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REPRESSION/1397: Scheinprozeß gegen Omar Kadr vor Militärtribunal in Guantánamo (SB)



Einen Gefangenen, der zum Zeitpunkt seiner Festnahme erst fünfzehn Jahre alt war, nach langer Drangsalierung in Guantánamo vor ein Kriegsgericht zu stellen, das unter Folter erzwungene Aussagen zu Lasten des Angeklagten zu verwerten gedenkt, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Zustand des Rechtsverständnisses und Justizsystems der Vereinigten Staaten. Omar Khadr, der in Toronto geboren wurde und später mit seiner Familie nach Afghanistan ging, fand man 2002 nach einem Feuergefecht mit angreifenden US-Soldaten schwerverwundet in einem Anwesen. Bei den Auseinandersetzungen war der US-Sergeant Christopher Speer durch eine Handgranate getötet worden, die geworfen zu haben man Khadr bezichtigte. Ferner soll in dem Gebäude ein Videoband gefunden worden sein, das Khadr angeblich beim Bau und Vergraben von Bomben zeigt. Insgesamt wird Anklage in fünf Punkten gegen ihn erhoben, wobei die angebliche Tötung Sergeant Speers im Zentrum steht.

Nachdem sich Präsident Obamas Ankündigung, er werde das international weithin als Inbegriff von Grausamkeit und Willkür erachtete Folterlager Guantánamo schließen, ebenso wenig bewahrheitet hat wie irgendeine andere angekündigte Abkehr von den im Zuge des sogenannten Antiterrorkriegs etablierten Repressionsinstrumenten, steht für Omar Khadr Schlimmes zu befürchten. Wäre es ein Gebot von Humanität und Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit gewesen, ihn endlich auf freien Fuß zu setzen, so unterstreicht seine fortgesetzte Gefangenschaft die Entschlossenheit von US-Regierung und Militärs, keine Fehler einzuräumen und das System absoluter Willkürjustiz durchzutragen.

Im Januar 2009 legte Obama die Militärtribunale in Guantánamo auf Eis, und im November beschloß der US-Kongreß modifizierte Regularien für die Verfahren vor solchen Kommissionen. Daß nun nach einer langen Phase intensiven Bemühens, für die herkömmlichem Rechtsempfinden spottenden Geheimprozesse an diesem berüchtigten Ort ein neues Tarnkleid zu stricken, ausgerechnet der Fall Omar Khadr als erster verhandelt wird, war nicht vorgesehen. Gegen Khadr war bereits Anklage erhoben worden, als die Tribunale vorerst ausgesetzt wurden. Nach der Beschlußfassung des Kongresses nahm Justizminister Eric H. Holder diesen Fall in ein erstes Paket von insgesamt fünf Anklagen auf, die innerhalb des Militärsystems verbleiben sollten. Zu diesem Zeitpunkt ging man noch davon aus, daß diverse weitere Fälle umgehend folgen würden. Als dann jedoch Holders Versuch, fünf anderen Angeklagten vor einem regulären Gericht in New York den Prozeß zu machen, angesichts der darüber aufbrechenden Kontroverse scheiterte, nahm man Khadrs Fall wieder auf. Der Prozeß vor einem Tribunal in Guantánamo begann Anfang August, mußte aber auf Monate hinaus unterbrochen werden, nachdem ein Verteidiger im Gericht einen Zusammenbruch erlitten hatte. (New York Times 27.08.10)

Diese Umstände führten dazu, daß der Fall des in der Gefangenschaft massiv bedrohten und gefolterten ehemaligen Kindersoldaten nun im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit steht und als Musterbeispiel für die vor allem im Ausland wachsende Verurteilung dieses Regimes der Drangsalierung gilt. Inzwischen ist durch sämtliche Medien gegangen, daß man Khadr beim Verhör unter anderem damit gedroht hat, er würde in ein reguläres Gefängnis verlegt und dort so lange vergewaltigt, bis er tot sei. In einer Anhörung vor Eröffnung des Prozesses hatte der betreffende Verhörexperte diese Drohung eingeräumt. Im Verfahren selbst erklärte der Militärrichter jedoch, dies könne nicht zur Entlastung des Angeklagten verwendet werden, da es keinerlei Einfluß auf sein späteres Geständnis gehabt habe.

Des weiteren erwirkte die Anklage den Ausschluß eines Offiziers aus der Jury des Tribunals, der erklärt hatte, er stimme mit Präsident Obama überein, daß Guantánamo die Werte und das internationale Ansehen der USA kompromittiert habe. Auch versuchte das Pentagon, Journalisten daran zu hindern, allgemein bekannte Informationen über diesen Fall zu publizieren, da diese angeblich der Geheimhaltung unterlägen. Von der vielbeschworenen neuen Offenheit der Prozeßführung in den Tribunalen konnte also keine Rede sein. Etwas anderes war letzten Endes auch nicht zu erwarten, da Militärtribunale wie auch Guantánamo an sich mit Transparenz unvereinbar sind.

Das Bestreben der Obama-Administration, Reformen zu simulieren, die Militärtribunale als fair und gerecht erscheinen lassen sollten, war zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Daß dies jedoch so rasch geschehen könnte, hatte man nicht erwartet. Dem Vernehmen nach herrscht an maßgeblicher Stelle im Weißen Haus, Justizministerium und Pentagon die Auffassung vor, daß es geboten sei, im Fall Khadr rasch eine Absprache über ein Geständnis hinsichtlich eines minder schweren Vorwurfs herbeizuführen, um diesen zweischneidigen Prozeß abzuschließen und statt dessen einen weniger problematischen aufzunehmen.

Offenbar schreckt die Regierung jedoch vor jeder diesbezüglichen Intervention zurück, da sie Bedenken trägt, deswegen einer unzulässigen Einmischung geziehen zu werden. Im Military Commissions Act ist seit 2006 ein Passus enthalten, der sinngemäß unzulässige Einflußnahme von höherer Stelle auf die Tribunale untersagt. Diese Formel war damals auf Beschluß des Kongresses eingefügt worden, nachdem die Bush-Regierung Druck ausgeübt hatte, durch Folter erzwungene Geständnisse als beweiskräftig anzuerkennen. Nun rätselt man, wie dieser Passus in Bezug auf das aktuelle Verfahren aufzufassen sei. Grundsätzlich scheint man im Lager Obamas zu befürchten, von den konservativen parteipolitischen Gegnern wegen eines allzu weichen Umgangs mit "Terroristen" angegangen zu werden.

Die Idee, im Fall Omar Kadr eine Absprache anzusteuern, die den Angeklagten vor einer lebenslangen Haftstrafe bewahren und mit wenigen Jahren davonkommen lassen sollte, kam den für die Durchführung der Tribunale zuständigen Militärs schon vor Monaten. Nun macht ihnen jedoch der inzwischen 23 Jahre alte Angeklagte einen Strich durch die perfide Rechnung. Er hat zwei Verteidiger abgelehnt und dem Gericht erklärt, ihn beleidige der Versuch, diesen "vorgetäuschten Prozeß zu legitimieren", indem man ihn mit der "geringstmöglichen Strafe" zu ködern versuche, um ein Geständnis zu erzwingen.

29. August 2010