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REPRESSION/1454: Verfassungsschutz überwacht Linkspartei - Bundesregierung freut's (SB)



Daß die uneingeschränkte Partizipation am demokratischen Rechtsstaat dort endet, wo die Sachwalter der herrschenden Verhältnisse jede Perforation festgefügter Schranken und Störung etablierter Prozeduren im Keim zu ersticken trachten, bekommt die Linkspartei zu spüren. Obgleich sie in demokratischen Wahlen ihre Mandate erworben hat und mithin Wählerwillen repräsentiert, stellt man sie unter den Generalverdacht subversiver Bestrebungen, die es zu überwachen und sanktionieren gilt. Akzeptierte Opposition findet rasch ihre Grenzen, sobald sie sich als Sand im Getriebe der allseitigen Beteiligung an der Organisation kapitalistischer Verwertung und deren imperialistischer Expansion erweist. Der immanente Widerspruch zwischen hierarchisch strukturierter Gewalt und formaler Gewaltenteilung drängt unablässig in Richtung einer Verfestigung jener Strukturen und Zirkel, die die Frage, wer in diesem Staatswesen wen kontrolliert, stets zu ihren Gunsten entscheiden.

Aus Sicht der Bundesregierung werden Abgeordnete der Partei Die Linke zu Recht vom Verfassungsschutz beobachtet, weil von ihnen eine Gefahr für die deutsche Demokratie ausgehen könnte. Der bloße Verdacht respektive die Bezichtigung, es könne sich so verhalten, reicht also aus, präventiv Zwangsmittel in Anschlag zu bringen, über die mitzubestimmen den davon Betroffenen verwehrt wird. Wie ein Sprecher des Innenministeriums in Berlin erklärte, sei die Überwachung der Linken rechtmäßig, "weil sich in ihr Kräfte sammeln, die eine Veränderung der bisherigen Staats- und Gesellschaftsform wollen". Die Bundesregierung habe bereits im Oktober 2009 bestätigt, daß 27 Bundestagsabgeordnete der Linken vom Verfassungsschutz überwacht würden. Das Bundesverwaltungsgericht habe 2010 die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen bestätigt, und auch das im vergangenen Jahr verabschiedete Programm der Linkspartei rechtfertige die Überwachung. Überdies gebe es Splittergruppen wie die Kommunistische Plattform innerhalb der Partei, die radikal antikapitalistische Ziele verfechten. Regierungssprecher Steffen Seibert schloß sich mit den Worten an, es sei gut, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz seiner gesetzlichen Aufgabe nachkomme. [1]

Die Stoßrichtung geheimdienstlicher Präsenz zielt keineswegs allein auf Fraktionen innerhalb der Partei ab, die staatlicherseits als linksradikal und tendentiell gesellschaftsverändernd eingestuft werden. Als Drohkulisse gegen die Linkspartei insgesamt in Stellung gebracht findet man unter den 27 nach offizieller Lesart vom Verfassungsschutz beobachteten Bundestagsabgeordneten sowie elf Fraktionsmitgliedern verschiedener Landtage Vertreter aller Flügel. Die Liste umfaßt unter anderem die Bundesvorsitzende Gesine Lötzsch nebst Stellvertreterin Halina Wawzyniak, den Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi und seine erste Stellvertreterin Sahra Wagenknecht, die Mitglieder des Fraktionsvorstands Dietmar Bartsch und Jan Korte, die Parlamentarische Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau, die Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Katja Kipping, und das Mitglied im Vertrauensgremium des Bundestages, Steffen Bockhahn.

Sowohl der Umstand, daß mehr als ein Drittel der Bundestagsfraktion unter geheimdienstlicher Beobachtung steht, als auch die Einbeziehung sämtlicher hochrangiger Amtsträger unterstreicht, daß die Präsenz der Linkspartei im Parlament nur zähneknirschend geduldet wird und keineswegs mit einer vollständigen Gleichstellung einhergeht. Ausgrenzung und Ausschluß wider das demokratische Mandat lassen ahnen, daß Volkes Wille nur insofern für relevant erachtet wird, als er zur Legitimation der Unveränderbarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse in Dienst genommen werden kann.

