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REPRESSION/1375: Nicht nur im Zweifel gegen Asyl und für Feindstrafrecht (SB)



Die Debatte um die Aufnahme sogenannter Guantanamo-Gefangener knüpft in der Bundesrepublik an die Diskussion um das Für und Wider eines Feindstrafrechts an. Die Unschuldsvermutung steht diesen widerrechtlich verschleppten und inhaftierten Personen schon deshalb zu, weil die US-Regierung versucht, sie als eine Art Altlast des Terrorkriegs auf eine Weise loszuwerden, die ihr die weitere Auseinandersetzung um die extralegale Gewaltanwendung erspart. Da es noch eine Kategorie von Guantanamo-Gefangenen gibt, die die US-Regierung für zu gefährlich hält, um sie freizulassen, gegen die sie gleichzeitig aber keinen Prozeß eröffnen will, weil sie über keine stichhaltigen Beweise für schuldhaftes Vergehen verfügt, gesteht Washington am Beispiel der freizulassenden Insassen des Lagers auf Kuba die eigene Willkür im Umgang mit beiden Gruppen ein.

Dennoch steht die Unschuldsvermutung nicht im Vordergrund. Viel mehr sind "Guantanamo-Gefangene" von der rechtlichen Unbestimmtheit ihres Status regelrecht stigmatisiert. Der Terrorverdacht haftet wie ein schwärendes Mal an ihnen, weil er lange Jahre ausgesprochen, aber niemals in einem rechtlichen Verfahren widerlegt wurde. Um so mehr wäre es geboten, Opfern von Staatswillkür, die kein Heimatland haben, in das sie gefahrlos zurückkehren können, Zuflucht zu gewähren. Doch obwohl die US-Regierung die NATO-Partner um Hilfe bei der Unterbringung der Gefangenen gebeten hat, schützen nicht wenige Politiker hierzulande Unverständnis dafür vor, den USA Menschen abzunehmen, für deren mißliche Lage die US-Regierung verantwortlich ist. Wenn es für die USA gute Gründe gibt, die Insassen Guantanamos nicht im eigenen Land leben zu lassen, dann gelten diese auch für die europäischen Verbündeten, so der Tenor der Weigerungsfront.

Im Klartext schüren ihre Vertreter das Ressentiment, daß schon irgend etwas an den Verdächtigungen dran sein muß, wenn Washington die Gefangenen quasi nach Europa entsorgen will. Zumindest von ihrer Einstellung her müssen es potentielle Terroristen sein, ansonsten wären sie doch gar nicht erst verdächtigt worden, so die naheliegende Vermutung vieler Innenminister der Länder. Den Guantanamo-Insassen Asyl zu gewähren implizierte die Anerkennung ihrer widerrechtlichen Verschleppung und Inhaftierung. Dies brächte das Problem mit sich, daß die europäischen Verbündeten damit auch die eigenen Praktiken und Methoden der Entrechtlichung, mit der sie den Terrorkrieg führen, in Frage stellten.

Zwar verweist man in der EU gerne auf eine Rechtsstaatstradition, die der der Vereinigten Staaten hinsichtlich der Wahrung der Bürgerrechte überlegen wäre, doch hat die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in der Bundesrepublik ausgebrochene Debatte um das sogenannte Feindstrafrecht gezeigt, daß die Bereitschaft, bestimmten Menschen von vornherein die Inanspruchnahme grundrechtlicher Schutzgarantien vorzuenthalten, zunimmt. Die von den USA an sogenannten Terrorverdächtigen praktizierte Verschleppung, Folterung und unbefristete Administrativhaft ist Ausdruck eines Feindstrafrechts, vor dem nicht mehr alle Menschen gleich sind, sondern das sie in eine dem eigenen Staat loyale Bevölkerung und außerhalb stehende Feinde unterteilt. Gegen letztere kann aus Gründen der Gefahrenabwehr auf eine Weise Gewalt angewendet werden, die keiner rechtstaatlichen Zügelung mehr unterliegt, weil nun allein das Wohl des Staates zu verteidigen ist. Die Dichotomie des Guten und Bösen wird auf das Strafrecht übertragen, indem spezifische Bewertungskriterien rechtsrelevant werden, bevor noch eine Straftat begangen wurde. Daß dabei chauvinistische und rassistische Sichtweisen Geltung erlangen, liegt auf der Hand und ist am Beispiel der Kriterien, aufgrund derer Menschen in Gefangenenlager der US-Regierung gerieten, nachzuweisen.

Die Opfer der US-Justizwillkür nicht aufzunehmen heißt die widerrechtlichen Begründungen, aufgrund derer gegen sie vorgegangen wurde, gutzuheißen. Als politische Flüchtlinge hätten die viele Jahre in Guantanamo einsitzenden Menschen zweifellos Anspruch auf Asyl, und die Bitte der US-Regierung, es ihnen zu gewähren, böte trotz der flüchtlingsfeindlichen Grundhaltung vieler deutscher Politiker zusätzlichen Anlaß, dies zu tun. Indem sich viele deutsche Politiker und Regierungsbeamte auf den Standpunkt stellen, daß die von diesen Personen angeblich ausgehende Gefahr nicht gebannt sei, weil sie in den USA selbst keine Aufnahme finden sollen, reden sie der Gültigkeit einer extralegalen ad hoc-Justiz das Wort, nach der Menschen allein aufgrund ihrer Verdächtigung durch die Sicherheitsbehörden ihrer Freiheit beraubt oder gar umgebracht werden.

10. April 2010