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REPRESSION/1347: Anti-NATO-Demo in Strasbourg wirft langen Schatten (SB)



Fast fünf Monate lang saß einer der während der Anti-NATO-Proteste in Strasbourg verhafteten Demonstranten in Frankreich im Knast, bevor er am 25. August freigelassen wurde. Sechs Monate Haft ohne Bewährung hatte ein französischer Richter über den jungen Aktivisten verhängt, dazu fünf Jahre Einreiseverbot in Frankreich und 2000 Euro Schmerzensgeld für den Polizisten, der bei seiner Festnahme gestürzt war und sich das Handgelenk gebrochen hatte. Dem von der Polizei erhobenen Vorwurf des Steinewerfens stehen zahlreiche Übergriffe der Staatsgewalt gegenüber, die zu verfolgen sich kein französischer Staatsanwalt die Mühe macht, weil es politisch inopportun ist.

Wie in Frankreich, so werden auch in Deutschland NATO-Gegner kriminalisiert, die am 4. April an der Großdemonstration in Strasbourg teilgenommen haben. Wie Mitglieder des Rostocker Friedensbündnisses und der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegnerinnen (DFG-VK) berichten (www.gipfelsoli.org, 21.08.2009), wurde die Organisatorin einer Busreise zur Demo in Strasbourg am 13. Juli vom Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern einbestellt, um laut Vorladung in einem "Besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs i.V. Schwere Brandstiftung" verhört zu werden. Da die Betroffene am 4. April gar nicht in Strasbourg, sondern auf der anderen Rheinseite in Kehl geblieben war, wurde der aus der Bundesrepublik kommende Teil des Demonstrationszugs doch nicht über die Rheinbrücke gelassen, konnte sie dazu schwerlich eine Aussage machen. Wie im Rahmen einer fünfstündigen Vernehmung deutlich wurde, sollte sie der Polizei Informationen über die Strukturen der NATO-Gegner und vor allem über die Mitreisenden preisgeben, was sie trotz Androhung eines Verfahrens wegen Strafvereitelung nicht tat.

In der nun folgenden Vorladung als Zeugin bei der Staatsanwaltschaft Rostock am 28. Juli ging es dezidiert um die Herausgabe einer Liste der Teilnehmer der Busfahrt nach Strasbourg. Da die Friedensaktivistin dem nicht nachkam, wurden Zwangsmittel aufgefahren. Ein Ordnungsgeld von 500 Euro plus der Übernahme der durch die Aussageverweigerung der Justiz entstandenen Kosten wurden verhängt, eine sofortige Durchsuchung der angeblichen Zeugin und ihrer Wohnung durchgeführt. Nachdem die Beamten während der eine Stunde lang dauernden Hausdurchsuchung, bei der die Friedensaktivistin und ihr Rechtsbeistand draußen warten mußten, und der Beschlagnahmung ihres PCs keine Liste mit Angaben zu den NATO-Gegnern zutage fördern konnten, wurde der Betroffenen Beugehaft angedroht.

Zwar wurde der PC am 6. August zurückgegeben, doch der Fall zeigt, daß gegen Friedensaktivisten und Antimilitaristen härtere Bandagen angelegt werden. Repressalien wie diese gegen eine engagierte Bürgerin, die sich als Organisatorin einer Busfahrt zu einem Ereignis hervorgetan hat, das als solches eine Tugend demokratischer Willensbildung darstellt und im besonderen Fall keineswegs allein aufgrund des Verhaltens einzelner Demonstranten, sondern des massiven Versuchs, ihren Protest von vornherein unhörbar zu machen, gewaltsam eskalierte, dienen der generellen Bedrohung von Menschen, die sich herausnehmen, ihre Stimme gegen die herrschenden Verhältnisse zu erheben.

Die Forderungen, die NATO aufzulösen respektive aus ihr auszutreten, sind desto legitimer, als sich die Vertragsgrundlage des Militärbündnisses überlebt und es sich inzwischen Kompetenzen angemaßt hat, denen keine Bevölkerung eines Mitgliedstaats auch nur indirekt zugestimmt hätte. In Afghanistan führt die NATO einen Krieg, an den sie die eigene Existenzberechtigung geknüpft hat. So fallen die davon betroffenen Menschen zusätzlich zu den irreführenden Motiven, die angegeben werden, um ihr Land besetzt zu halten, einer geopolitischen Legitimationsstrategie zum Opfer, die Zwecken dient, die ihnen ebenfalls nicht zum Vorteil gereichen.

Kurz vor einer Bundestagswahl, in der sich immer weniger vermeiden läßt, daß Thema des Afghanistankriegs auf die Tagesordnung zu setzen, legen die sichtbaren Zeichen, mit denen sich die NATO-Gegner nach ihrem Abdrängen in ein abgelegenes Hafengebiet bei den in der Innenstadt Strasbourgs versammelten Staats- und Regierungschefs bemerkbar gemacht haben, Zeugnis von der Unversöhnlichkeit eines Sicherheitsstaats ab, der die herrschende Verwertungsordnung nach außen wie innen desto aggressiver durchsetzt, als diese durch die keineswegs ausgestandene Weltwirtschaftskrise in Frage gestellt ist.

Die polizeiliche Einschüchterung von Kriegsgegnern fast fünf Monate nach den Protesten kann diese nur in dem Verdacht bestärken, daß mit der NATO nicht nur die Freiheit des Kapitals verteidigt, sondern die Ohnmacht der subalternen Klassen zementiert werden soll. Die virulente Frage im Zentrum des gesellschaftlichen Konflikts ist sozialer Art, und sie soll unterdrückt werden, um diesen Konflikt nicht austragen und beenden zu müssen. In dem Maße, in dem sie öffentlich aufgeworfen wird, wächst das Bewußtsein der Bevölkerung dafür, daß der Krieg in den Ländern des Südens und der Kampf ums Überleben in den Industriegesellschaften mehr miteinander zu tun haben, als die Verfechter der Behauptung, zwischen innerer und äußerer Sicherheit lasse sich nicht mehr unterscheiden, eingestehen wollen.

[Zur Demonstration in Strasbourg siehe POLITIK-REPORT-BERICHT/013]

27. August 2009