Fall Padilla lasse sich der Vorwurf des Klägers nicht von der Hand weisen, daß seine Haft und deren Umstände unter Beteiligung Yoos zustandekommen sind, und dieser ein Rechtskonstrukt zur Legalisierung jener Verhörmethoden geschaffen hat, die Padilla als unrechtmäßig bezeichnet. Allein schon die zweijährige Militärhaft ohne Anklage rechtfertige die Zulässigkeit einer Klage gegen Yoo.

Da der Oberste Gerichtshof erst kürzlich einen ähnlich gelagerten Fall, bei dem ein ehemaliger Gefangener den früheren Justizminister John Ashcroft und den FBI-Direktor Robert Mueller verklagen wollte, mit der Begründung zurückgewiesen hat, es lägen keine hinreichenden Beweise für deren persönliche Beteiligung an seiner Mißhandlung vor, hat der Bezirksrichter eine mutige Entscheidung gefällt. Der Fall Padilla gehört seit Jahren zu den wichtigsten juristischen Kontroversen beim Versuch, die Bush-Administration zur Verantwortung zu ziehen. Mutig kann man Richter White aber auch deswegen nennen, weil er sich dem Druck Barack Obamas entgegenstemmt, der aus Gründen der Staatsräson jede strafrechtliche Verfolgung der Vorgängerregierung zu verhindern trachtet.

Generalamnestie, wie man sie in der Vergangenheit vor allem von scheidenden Militärdiktaturen kannte, die ihre Greueltaten vertuschen und sich selbst aus der Verantwortung stehlen wollten, ist offensichtlich nicht auf diese klassische Form der Junta beschränkt. In der Tat fordern Juristen des Justizministeriums, welche die Verteidigung Yoos übernommen haben, eine qualifizierte Immunität für ihren Mandanten. Wenn ein Bezirksrichter die Verantwortung jedes Regierungsvertreters für die absehbaren Folgen seines Handelns ins Feld führt und das auch noch wörtlich nimmt, droht er natürlich rasch auf verlorenem Posten zu stehen.

Andererseits kennt man im Falle von Militärdiktaturen das Phänomen, daß die Amnestie zuerst an einer unscheinbaren oder übersehenen Schwachstelle angekratzt wurde. Beispielsweise hatten die argentinischen Entführer, Folterer und Mörder der Junta vergessen, einen wenig bekannten Umstand in die Amnestiegesetze aufzunehmen. Es ging dabei um neugeborene oder sehr kleine Kinder von Gefangenen, die man den späteren Mordopfern wegnahm und regimetreuen Familien übergab. Da dieser Tatbestand nicht von der Amnestie abgedeckt wurde, drehte man daraus die ersten Fäden des Stricks, der führende Juntaoffiziere schließlich den Gerichten zuführen sollte. Wie Richter White in seiner Begründung anführt, habe man José Padilla auch an der in der Verfassung verbrieften Ausübung seines Glaubens gehindert. Gemessen an Haft und Folter mag das - zumal aus westlicher Sicht - geradezu banal und unwichtig erscheinen. Doch wer wollte ausschließen, daß es dieser kleine Stein sein könnte, über den John Yoo stolpert und in seinem Fall auch die Kumpane mitreißt, die zu immunisieren einst sein Auftrag war!

19. Juni 2009