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REPRESSION/1516: Globaler Krieg gegen den Terrorismus 2.0 (SB)




Wer gemeint hätte, daß der nach den Anschlägen des 11. September 2001 von der US-Regierung erklärte "Globale Krieg gegen den Terrorismus" vorüber wäre, sieht sich dieser Tage eines Besseren belehrt. Spätestens seit der US-Präsident auf einer programmatischen Rede an der Militärakademie West Point Ende Mai den Terrorismus die größte Bedrohung für die nationale Sicherheit nannte, kann über die Rückkehr dieses territorial wie völkerrechtlich entgrenzten Krieges auf die Agenda der Weltpolitik kein Zweifel mehr bestehen. Obama selbst hatte seine erste Amtszeit mit dem erklärten Vorhaben begonnen, den mit Folterungen, Verschleppungen und Mordanschlägen aus heiterem Himmel einhergehenden Feldzug einzustellen. Doch das berüchtigte Sondergefängnis Guantanamo wurde nicht geschlossen, dort einsitzende Langzeitgefangenen müssen möglicherweise den Rest ihres Lebens dort verbringen, ohne daß der gegen sie gerichtete Terrorismusvorwurf jemals von einem Gericht überprüft worden wäre, und die meisten der Demokratie und Bürgerrechte negierenden Sonderbefugnisse der US-Regierung bleiben in Kraft, wenn sie nicht ohnehin verschärft wurden.

Was sich derzeit am Vormarsch der ISIS im Irak erneut entzündet, läßt sich nicht mit kriegerischen Ereignissen in Ländern legitimieren, deren Zerstörung durch die militärischen Aggressionen einiger NATO-Staaten der Hauptgrund für ihre desolate innere Entwicklung ist. Das propagierte Begründungskonstrukt reproduziert sich praktisch aus der Substanz eigener Destruktivität zu einer langen Kette katastrophaler Verheerungen der materiellen und gesellschaftlichen Lebenswelten davon betroffener Bevölkerungen. Dahinter keine systematische Strategie, sondern den Verlauf einer von niemandem gewollten fatalen Entwicklung zu vermuten, macht die apologetische Sprachregelung derjenigen Politiker und Journalisten glauben, die am lautesten für die Durchsetzung kriegerischer Übergriffe auf den Irak, auf Libyen und Syrien trommelten.

Dabei durchzieht die Strategie des Teilens und Herrschens die Geschichte der postkolonialen Hegemonialpolitik westlicher Staaten im Nahen und Mittleren Osten wie ein roter Faden. Die auf dem Reißbrett ihrer Geostrategen gezogenen Grenzen wurden in erster Linie dafür geschaffen, eine eigenständige Entwicklung der arabischen Staaten zu verhindern, um deren dauerhafte Unterwerfung unter die Interessen nordamerikanischer und westeuropäischer Regierungen sicherzustellen. Was heute die Gestalt von Nationalitäten- und Religionskonflikten annimmt, ist der äußerste Ausdruck unbewältigter, vom Primat westlicher Kapital- und Hegemonialstrategien geschürter sozialer Konflikte. Wo die geringe Chance besteht, die soziale Frage in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Veränderung zu stellen, schlägt, wie in Ägypten geschehen, die soziale Not in Gestalt ideologischer und religiöser Zerwürfnisse mit aller zerstörerischen Kraft zurück. Daß dort heute ein demokratisch bemänteltes Militärregime herrscht, wird von den Strategen der globalen Aufstandsbekämpfung ebenso favorisiert wie etwa die Zerstörung der libyschen Gesellschaft unter dem Vorwand ihrer Befreiung.

Zu glauben, daß die Machtprojektionen eines angeblich wohlwollenden Imperialismus ohne Widerhall auf die Gesellschaften bliebe, von denen sie ausgehen, hieße, Augen und Ohren so hermetisch zu verschließen, wie es zur Befriedung ihrer sozialen Widersprüche beabsichtigt ist. Im Zuge der hierzulande geschürten Angst vor Anschlägen islamistischer Kämpfer warnte Tomas Avenarius am 13. Juni in der Süddeutschen Zeitung davor, im Krieg gegen den Terrorismus nachzulassen:

"Zwölf Jahre nach Beginn des 'Krieges gegen den Terror' stehen die USA und ihre Verbündeten vor einem Scherbenhaufen. Sie sind viel zu früh aus dem Irak abgezogen. Sie sind dabei, Afghanistan gemeinsam mit den Europäern Hals über Kopf sich selbst zu überlassen. Neue Terror-Milizen entstehen, in Jemen, in Libyen, in Nigeria. Das sollte denen, die ein sofortiges Ende des Anti-Terror-Kampfs fordern - und aller damit verbundenen innenpolitischen Zumutungen in Form von Überwachung -, doch zu denken geben. Ja, der Preis ist hoch. Das Risiko einer Niederlage ist es aber auch." [1]

Fernab der Überlegung, daß gerade die Kriege im Irak und in Afghanistan die Gewalt verursachten, gegen die sie angeblich geführt wurden, wird die eigene Verantwortung für die desaströse Entwicklung in diesen Ländern durch die schicksalhafte Frage nach Sieg oder Niederlage dementiert. Die Verschärfung der Repression in Deutschland richtet sich dabei praktischerweise gegen diejenigen Teile der Bevölkerung, die allen Grund dazu haben, äußere Kriegführung und soziale Unterdrückung zusammenzudenken. Wem besagter Preis am meisten abverlangt wird, liegt auf der Hand eines Schuldenregimes, das den Zwang zum Verrichten jeder noch so niedrig entlohnten Arbeit mit Austeritätspolitik und Sozialkontrolle durchsetzt. Dagegen zu protestieren und die angebliche Naturwüchsigkeit der gesellschaftlichen Klassenordnung in Frage zu stellen, ist das eigentliche Risiko einer Niederlage, die nur diejenigen als solche erleiden, die unter allen Umständen als Sieger aus dem zentralen gesellschaftlichen Konflikt hervorgehen wollen.

Feindstrafrecht, Bundeswehreinsatz im Innern, Gesinnungsjustiz, Totalüberwachung - diese und andere Instrumente der Aufstandsbekämpfung sind längst in Stellung gebracht. Sie bedürfen allerdings noch der Legitimation durch einen Anlaß, der sich des Verdachts enthebt, als bloßer Vorwand partikulärer Interessensicherung und sozialer Repression zu fungieren. Der Krieg gegen den Terrorismus wurde im ersten Durchgang nicht durch die Wiederherstellung in seinem Namen ausgehebelter demokratischer Kontrollfunktionen und die Entschärfung seiner exekutiven Vollmachten auf den Boden des vielzitierten Rechtstaats zurückgeholt. Um so effizienter wird seine Anwendung in der sozialen Aufstandsbekämpfung sein, hat die Dauerkrise des Kapitals doch erheblichen Handlungsbedarf in eine Welt gesetzt, in der auch die wohlhabendsten Regionen vom Hauen und Stechen um verbliebene Lebenschancen eingeholt werden.


Fußnoten:

[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/islamisten-vormarsch-im-irak-riskantes-ende-einer-ordnung-1.1996680