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REPRESSION/1376: US-Regierung will Administrativhaft institutionalisieren (SB)



Angetreten mit dem Versprechen, das Gefangenenlager Guantanamo zu schließen und das Folterregime der Bush-Administration zu beseitigen, erweist sich die US-Regierung unter Präsident Barack Obama als Sachwalterin einer Terrorjustiz, der es vor allem um die Bewahrung des Erreichten zu gehen scheint. Laut einem Bericht der Los Angeles Times (www.latimes.com, 15.04.2010) soll für die dauerhafte Inhaftierung sogenannter Terrorverdächtiger ein Regelwerk geschaffen werden, mit dem diese Form der Entrechtung auch in Zukunft einen festen Platz im Arsenal der US-Kriegführung erhält. Auch wenn Obama nicht mehr vom "Globalen Krieg gegen den Terrorismus" sprechen möchte, so belegt diese Entwicklung doch die Fortdauer dieses nach dem 11. September 2001 auf mehrere Jahrzehnte hinaus angelegten Feldzugs.

So hat die Regierung Obama bei der 2009 erfolgten Novellierung des Military Commissions Act of 2006 zwar den berüchtigten Terminus des "unlawful enemy combatant" aus dem Text dieses Gesetzes, das den US-Präsidenten mit Vollmachten bis hin zur Anordnung der Folterung bestimmter Gefangener ausstattete, gestrichen. Mit dem Begriff des "unprivileged enemy belligerent" hat sie jedoch eine dementsprechende Kategorie der Entrechtung von Gefangenen geschaffen [siehe dazu REPRESSION/1374]. Im Rahmen der weiterhin geplanten Auflösung Guantanamos plant die US-Regierung die dauerhafte Inhaftierung jener Gefangenen, die einerseits aus Mangel an Beweisen nicht vor Gericht gestellt werden können, sprich die in einem solchen Fall freigesprochen würden, und die andererseits als zu gefährlich eingestuft werden, um wie andere Insassen Guantanamos ohne Prozeß entlassen zu werden.

Die Crux dieses Problems liegt nicht in der im Zusammenhang mit der Anfrage an europäische Regierungen, Guantanamo-Häftlingen Asyl zu gewähren, diskutierten Frage, was man nun mit diesen "Altlasten" des Terrorkriegs tun solle, sondern in der von vornherein rechtswidrigen Verschleppung und Inhaftierung von Menschen, die aufgrund von Geheimdienstinformationen oder Bezichtigungen Dritter zu Terrorverdächtigen erklärt wurden. Indem die Regierung eines als demokratisch und rechtstaatlich geltenden Landes Gefangene dauerhaft ihrer Rechte beraubt hat, vollzog sie einen Qualitätssprung exekutiver Ermächtigung in einen Bereich des rechtlichen Ausnahmezustands, der üblicherweise nur aus Diktaturen bekannt ist.

Diese Ausweitung staatlicher Handlungsvollmachten soll nun auch für in Zukunft gefangengenommene Terrorverdächtige gelten. Der LAT zufolge existiert ein Richtlinienentwurf der US-Regierung, anhand dessen die Administration darüber entscheiden könne, wie mit gefangengenommenen Al Qaida-Mitgliedern zu verfahren wäre. Nicht nur, daß der Text dieses Dokuments auch nach seinem Inkrafttreten geheimgehalten werden soll, sondern schon die bloße Überlegung, wie man mit Gefangenen außerhalb des US-Strafrechts und des humanitären Völkerrechts umzugehen gedenkt, belegt, daß die Entrechtung bestimmter Gefangener dauerhaft institutionalisiert werden soll. Die Klärung der Fragen, welche Gefangenen langfristig an welchem Ort eingesperrt und nach welchen Regeln verhört werden sollen, wäre nicht erforderlich, wenn die US-Regierung sich nicht von vornherein außerhalb des geltenden nationalen wie internationalen Rechts stellte.

Andererseits werden mit dieser Aufhebung rechtstaatlicher Prozeduren offene Türen eingerannt. Seit sich die US-Regierung herausnimmt, Menschen durch Raketenbeschuß hinzurichten, und zwar in jedem Land, in dem es ihrer Ansicht nach erforderlich ist, stellt die Etablierung der Administrativhaft lediglich eine Variante dieser Staatswillkür dar. So erklären die anonym bleibenden Gewährsleute der LAT, daß die US-Regierung manchmal in kurzer Zeit darüber entscheiden müsse, ob ihre Geheimdienste oder Spezialstreitkräfte eine von ihnen als terrorverdächtig ausgemachte Person gefangennehmen oder töten sollen. Sollte ersteres eintreten, dann ergäben sich daraus weitere Fragen hinsichtlich des Verbleibs von Personen, die man verhören möchte, aber die man aufgrund des Mangels an Beweisen nicht unter Anklage stellen könne.

