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REPRESSION/1521: Realpolitik ist Trumpf - Wertegemeinschaft G7 (SB)



Nicht nur einmal bekräftigte Bundeskanzlerin Merkel, daß die G7-Staaten sich auf gemeinsame Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie festgelegt hätten, was eine Teilnahme des russischen Präsidenten Putin am Gipfel in Schloß Elmau praktisch ausschließe. Die kräftigen Worte, mit denen US-Präsident Obama die Politik Rußlands im Konflikt um die Ukraine geißelte, signalisierten um ein weiteres, daß man dort keinen Wert auf eine Annäherung an Moskau ohne vorherige Unterwerfung unter die eigenen Forderungen legt.

Handelseinig ist man sich indes in der Beugung aller Ideale, die sich nicht als knallharte Zahlung in Wert setzen lassen. Die kriegerische Abtrennung des Kosovo von Serbien, die jahrelange Aushungerung der irakischen Bevölkerung und die schlußendliche Eroberung des Landes, das systematische Schüren des Bürgerkriegs in Syrien und die anhaltende Aushungerung seiner Bevölkerung durch die westliche Embargopolitik, die Zerschlagung Libyens - wo immer NATO-Bomben fallen und NATO-Truppen ihre Stiefel hineinsetzen, hinterlassen sie zahllose Tote, rauchende Trümmer und massenhafte Verelendung. Und nicht nur das, es werden sogar regelrechte Erben der eigenen Kriegführung ins Leben gerufen. Der Vormarsch des Islamischen Staates ist die Frucht einer Eroberungs- und Besatzungspolitik, die latente konfessionelle Differenzen schürt, um Grausamkeiten zu entfesseln, vor denen die Menschen in Scharen fliehen, ohne das rettende Europa zu erreichen, weil man dort ihren nassen Tod billigend in Kauf nimmt. Für das grenzenlose Leid, das die NATO-Staaten und allen voran die USA mit dem Anspruch, die Region des Nahen und Mittleren Ostens, wie es in Washington hieß, neu zu ordnen, anrichteten und weiterhin verursachen, wird auf Schloß Elmau jedenfalls keine Rechenschaft abgelegt.

Den Vergleich mit der russischen Außenpolitik tritt denn auch niemand ernsthaft an, da verlegt man sich lieber auf die Personalisierung der Politik des Kremls durch die Überzeichnung Putins als brutaler Autokrat und sinistrer Intrigant. Doch auch dabei brauchen sich die G7-Staaten nicht zu verstecken. Um die tausend Tote fordert die Polizeigewalt in den USA jedes Jahr, wobei vor allem sozial schwache und nichtweiße Menschen der Schießwütigkeit der Beamten zum Opfer fallen. Dies erfolgt im Rahmen einer Strategie der sozialen Repression, bei der etwa 2,5 Millionen Menschen ständig hinter Gittern gehalten werden und mehr als doppelt so viele Bürger verschiedenen Formen der Überwachung durch das Strafvollzugssystem und der Einschränkung bürgerlicher Rechte wie der des Wahlrechts ausgesetzt sind. So autokratisch ein Putin auch herrschen mag - die massenhafte soziale Verelendung der US-Bevölkerung ist ihrerseits Ausdruck einer Klassenherrschaft, der durch die Entbehrungen ökonomischen Mangels und die Instrumente staatlicher, tendenziell rassistischer Repression de facto den Charakter autoritärer Unterdrückung annimmt.

All das und mehr ist weithin bekannt, doch die deutsch-amerikanische Freundschaft kann kein Wässerchen pflichtschuldiger Bedenkenträgerei trüben. Immerhin weiß man im Kanzleramt zu schätzen, beim Ausspähen durch US-Dienste niemals Gefahr zu laufen, durch die Offenlegung antidemokratischer oder rechtsstaatswidriger Praktiken in die Bredouille zu geraten. Man ist sich unausgesprochen einig darin, dem "befreundeten" Staat mindestens so viel an exekutiver Ermächtigung durchgehen zu lassen, daß die eigene Handlungsfreiheit in Sachen Repression nie an ihre Grenzen stößt.

Was erklärt, warum über 20.000 Polizisten aufgeboten werden müssen, um in ländlicher Idylle mit Trachtengepränge und Alphorntönen illustrierte Fototermine abhalten zu können. Dabei geht es bei der massenmedialen Vorverdächtigung und der Einschränkung des Versammlungsrechts der Gipfelgegner viel demokratischer und rechtstaatlicher zu als in Ägypten oder Saudi-Arabien, wo deutsche Polizeibeamte die Gewaltorgane von Regimes ausbilden, die mißliebige Oppositionelle massenhaft inhaftieren, foltern, mit Todesurteilen belegen oder auf der Straße je nach Art des Hauses köpfen oder erschießen. Solche Handreichungen erhalten die Freundschaft und werden im Fall des ägyptischen Militärregimes mit dem größten Auftrag in der Unternehmensgeschichte des Siemens-Konzerns belohnt, während Saudi-Arabien eine Schlüsselstellung in der weiteren Destabilisierung Syriens, des Iraks und Irans einnimmt.

Der arabische Frühling mündete nicht zuletzt durch das abwartende Taktieren der Bundesregierung in einen mindestens so tiefen Winter, wie er unter dem von Berlin stets hofierten Diktator Mubarak herrschte. Ein gemeinsamer Auftritt der Bundeskanzlerin mit dem ägyptischen Despoten Al Sisi, der Menschenrechte und Demokratie nicht minder für sich in Anspruch nimmt, als es die Kanzlerin für die transatlantische Wertegemeinschaft tut - deutsche Interessenpolitik macht's möglich. Die hierzulande weitgehend mißachtete Rolle des Widerstands der Arbeiterinnen und Arbeiter der ägyptischen Textilindustrie, deren wilde Streiks dem arabischen Frühling den Boden bereiteten, gefährdete auch die Abschöpfung billigster Lohnarbeit durch deutsche Unternehmen in der arabischen Welt. Diese können sich auch in Zukunft der politischen Unterstützung der Bundesregierung sicher sein. So werden unter Gutheißung Berlins nicht nur die Muslimbrüder, sondern auch die demokratische und linke Opposition akuter Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt. Welche Werte auch immer gemeint sind, die die Exklusivität des Klubs der G7 wahren, ihr pekuniärer Charakter verleiht ihnen erst jenen Glanz, für den es sich lohnt, alle Register realpolitischer Ignoranz zu ziehen.

7. Juni 2015


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