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REPRESSION/1405: Standortvorteil Alarmzustand ... Investitionsschutz auf spanisch (SB)



Touristen sitzen auf Flughäfen fest, Fußballspiele können nicht zum vorgesehen Zeitpunkt stattfinden, Geschäftsreisende gelangen nicht pünktlich zu ihren Terminen. Die spanischen Fluglotsen protestierten gegen die weitere Verschärfung ihrer Arbeitsbedingungen, die sich zu einer bereits im Frühjahr erfolgten Lohnsenkung um 40 Prozent gesellen sollen. Die Regierung in Madrid scheint vorzuhaben, die großen Flughäfen des Landes zu privatisieren, und zwar in Zusammenarbeit mit der deutschen Flughafenbetreibergesellschaft FRAPORT [1], was zu diesen Verschlechterungen zumindest beitragen dürfte. Diese Herausforderung quittierten die Betroffenen, indem sie sich massenhaft krank meldeten oder ihren Arbeitsplatz einfach verließen. Ihr von der Regierung Zapatero als illegaler, wilder Streik kriminalisierter Arbeitskampf richtet sich über die angekündigten Lohneinbußen und Arbeitszeitverlängerungen hinaus auch gegen den Beschluß, Ärzte zu Kontrollvisiten krankgemeldeter Fluglotsen nach Hause zu schicken und im Streikfall regelrechte Notstandsmaßnahmen zu erwirken [2].

Eben dies geschah. Den Alarmzustand ausrufen, die Armee mobilisieren, die Streikenden mit Verhaftung und Anklageerhebung vor Militärgerichten drohen - spanische Regierungen, auch wenn sie sich sozialistisch kostümieren, haben die Logik autoritären Durchgreifens auch über die Franco-Ära hinaus stets hochgehalten. Zwar rangiert der Alarmzustand nach Artikel 116 der spanischen Verfassung eine Stufe unter dem Ausnahmezustand, doch handelt es sich bei den Vollmachten, zu denen er die Exekutive ermächtigt, um typische Elemente einer Notstandsgesetzgebung. So kann die Regierung die Kontrolle über zentrale Wirtschaftszweige übernehmen und Staatsbeamte wie Angestellte des öffentlichen Dienstes zwangsverpflichten. Angeblich seien zur Verhängung des Alarmzustands "auf sozialen Konflikten beruhende Versorgungsschwierigkeiten ausgeschlossen". Der Gesetzgeber habe "den Alarmzustand weitgehend entpolitisiert und ihn als eigenständigen Notstandsfall zur Bekämpfung von technischen Großunfällen oder Naturkatastrophen konzipiert", heißt es in einer Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht von 1982 [2]. Die Zeiten haben sich offensichtlich geändert.

Wenn derartige Gewaltmittel schon indiziert zu sein scheinen, weil ein Verkehrsmittel, das vorzugsweise von privilegierten Bürgern in Anspruch genommen wird, auch nur kurzfristig ausfällt, ohne dadurch das Funktionieren von Staat und Gesellschaft in Frage zu stellen, dann tritt der Ermächtigungscharakter der Maßnahme um so mehr in den Vordergrund. Sicherheit und Ordnung werden ökonomisch definiert. Die Regierung muß sicherstellen, daß die Bevölkerung ihre Arbeit gerade auch unter den erschwerten Bedingungen der Staatsschuldenkrise verrichtet, ansonsten hat sie jede Kreditwürdigkeit verloren. Den Luftverkehr einer auf Tourismus abonnierten Volkswirtschaft an einem verlängerten Wochenende lahmzulegen ist ein direkter Verstoß gegen die Refinanzierung eines Staates, der das ihm anvertraute Gemeinwesen verpfändet hat, um den reaktionärsten Kräften im Land entgegenzukommen.

Diese stehen selbstverständlich auf Seiten des staatlichen Gewaltmonopols, denn nur dieses garantierte ihren Eigentumanspruch. Da die Verfügungsgewalt über die größten Medien in den Händen des Kapitals liegt, werden die Forderungen der Fluglotsen dort als unangemessen, ja unanständig gierig gebrandmarkt. Die ganze Bevölkerung werde erpreßt, heißt es unter Einvernahme der Millionen, denen jede Flugreise zu teuer ist, die jedoch auf das volkswirtschaftliche Gesamtprodukt angewiesen sein sollen. Nicht die Erzwingungsmaßnahme des Notstandsrechts, mit dem Grundrechte eingeschränkt werden, zur Niederwerfung eines Streiks beschäftigt die Medien hierzulande. Das Schicksal deutscher Urlauber, die lange Wartezeiten in Kauf nehmen mußten, gibt Anlaß für kollektives Wehklagen. Auch in Deutschland sollen die durch Lohneinbußen gebeutelten Erwerbstätigen die Profitrate sichern und von der Vergeblichkeit wirksamen Aufbegehrens überzeugt werden. Um so empörter wird über das Unrecht lamentiert, daß zahlende Kunden bockigem Dienstpersonal ausgeliefert sind, anstatt durch lautlosen Service verwöhnt zu werden.

Vorerst soll nicht allzu deutlich werden, daß europäische Regierungen generell dazu bereit sind, Arbeitskämpfe mit notstandsrechtlicher Gewalt zu bekämpfen. Wenn dies an einer angeblich privilegierten Berufsgruppe wie den Fluglotsen vollzogen wird, dann wird suggeriert, es handle sich um eine notwendige Maßnahme zur Aufrechterhaltung einer lebenswichtigen Verkehrsinfrastruktur, nicht jedoch um die Unterdrückung legitimer Forderungen abhängig Beschäftigter. Gleichzeitig jedoch wird ein unüberhörbares Warnsignal an eventuelle Nachahmer gesendet, und nicht zuletzt wird ausländischen Investoren demonstriert, daß ihr Geld in Spanien gut und sicher angelegt ist.

Nicht nur dieser und andere hochverschuldete Staaten, die ganze EU steht vor sozialen Kämpfen. Da die spanischen Fluglotsen sich von den ihnen angedrohten Maßnahmen beeindrucken ließen, scheint sich die Verhängung des Alarmzustands bewährt zu haben. Die Umlastung der Kosten, die bei der Akkumulation des Finanzkapitals angehäuft wurden, auf die arbeitende Bevölkerung wird weiteren Widerstand hervorrufen, der zu brechen ist, wenn die Krise des Euro nicht noch schlimmere Ausmaße annehmen soll. Die Bereitschaft, schon bei kleinen Anlässen den Notstand auszurufen und damit diktatorischen Entwicklungen Raum zu geben, muß in diesem Sinne als Standortvorteil bezeichnet werden, mit dem zu werben die Regierung Zapatero kein ernsthaftes Problem zu haben scheint.

[1] http://www.trueten.de/permalink/Spanien-Ausnahmezustand-ausgerufen-zur-gewaltsamen-Niederschlagung-eines-Streiks.html

[2] http://www.wsws.org/articles/2010/dec2010/span-d04.shtml

[3] www.zaoerv.de/42_1982/42_1982_2_b_349_367.pdf

5. Dezember 2010