Wie eine rote Linie durchzieht der Wille zur exekutiven Ermächtigung die Politik dieser und früherer US-Administrationen im Umgang mit sogenannten Terrorverdächtigen. Indem die Regierung Obama sich anmaßt, Menschen als gefährlich zu qualifizieren, ohne dies von sich aus durch das übliche strafrechtliche Vorgehen zu verifizieren, und den Betroffenen darüber hinaus das Recht nimmt, ihrerseits die gerichtliche Überprüfung der gegen sie gerichteten Vorwürfe zu erwirken, schafft sie eine Kategorie von Nichtmenschen, die nicht anders als unter der Bush-Regierung ohnmächtig staatlicher Willkür ausgeliefert werden.

Daran ändert auch die Entscheidung des US-Justizministeriums nichts, künftig nur Mitglieder Al Qaidas und Personen, die Al Qaida "substantiell unterstützen", dauerhaft ihrer Freiheit zu berauben. Was in der LAT als relativer Fortschritt gegenüber den Praktiken der Vorgängerregierung ausgewiesen wird, ist wie die nun vorbereitete Regelung ein Beispiel für legalistische Kulissenschieberei, hinter der der Staat die Gewaltenteilung aufhebt, um auf selbstherrliche Weise Gewalt ausüben zu können. Entscheidend ist der qualitative Bruch mit der beanspruchten Rechtstaatlichkeit, läßt sich, wenn erst einmal das Machtprimat der Exekutive durchgesetzt wurde, ein noch so eng umgrenztes Willkürregime doch beliebig ausweiten.

Die in dem Bericht der LAT erklärte Absicht der US-Regierung, auf unabsehbare Zeit festzuhaltende Terrorverdächtige vorerst im Gefangenenlager Bagram bei Kabul zu internieren, erinnert daran, daß die Fokussierung der internationalen Kritik am US-Terrorkrieg auf Guantanamo stets verkürzt war. Bagram war, wie aus einem Bericht der BBC (www.bbc.co.uk, 15.04.2010) hervorgeht, nicht nur zur Zeit der Bush-Regierung ein Folterlager, sondern ist es noch immer. Neun ehemalige Insassen haben dem britischen Sender gegenüber angegeben, in einem "Schwarzes Loch" genannten geheimen Teil des Gefängniskomplexes zur Amtszeit Obamas verschiedenen Formen der Folterung ausgesetzt gewesen zu sein. So wären sie in völlig von der Außenwelt abgeschlossenen Zellen, in denen ständig das Licht brannte, durch systematischen Schlafentzug, durch Kälte und Erniedrigungen mißhandelt worden. Bei ihrer Verhaftung seien sie von den US-Soldaten geschlagen und verletzt worden.

Die BBC hatte Gelegenheit, einen neuen, für Terrorverdächtige vorgesehenen Teil Bagrams namens Parwan Detention Facility zu besichtigen. Dort werden die Gefangenen in Zellen untergebracht, die nach oben und vorne mit Drahtgittern verschlossen sind und von den Gefangenen als "Käfige" bezeichnet werden. Zu ihrem Transport werden Rollstühle verwendet, in denen ihnen Hände und Füße mit Handschellen und Ketten gefesselt werden. Zudem wird ihnen die Sicht durch Schutzbrillen mit schwarzen Gläsern und das Gehör durch Kopfhörer, die jedes Geräusch abblocken, genommen. Ihr Status als Gefangene wird von einer Kommission aus Militärs überprüft, vor der sie von Soldaten vertreten werden, die über keinerlei juristische Ausbildung verfügen. Zwar wurden etwa 100 Gefangene durch diese Kommission entlassen, die Gesamtzahl der Insassen dieses Teils Bagrams ist seit September 2009 jedoch von 650 auf 800 gestiegen. Wie im Falle Guantanamos handelt es sich auch in Bagram meist um Gefangene, die es mißlichen Umständen und nicht terroristischen Aktivitäten zu verdanken haben, in diese desolate Lage geraten zu sein.

Bis heute gibt es aufgrund der Geheimhaltung der Bundesregierung keine Klarheit darüber, ob Sondereinheiten der Bundeswehr wie die KSK Gefangene gemacht und an die US-Truppen ausgeliefert haben. Die Etablierung eines neuen Systems der Administrativhaft, dessen Opfer vorerst in Bagram interniert werden sollen, zeigt allerdings, daß die Bundesrepublik als Besatzungsmacht in Afghanistan in jedem Fall zumindest mittelbar mit einer Terrorjustiz kollaboriert, die mit der hierzulande gerne heranzitierten Rechtstaatlichkeit nicht zu vereinbaren ist. Mit den durch ihre Eskalationslogik produzierten "Sachzwängen" ist die Bundesregierung auf dem besten Weg, sich ein Beispiel an der US-Regierung zu nehmen und Formen exekutiver Ermächtigung durchzusetzen, die aufgrund ihrer unkalkulierbaren Willkür jeden Menschen, als auch alle Bundesbürger, bedrohen.

19. April 2010