Parteichef Klaus Ernst sprach von einem ungeheuerlichen Vorgang, der nicht ohne Konsequenzen bleiben werde. Der Inlandsgeheimdienst stelle die Verhältnisse auf den Kopf: Das Parlament solle den Geheimdienst kontrollieren, nicht der Verfassungsschutz die Abgeordneten. Dagmar Enkelmann verwies auf ihr vorliegende Hinweise, wonach nicht nur offen zugängliche Quellen ausgewertet, sondern die Abgeordneten auch bespitzelt würden. Dies sei eine ernste Beeinträchtigung ihrer Aufgabe als direkt gewählte Abgeordnete. Auch Dietmar Bartsch verurteilte es entschieden, gewählte Abgeordnete, die seit vielen Jahren engagiert im Land und in Europa agierten, mit dem Verfassungsschutz zu drangsalieren. Die Linke habe über viele Jahre bewiesen, daß sie die Verfassung verteidige. Der Vorstand der Linkspartei wies die Beobachtung als einen "rechtswidrigen Angriff auf unsere Partei" zurück: "Die weitere Bespitzelung von Abgeordneten der Linken steht in der Tradition von Berufsverboten und unterminiert die Werte der parlamentarischen Demokratie." [2]

Im Raum steht auch der Vorwurf, daß der personelle Aufwand zur Beobachtung von Abgeordneten der Linken kaum geringer als der für die Überwachung der NPD sei. Der Spiegel hatte berichtet, daß für die NPD zehn Mitarbeiter im Verfassungsschutz und Kosten von rund 590.000 Euro eingeplant seien. Mit der Linken seien sieben Mitarbeiter beschäftigt, mit jährlich rund 390.000 Euro Personalkosten. Mit diesem Vergleich zu argumentieren und dem Verfassungsschutz überdies noch einmal Versagen beim Observieren militanter rechtsradikaler Gruppierungen vorzuhalten, erweist sich indessen als zweischneidiges Schwert. Linke und Rechte in einen Topf zu werfen, ist das alltägliche Geschäft der Staatsräson, und dieses selektiv zu befeuern, indem man in den Ruf nach Verfolgung der Rechten einstimmt, doch die Linke verschont sehen will, greift zwangsläufig zu kurz.

Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, gibt vor, er könne die aktuelle Aufregung nicht verstehen. Sie sei "künstlich und übertrieben", weil den Betroffenen durch die Berichte des Verfassungsschutzes und durch die Beantwortung entsprechender Anfragen seit Jahren klar gewesen sei, daß sie beobachtet würden. Das Bundesamt zieht sich auf die Behauptung zurück, es seien keine "nachrichtendienstlichen Mittel" wie etwa das Abhören bei der Beobachtung eingesetzt worden. Für die Akten seien lediglich öffentlich zugängliche Dokumente wie Zeitungsartikel und Redemanuskripte gesammelt worden. Natürlich weiß Fromm nur zu gut, daß die ausgegebenen Summen und die Anzahl der Mitarbeiter erstmals so detailliert vom Bundesamt für Verfassungsschutz in einem Untergremium des Bundestagsfinanzausschusses offengelegt worden sind. Davon abgesehen verliert die Beobachtung als solche natürlich nicht dadurch an Brisanz, daß sie vom Verfassungsschutz als langjährige Praxis ausgewiesen und mithin zur Normalität erklärt wird.

