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REPRESSION/1463: Mißliebige Gesinnung durch Entzug von Sozialleistungen sanktionieren (SB)




Die Maßnahmen, mit denen Bundesinnnenminister Hans-Peter Friedrich gegen Salafisten vorgehen will, weisen allesamt die Signatur des autoritären, die bürgerliche Rechtsordnung suspendierenden Staates auf. Es geht nicht mehr um die strafrechtliche Regulation gewalttätiger oder räuberischer Vergehen in der Zivilgesellschaft, sondern um die politische Zurichtung der Staatsmacht auf die Verfolgung von Menschen, die zu ihren Feinden erklärt werden. Wo das Strafrecht auf bereits vollzogene Gesetzesbrüche reagiert, laufen auf angeblichen Gesinnungsdelikten beruhende Vereinsverbote, Restriktionen im Aufenthaltsrecht wie bei der Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft oder Kürzungen von Sozialleistungen auf die offensive Unterdrückung bestimmter politischer Einstellungen hinaus.

Dieser Wandel vom verfassungsmäßig organisierten Strafrecht zur selektiven Durchsetzung der Staatsräson entspricht der Aufhebung demokratischer Willensbildung zugunsten einer Ermächtigung der Exekutive, die insbesondere Handlungsbedarf bei der Bekämpfung des Terrorismus reklamiert, um den schleichenden Marsch in neofaschistische Verhältnisse zu legitimieren. Diese Entwicklung ist zwar spätestens seit dem 11. September 2001, genaugenommen schon seit der Verabschiedung der Notstandsgesetze 1968 im Gange, doch nimmt sie mit der offenen Nutzung von Sozialtransfers nicht mehr nur als Peitsche der Arbeitsgesellschaft und zur Senkung der Lohnforderungen Erwerbstätiger, sondern zur Maßregelung staatlicherseits als feindselig ausgemachter politischer Einstellungen eine neue Qualität an. Wo Sozialleistungen, die in der Totalität kapitalistischer Vergesellschaftung eine Verpflichtung der davon profitierenden Klasse zur Sicherstellung der Reproduktion der davon ausgeschlossenen Klasse und nicht etwa eine dankbar in Anspruch zu nehmende Vergünstigung darstellt, bei angeblichem Fehlverhalten entzogen werden, erhalten sie im Umkehrschluß den Charakter einer Belohnung für Konformität und eines Signums der Zugehörigkeit zur damit konstituierten Volksgemeinschaft.

Entscheidend ist nicht, wie verwerflich oder akzeptabel auch immer die Praktiken und Ansichten salafistischer Muslime sein mögen. Wenn das Beispiel Schule machte, dann könnte allen möglichen Gruppen der Gesellschaft mit dem Entzug von Sozialleistungen gedroht werden, wenn sie sich nicht im Sinne des kapitalistisch formierten Staates verhalten. Entscheidend ist die Anmaßung einer Regierung, selbstherrlich darüber zu befinden, wer in diesem Land in den Genuß staatlich gewährter Privilegien gelangt und wer nicht. All dies ist bis ins i-Tüpfelchen auf der Basis des Gleichheitsgrundsatzes verregelt und verrechtlicht. Wenn eine Gruppe, die durch eine legale weltanschauliche, religiöse oder politische Doktrin definiert ist, materiellen Sanktionen unterhalb des Strafrechts ausgesetzt werden soll, dann wird damit bereits die grundgesetzlich verankerte Diskriminierungsfreiheit durchbrochen.

Die Neigung exekutiver Organe, die Sicherung herrschender Verhältnisse mit derartigen Willkürmaßnahmen durchzusetzen, steht außer Frage, eben deshalb unterliegen sie theoretisch der demokratische Kontrolle durch das System der Gewaltenteilung. Demgegenüber versucht der Bundesinnnenminister, eine religiöse Minderheit mit populistischen Mitteln, wie unter anderem seine positive Bezugnahme auf Thilo Sarrazins Kampfansage gegen angeblich "unproduktive" Menschen im Interview mit der Welt [1] belegt, als Feinde von Staat und Gesellschaft zu exponieren. Die damit zu erwirtschaftenden Maßnahmen vergrößern, wie es bei Verschärfungen der Inneren Sicherheit stets der Fall ist, die Schlagkraft staatlicher Gewaltorgane zu Lasten der ohnehin schwachen Verteidigungslinien der Grund- und Bürgerrechte. Die von Friedrich im gleichen Interview geforderte Ausweitung des Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus auf "andere extremistische Bereiche" läßt ahnen, wer in erster Linie unter die Kuratel staatlicher Repression genommen werden soll.

Zwar ergänzt Friedrich seine Antwort auf die Frage nach der Kürzung von Hartz IV bei "Gewaltpredigern" pflichtgemäß damit, daß "eine Voraussetzung (...) sicherlich die konsequente strafrechtliche Verfolgung aller Gesetzesverstöße" wäre, doch allein der positiv bestätigte Handlungsbedarf, mit derartigen Maßnahmen gegen Menschen vorzugehen, denen ersteinmal nichts anderes als Meinungsbekundungen anzulasten sind, läßt erkennen, daß er sich damit vor allem gegen den Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit absichert. Seine Behauptung, der "radikale Salafismus" sei "wie eine harte Droge", der zur erliegen die Anwendung von Gewalt zwingend zur Folge habe, dokumentiert den demagogischen Charakter der Stigmatisierung einer Gruppe, deren schlechte Sympathiewerte sie zum Popanz staatsautoritärer Maßnahmen geradezu prädestiniert. Dies kann jedoch auch für die Empfänger von Sozialleistungen gelten, wenn sozialrassistische Politiker und Journalisten ihnen nur häufig genug eine parasitäre Lebensführung anlasten.

Auch die von "Welt" gestellte und von Friedrich unter Verweis auf hohe verfassungsrechtliche Hürden prinzipiell bejahte Frage nach dem Entzug von Grundrechten bei Salafisten läßt erkennen, was in Deutschland alles möglich wird, wenn die Feindbildproduktion auf hohen Touren läuft. Zieht die bloße Zugehörigkeit zu einer bislang nicht verbotenen Gruppe Kollektivstrafen nach sich, anstatt eventuelle Rechtsbrüche im jeweiligen Einzelfall zu sanktionieren, werden Sozialleistungen unverhohlen zur Kontrolle einer bestimmten Gesinnung instrumentalisiert, dann erweist sich die Behauptung, die NS-Diktatur könne sich nicht wiederholen, weil man aus ihr gelernt habe, auf gegenteilige Weise als zutreffend.

Fußnote:

[1] http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article106437736/Radikaler-Salafismus-ist-wie-eine-harte-Droge.html