Auch was die Angaben des Inlandsgeheimdienstes zu den angeblich engen Grenzen seiner Beobachtung betrifft, ist Skepsis geboten. So hält Bodo Ramelow, Fraktionschef der Linken im Thüringer Landtag, den jetzt bekanntgewordenen Umfang der Beobachtung für eine Verharmlosung. Bereits 2006 sei auf Anfrage mitgeteilt worden, daß alle Bundestagsabgeordneten der Linken erfaßt seien. [3] Da Ramelow seit Jahren einen Rechtsstreit um die Offenlegung seiner Akte und das Ende der Beobachtung führt, weiß er, wovon er spricht. Im Jahr 2010 entschied das Verwaltungsgericht Leipzig, daß der Abgeordnete Ramelow vom Verfassungsschutz weiter beobachtet werden darf. Angaben, die Privatperson Ramelow betreffend, mußten aber gelöscht werden. Das betraf alle Aufzeichnungen vor 1996. Gegen dieses Urteil habe er Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt.

Gregor Gysi hofft, daß das Bundesverfassungsgericht der "unverschämten" Observierung bald einen Riegel vorschiebt. Mehrere Abgeordnete haben dort gegen ihre Beobachtung geklagt, wobei Ramelow bereits versichert hat, er werde notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Dagmar Enkelmann kündigte an, das Thema werde im Parlamentarischen Kontrollgremium sowie im Ältestenrat des Bundestags angesprochen. Denkbar sei auch eine Dringliche Anfrage an die Bundesregierung. Dietmar Bartsch verlangte von Kanzlerin Merkel, daß sie der Beobachtung ein Ende setzt. Dies wies Regierungssprecher Seibert mit der Ausflucht zurück, der gesetzliche Auftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz entziehe sich dem persönlichen Zugriff durch die Bundeskanzlerin. Auch der Aufforderung der Linken an alle Parteien im Bundestag, dem Verfassungsschutz die Bespitzelung von Abgeordneten zu untersagen, dürfte kein Erfolg beschieden sein.

Die Grünen verlangen, daß eine Beobachtung oder Überwachung von Abgeordneten nur nach Genehmigung eines Organs des Bundestages zulässig sein soll. Auch wenn ihr parlamentarischer Geschäftsführer Volker Beck die Beobachtung "mehr als fragwürdig" nannte und den Aufwand im Vergleich zur Beobachtung der NPD kritisierte, war dies keine prinzipielle Absage an die geheimdienstliche Überwachung demokratisch gewählter Abgeordneter, sondern eher schon Ausdruck des Wunsches, über die Anwendung dieses Instruments mitentscheiden zu dürfen. Die Grünen kennen aus ihrer eigenen Vergangenheit durchaus das Problem, an entscheidenden Stellen wie etwa wichtigen Ausschüssen ausgeschlossen zu werden. Zur Regierungsfähigkeit gereift dürften sie kaum geneigt sein, den Lohn ihrer Anpassung durch Solidarität mit der Linkspartei aufs Spiel zu setzen. Was die Bundesregierung von der Beobachtung der Linken hält, hat sie, wie eingangs zitiert, klar zum Ausdruck gebracht.

Halina Wawzyniak sieht das eigentliche Problem darin, daß die "Geheimdienste demokratisch nicht zu kontrollieren und deshalb eine Gefahr für die Demokratie sind". Daß sich die Dienste ihrer Natur nach jeder parlamentarischen Kontrolle entziehen, trifft sicher zu. Sie als isoliertes Phänomen zu behandeln, das nicht aus dem Ruder laufen und sich verselbständigen dürfe, unterschlägt jedoch ihre Einbindung in die herrschenden Verhältnisse und Indienstnahme durch jene Machtkomplexe, die nicht identisch mit der formalen Teilhabe an staatlichen Strukturen sind. So kann die Linkspartei im Bundestag sitzen und doch nicht denselben Status wie die übrigen Fraktionen erlangen. Und wenn sie die anderen Parteien dazu aufruft, den geheimdienstlichen Übergriffen im Namen der Demokratie ein Ende zu setzen, redet sie größtenteils gegen eben jene Wand, deren Demokratieverständnis ihr das Verhängnis eingebrockt hat.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,810803,00.html

[2] http://www.thueringer-allgemeine.de/startseite/detail/-/specific/Linke-Abgeordnete-werden-beobachtet-1533400972

[3] http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/6/0,3672,8465094,00.html

23. Januar 2012